Medizin Das Geschäft mit dem Sterben
Überflüssige Behandlungen kurz vor dem Tod sorgen für unnötiges Leid und verursachen hohe Kosten.
Wenn Sterbende kurz vor ihrem Tod noch Chemotherapie, Bestrahlung und Operationen über sich ergehen lassen müssen, vergrößert das ihr Leid und verhindert einen würdevollen Abschied.
Weil die Vergütung im Gesundheitssystem diese Überbehandlung belohnt, sind immer mehr Schwerkranke betroffen. In seinem Buch „Patient ohne Verfügung“, das am 1. September 2016 im Piper-Verlag erscheint, gibt Dr. Matthias Thöns, Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Allgemeinmedizin der Ruhr-Universität Bochum (Prof. Dr. Herbert Rusche) Anregungen für Veränderungen.
Jeder dritte Sterbenskranke erhält in den letzten Lebenswochen Chemotherapie, Apparatemedizin oder gar Wiederbelebung, jeder zweite Deutsche stirbt in der Klinik. Matthias Thöns berichtet aus seinem Alltag als ambulant tätiger Palliativmediziner. Er beschreibt selbst erlebte Schicksale und erläutert die Hintergründe laienverständlich.
Vergütungssystem verschärft das Problem
So wird das Problem der überflüssigen Apparatemedizin am Lebensende durch das 2004 eingeführte Vergütungssystem im deutschen Gesundheitswesen gespeist: Viele Eingriffe bei schlimmen Diagnosen werden von den Krankenkassen besonders hoch bezahlt – und die Ärzte an diesen Gewinnen durch „Bonusverträge“ beteiligt.
Obwohl der Politik das Problem bekannt ist, fanden sich im Jahr 2015 solche Klauseln noch in 97 Prozent der Chefarztverträge an deutschen Kliniken. „Längst warnen auch Fachverbände, die Bundesärztekammer, der Deutsche Ethikrat und die Bertelsmann-Stiftung vor der Problematik“, unterstreicht Matthias Thöns.
Immense Kosten und großes Leid
Neben dem zusätzlichen Leid der Sterbenskranken verursacht die Übertherapie auch immense Kosten: Bis zu 25 Prozent der Gesamtausgaben der Krankenkassen fließen hinein. Fast jeder zweite Euro ambulanter Pflegeleistungen wird für zumeist ungewollte „Apparatemedizin zu Hause“ ausgegeben.
Hausärzte haben es in der Hand
Hausärzte besäßen eine Schlüsselposition, diese Missstände zu verändern, legt Thöns dar: So werden durch die hausarztzentrierte Versorgung weniger Patienten sinnlos in Kliniken eingewiesen und unnötige Eingriffe vermieden. „Hausärzte sollten sich als neutrale Zweitmeinungsberater engagieren“, sagt Matthias Thöns. „Zweitmeinung vermeidet Studien zufolge bis zu 60 Prozent der unnötigen Eingriffe.“