Hans Alves (links) und Jan Baedke erhalten eine Forschungsförderung vom Europäischen Forschungsrat.
Forschungsförderung
ERC Consolidator Grants für Hans Alves und Jan Baedke
Mit den Millionenförderungen untersuchen die Forscher die verzerrte Wahrnehmung statistischer Zusammenhänge und die Geschichte und Philosophie von Pflanzensammlungen.
Zwei Forscher der Ruhr-Universität Bochum freuen sich über Auszeichnungen des Europäischen Forschungsrats ERC: Prof. Dr. Hans Alves aus der Psychologie und Prof. Dr. Jan Baedke aus der Philosophie erhalten jeweils einen mit zwei Millionen Euro dotierten ERC Consolidator Grant. Die renommierte Forschungsförderung hat eine Laufzeit von fünf Jahren. Hans Alves untersucht die verzerrte Wahrnehmung statistischer Zusammenhänge; Jan Baedke rekonstruiert die Geschichte und Philosophie von Pflanzensammlungen, sogenannten Herbarien.
Verzerrte Statistik
Wie entstehen verzerrte Bilder von sozialen Gruppen – etwa von Frauen und Männern, Zugewanderten und Einheimischen oder ethnischen Minderheiten? Warum erscheinen Unterschiede und Ungleichheiten in der öffentlichen Debatte manchmal dramatischer, als es die Statistiken nahelegen – und in anderen Fällen eher verharmlost?
Diesen Fragen geht Hans Alves nach. Er entwickelt ein neues Modell der sozialen Wahrnehmung, das viele Verzerrungen auf einen einfachen, bislang unterschätzten Mechanismus zurückführt: die Häufigkeit bestimmter Merkmale in unserer sozialen Umwelt. Das „Attributfrequenz-Modell“ geht davon aus, dass wir Gruppen je nachdem unterschiedlich beurteilen, ob wir über seltene oder über häufige Merkmale nachdenken – etwa über Arbeitslosigkeit (selten) oder Beschäftigung (häufig), über Spitzenpositionen oder durchschnittliche Jobs, über schwere Straftaten oder den normalen, meist konfliktarmen Alltag. „Wenn wir uns auf seltene Merkmale konzentrieren, wirken Gruppenunterschiede in der Regel größer und Ungleichheiten extremer; wenn wir über häufige Merkmale nachdenken, erscheinen dieselben Gruppen oft deutlich ähnlicher und Ungleichheiten kleiner“, erklärt er.
Das ERC-Projekt untersucht diese Annahmen mit einem breiten Methodenmix. Ein zentrales Ziel des Projekts ist es, konkrete Empfehlungen zu entwickeln, wie Informationen über soziale Ungleichheiten besser dargestellt werden können – etwa durch die gleichzeitige Darstellung seltener und häufiger Merkmale oder durch Kennzahlen, die weniger anfällig für Verzerrungen sind.
Das Projekt namens „The Attribute Frequency Model: Understanding and Mitigating Biases in Social Perception“ startet im Oktober 2026.
Das Vermächtnis der Herbarien
Rund 400 Millionen Pflanzenexemplare sind in Herbarien weltweit konserviert – ein wahrer Schatz. Heute werden die Pflanzen und ihre Metadaten digitalisiert, genetisch untersucht und die Ergebnisse mit Umweltdaten der Gegenwart zusammengebracht – in der Hoffnung, aus der Pflanzenevolution der vergangenen vier Jahrhunderte zu lernen, wie etwa etablierte Nutzpflanzen so weiterentwickelt werden können, dass sie trotz Klimawandel nutzbar bleiben.
Jan Baedke interessiert sich dafür, wer die Menschen waren, die die Pflanzensammlungen anlegten, und wie sie dabei auswählten. Oft handelte es sich nicht um Wissenschaftler, sondern um indigene Akteure. „In dem Projekt geht es mir darum, epistemische Ungerechtigkeiten offenzulegen, die lokale Akteure erfahren haben, beispielsweise, ob sie als Expert*innen nicht anerkannt wurden oder ihr Pflanzenwissen unterdrückt oder nicht verbreitet wurde“, erzählt Baedke. Das sei auch für die moderne Forschung relevant, weil es zu Bias in den Daten geführt haben könne, und dieser könne beeinflussen, wie gut sich die Daten für Vorhersagen nutzen lassen.
Das Projekt trägt den Titel „Botanical Legacies: Towards a New History and Philosophy of Virtual Herbaria“, kurz BOTLEG, und startet Mitte 2026.