Philosophie Alles Wissen der Welt im Computer
Damit Computer das komplexe Wissen über die Welt verarbeiten können, muss man es explizit und logisch strukturiert formulieren. Dabei helfen Philosophen.
In Zeiten, in denen schon beim Online-Einkauf Informationen über den Käufer gesammelt werden, ist es augenfällig: Jeden Tag entsteht eine riesige Menge an Daten. Auch die Wissenschaften erheben Daten, von unterschiedlichster Art und unterschiedlichstem Format. Wenn dabei aber jeder sein eigenes Süppchen kocht, sind diese Daten nicht vergleichbar und können nicht von anderen Wissenschaftlern weiter verarbeitet oder für andere Fragen wieder genutzt werden.
Es ist also eine gemeinsame Sprache nötig, oder anders gesagt: Standards für eine einheitliche Repräsentation des Wissens über die Welt, das die Wissenschaften sammeln. Daran arbeiten Forscherinnen und Forscher verschiedener Disziplinen gemeinsam mit Philosophen. Denn diese sind von Haus aus mit Definitionen, Kategorien und logischen Zusammenhängen vertraut. Platon und Aristoteles haben sich schon vor über 2.000 Jahren damit beschäftigt, wie man die Welt beschreiben und in welche obersten Arten man ihre Bestandteile einordnen soll.
Daten kompatibel machen
Ziel der interdisziplinären Arbeit sind sogenannte Ontologien: Wissensrepräsentationen im Computer, die es für verschiedene Bereiche der Wissenschaft gibt und die immer weiter ausgebaut werden. Sie sollen helfen, Daten kompatibel zu machen, so dass nicht nur diejenigen mit ihnen arbeiten können, die sie ursprünglich erhoben haben, sondern auch andere Arbeitsgruppen.
„Die Sprache, in der wir das Wissen über die Welt abbilden, muss einerseits sehr einfach, logisch strukturiert und eindeutig sein, damit sie für Computer handhabbar ist und Computer daraus automatische Schlussfolgerungen ziehen können“, erklärt Privatdozent Dr. Ludger Jansen, zurzeit Lehrstuhlvertreter für Philosophisch-Theologische Grenzfragen an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität. „Darüber hinaus soll sie im Idealfall auch für den menschlichen Nutzer intuitiv verständlich sein.“
Ludger Jansen arbeitet an der Schnittstelle zwischen Theologie, Philosophie und Informatik.
Einfache Beschreibungen und Bezüge können solche sein wie: Lebewesen bestehen aus Molekülen. Manchmal sind aber schon die sprachlichen Ausdrücke eine Herausforderung, weil sie nicht eindeutig sind. Ist eine Krankheit eine Eigenschaft oder ein Prozess? Ist ein Gen ein materieller Gegenstand oder ein Informationsgehalt?
Fragen der Sprachphilosophie wollen berücksichtigt werden: Wie schafft man es etwa, Daten über Namen von Krankheiten abzugrenzen von Daten über Krankheiten? „Es ist ja richtig zu sagen: Hepatitis ist in der Leber lokalisiert“, verdeutlicht Ludger Jansen. „Ebenso richtig ist auch: Hepatitis hat vier Silben. Schließt man daraus aber, dass in der Leber etwas Viersilbiges ist, ist das ein Kategorienfehler.“
Solche Fragen diskutieren die Entwickler einer Ontologie in E-Mail-Listen oder auf Tagungen so lange, bis es einen Konsens gibt und die für die entsprechende Ontologie verantwortliche Gruppe ein Update schreibt und implementiert.
Keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung
Verschiedene Fachgebiete erarbeiten verschiedene Ontologien – in eigenen Katalogen oder Suchmaschinen können Interessierte sie finden. Die einzelnen Ontologien sollen einander keine Konkurrenz machen, sondern sich miteinander vernetzen und ergänzen.
Ludger Jansen arbeitet vor allem auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften an einer verbreiteten grundlegenden Ontologie mit, der Basic Formal Ontology. Aktuell beschäftigt er sich unter anderem mit dem Problem kausaler Eigenschaften. „Hier gibt es Probleme, wenn sich eine Eigenschaft in ganz unterschiedlicher Weise auswirken kann. Ein Magnet kann einen anderen zum Beispiel anziehen, aber auch abstoßen“, erklärt Jansen.
Mit dem Evolutionsgedanken hat sich die Biologie von der Vorstellung eines die Lebewesen direkt entwerfenden Schöpfergottes verabschiedet.
Ludger Jansen
Konkret dreht sich die Diskussion etwa um biologische Funktionen, zum Beispiel von Organen. „Mit dem Evolutionsgedanken hat sich die Biologie von der Vorstellung eines die Lebewesen direkt entwerfenden Schöpfergottes verabschiedet. Das heißt, die Eigenschaften von Lebewesen sind zufällig entstanden und haben sich in der Evolution bewährt. Wenn wir aber von einer Funktion sprechen, legt diese Redeweise das Gerichtetsein eines biologischen Prozesses auf ein Ziel immer noch nahe“, erklärt Ludger Jansen.
Philosophen haben daher in der Vergangenheit vorgeschlagen, die Funktionen etwa eines Organs einfach als dessen kausale Beiträge zu verstehen. Aber auch das rhythmische Herzgeräusch ist ein kausaler Beitrag des Herzens – allerdings nicht dessen Funktion, sondern nur ein Nebeneffekt. Deshalb definieren andere Philosophen Funktionen lieber als Eigenschaften, die sich evolutionär bewährt haben. Eine Herausforderung sind dann aber die Fehlfunktionen. Mit ihnen verknüpft ist auch die Frage: Was heißt es, etwas „gesund“ zu nennen?
Ontologie wächst wieder ein Stück
Auch hier ist wieder der Philosoph gefragt. „Die möglichen Antworten reichen von subjektivem Wohlbefinden über Funktionalität für den Organismus hin zu dem, was in der Mehrzahl aller Fälle zutrifft“, überlegt Jansen. Gemeinsam mit seinen interdisziplinär arbeitenden Kollegen wird er diese Frage weiter diskutieren, bis es einen Konsens gibt. Und damit ist die Ontologie dann wieder ein Stückchen gewachsen.