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Utopien der Menschenzucht
Mit der Aufklärung gewann die Medizin an Macht, und Ökonomen und Verwaltungswissenschaftler erkannten die Bevölkerung als wirtschaftliche Ressource, die sie vermehren wollten. Utopien zur physischen „Verbesserung des Menschengeschlechts“ aus dieser Zeit rekonstruiert Prof. Dr. Maren Lorenz vom Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit und Geschlechtergeschichte der Ruhr-Universität Bochum.
Gezielte Fortpflanzungspolitik
Bisherige Studien konzentrierten sich auf rein ökonomische Theorien oder eugenische Ansätze des ausgehenden 19. Jahrhunderts und späterer Jahre. Die Bochumer Historikerin sah sich nun frühere Quellen an, in denen Mediziner eine gezielte Fortpflanzungspolitik diskutierten. Sie sollte eine starke, gesunde Bevölkerung hervorbringen, für eine effiziente Agrarproduktion und ein schlagkräftiges Militär.
Die Autoren schlugen zum Beispiel die Ehe auf Probe und Zwangsscheidungen vor, falls Paare keine Nachkommen hervorbrächten. Einige forderten sogar, das Zölibat abzuschaffen, weil traditionell nur körperlich und geistig fitte Männer in den katholischen Kirchendienst treten durften – eine Verschwendung im Hinblick auf die Fortpflanzung. „Sie dachten ethisch relativ revolutionär, und das in einem Zeitalter, in dem eigentlich massive Zensur herrschte“, sagt Maren Lorenz.
Ideen aus Frankreich
Viele Ideen, die in Deutschland Anklang fanden, stammten ursprünglich aus Frankreich. Französische Mediziner entwickelten Mitte des 18. Jahrhunderts zum Beispiel konkrete Konzepte für „Menschereyen“. Das sollten öffentliche städtische Häuser für zwangseingewiesene ledige Frauen über 25 Jahren sein. Verheiratete und unverheiratete gesunde Männer sollten sie zwecks Fortpflanzung besuchen können – gegen eine Gebühr, die in die Stadtkasse fließen sollte. Die Kinder hätten dem Staat gehört.
Das Wissenschaftsmagazin Rubin beschreibt die Erkenntnisse von Maren Lorenz’ Recherche in einem ausführlichen Beitrag. Texte auf der Webseite und Bilder aus dem Downloadbereich dürfen unter Angabe des Copyrights für redaktionelle Zwecke frei verwendet werden.
Die Historikerin sieht in der Gegenwart häufig Anknüpfungspunkte an die Utopien aus der Frühen Neuzeit. „Wir sind mitten drin in der Diskussion um die Menschenzucht“, sagt sie. In einem Kommentar bezieht die Forscherin Stellung zum ethischen Umgang mit Fortschritten in der biomedizinischen Grundlagenforschung.
Prof. Dr. Maren Lorenz
Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit und Geschlechtergeschichte
Fakultät für Geschichte
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 32 22542
E-Mail: lehrstuhl-fnzgg@rub.de
29. März 2016
12.08 Uhr