Forschungsbau Ein neues Zentrum für die Werkstoffforschung
Knapp 40 Millionen Euro fließen in ein neues Gebäude an der Ruhr-Universität Bochum. Mit Hilfe von Großgeräten werden hier bald Grenz- und Oberflächen in Werkstoffen erforscht.
Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz hat am 29. Juni 2012 den Forschungsbau Zentrum für Grenzflächendominierte Höchstleistungswerkstoffe (ZGH) an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) bewilligt. Mit der Förderung von Forschungsbauten inklusive Großgeräten wollen Bund und Länder die Konkurrenzfähigkeit der Forschung an Hochschulen im nationalen und internationalen Wettbewerb stärken.
„Mit dem ZGH entsteht ein international sichtbares Zentrum, das sich in bisher einmaliger Art und Weise mit Werkstoffen für extreme Bedingungen, mit der Erforschung von Werkstoffgrenzflächen und mit der Kombination von Struktur und Funktion in neuartigen Werkstoffen beschäftigen wird“, sagt ZGH-Sprecher Prof. Dr.-Ing. Alfred Ludwig, zugleich Sprecher des Materials Research Departments, Institut für Werkstoffe der RUB.
Rektor Prof. Dr. Elmar Weiler freut sich über den bewilligten Forschungsbau: „Das ZGH wird Bochum auf diesem Gebiet eine internationale Spitzenstellung verschaffen.“
Höchstleistungswerkstoffe entwickeln
Baubeginn ist voraussichtlich 2014; im Frühjahr 2016 soll das ZGH fertiggestellt sein. Mit einer Gesamtnutzfläche von etwa 2.800 Quadratmetern verbindet es die Gebäude IA und IB auf der Nordseite des Uni-Campus. Das Zentrum bietet rund 80 zusätzlichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Platz, die fachübergreifend neue Höchstleistungswerkstoffe erforschen.
„Materialforschung als großer gemeinsamer Forschungsschwerpunkt mehrerer Disziplinen wie Ingenieurwissenschaften, Chemie und Physik kennzeichnet das Profil der RUB und beruht auf einer jahrzehntelangen Tradition“, so Ludwig.
Know-how aus 20 Arbeitsgruppen
Das Forschungskonzept des ZGH fußt auf dem Know-how der Werkstoffforscher, die im fakultätsübergreifenden Materials Research Department der RUB organisiert sind. ZGH-Projekte kommen aus insgesamt 20 Arbeitsgruppen; Forschungspartner an den Max-Planck-Instituten für Eisenforschung in Düsseldorf und für Kohleforschung in Mülheim sowie am Forschungszentrum Jülich und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt sind beteiligt.
Durch das ZGH werden die Kontakte zu führenden Institutionen der internationalen Materialforschung sowie der Industrie zielgerichtet weiter ausgebaut.
Hersteller und Anwender von Höchstleistungswerkstoffen, wie viele namhafte deutsche Industrieunternehmen, können von den zu erwartenden ZGH-Werkstoffinnovationen profitieren. Ein zu gründendes Applied Competence Cluster erlaubt dazu den raschen Transfer von Forschungsergebnissen aus dem ZGH in die Industrie.
Mehrere neue Juniorprofessuren und Nachwuchsgruppen werden zudem den wissenschaftlichen Nachwuchs verstärkt fördern. „Das ZGH wird sich hier als interdisziplinäres Nachwuchszentrum etablieren, das optimale Möglichkeiten bietet, um eine frühe wissenschaftliche Eigenständigkeit zu entfalten“, so Ludwig.
Grenzflächen-Engineering
Ob in Turbinen für die Luftfahrt und zur Energieerzeugung, in automobilen Hybrid- oder Elektroantrieben, in elektrochemischen Zellen zur Energiespeicherung (zum Beispiel Lithium-Ionen Batterien) oder bei der umweltfreundlichen Energieträgererzeugung und Energiewandlung in Brennstoffzellen und katalytischen Reaktoren: Eine lange Lebensdauer unter extremen Bedingungen – hohe Temperaturen, hohe Drücke oder aggressive Umgebungen – ist die wesentliche Anforderung an Höchstleistungswerkstoffe.
Sie zeichnen sich durch sehr hohe strukturelle Integrität und gleichzeitige Multifunktionalität aus. Die Grenzflächen in diesen Werkstoffen können deren mechanische Eigenschaften deutlich verbessern und neue chemische oder elektronische Funktionalitäten erschließen.
Das ZGH erforscht metallische, halbleitende und dielektrische Werkstoffe durch ein umfassendes Verständnis und Design von Grenzflächen. In drei Schwerpunkten werden mechanisch, chemisch und physikalisch dominierte Höchstleistungswerkstoffe durch ein verbessertes grundlegendes Verständnis und die Kontrolle von Grenzflächen auf atomarer Ebene und die Übertragung der Erkenntnisse auf makroskopische Werkstoffe gezielt weiterentwickelt.
Die Forscher wollen dabei neuartige Werkstoffe mit bisher ungenutzten strukturell-funktionell kombinierten Eigenschaftsprofilen designen. Das erfordert eine intensive fachübergreifende Zusammenarbeit von Arbeitsgruppen der Werkstoffkonzeption, -modellierung, -synthese, -prozessierung und -charakterisierung.
Atomare Strukturen
„In einem rohstoffarmen Land sind Höchstleistungswerkstoffe der Schlüssel zu neuen Produkten und Verfahren“, so Ludwig, „gerade im Hinblick auf die eng verzahnten Themen Energie, Mobilität und Umwelt.“ Zur Ausstattung des ZGH gehören modernste Verfahren zur Werkstoffcharakterisierung wie aberrationskorrigierte Transmissionselektronen-Mikroskopie und die dreidimensionale Atomsonden-Tomographie, mit denen Werkstoffe und ihre Grenzflächen von ihrer atomaren Struktur aus verstanden und dann gezielt entwickelt werden können.
Die enge Verknüpfung von skalenübergreifenden Werkstoffsimulationen und experimentellen Ergebnissen auf atomarer, mikro- und makroskopischer Ebene zeichnet das ZGH-Forschungsprogramm besonders aus.