Serie 500 Jahre Reformation
Mehr Pluralität tut dem Christentum gut, mein Prof. Dr. Matthias Sellmann. © RUB, Marquard

Bibelübersetzung „Eine unschätzbare Pionierleistung“

Martin Luther machte die Lehren Gottes allen Menschen zugänglich. Im Interview erinnert Matthias Sellmann an die bedeutendsten Folgen der Reformation.

Was verbinden Sie mit Martin Luther?
Martin Luther ist für mich vor allem der Mann, der die Bibel ins Deutsche übersetzt hat. Eine unschätzbare Pionierleistung für unsere Kultur! Für mich als Christen und als Profi für Theologie ist aber noch wichtiger: Er hat der Bibel zugetraut, für den Alltag und für die sogenannten einfachen Leute relevant zu sein. Er wollte in keiner Welt leben, in der eine gebildete Religionselite über Gott Bescheid zu wissen glaubt. Jede und jeder sollte Zugang zu den Gotteserfahrungen bekommen, die die Bibel deutet.

Was war Ihrer Meinung nach die bedeutendste Folge der Reformation, die unsere Gesellschaft heute noch prägt?
Sehr bedeutend ist meines Erachtens das Entstehen einer zweiten Großinterpretation des Christseins in Form der verfassten evangelischen Kirche. Das sage ich als Katholik: Der blinde Fleck meiner Konfession wird durch die evangelische Deutung nicht nur als solcher bemerkbar, sondern auch bearbeitbar. Seit der Reformation gibt es mehr Pluralität, wie man Christ oder Christin sein kann. Das ist meiner Meinung nach nicht nur für Kirche gut, sondern auch insgesamt für das Projekt einer modernen liberalen Gesellschaft.

Zur Person

Prof. Dr. Matthias Sellmann ist katholischer Theologe und Sozialwissenschaftler und leitet an der RUB den Lehrstuhl für Pastoraltheologie. 2012 gründete er das Zentrum für angewandte Pastoralforschung, kurz ZAP. Das Ziel dieses Zentrums ist keine Reformation, wohl aber die Arbeit an der Innovation von Kirche in all ihren organisatorischen Facetten: Wie kann das Freiwilligen-Management verbessert werden? Welche neuen Berufe entstehen gerade? Wie kann man auf Youtube besser performen?

Was glauben Sie, wie sich die christliche Kirche in Zukunft verändern wird?
Eine große Frage, vor allem für jemanden, der unablässig genau darüber nachdenkt! Ich greife einfach die sieben Adjektive auf, die das Bistum Essen als ihr Zukunftsbild veröffentlicht hat. Diese Vision treibt mich an, weil es das Projekt modernen Christseins nicht gegen, sondern mit dem Freiheitsprojekt moderner Säkularität verbindet. Man wird merken, dass Kirche durch Gott „berührt“ und „gesendet“ wurde. Und das macht sie „wach“, „nah“, „vielfältig“, „lernend“ und „wirksam“.

500 Jahre Reformation

Im Jahr 2017 wird in Deutschland und anderen Ländern das 500. Reformationsjubiläum gefeiert. Auch wenn die Erneuerungsbewegung ein jahrzehntelanger Prozess war, gilt der 31. Oktober 1517 als ihr Auftakt. An diesem Tag soll Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel der Kirche und die Käuflichkeit kirchlicher Ämter veröffentlicht haben. Die Bewegung führte nicht nur, wie anfangs beabsichtigt, zu einer Reformation der römisch-katholischen Kirche, sondern zur Spaltung des westlichen Christentums. Sie wirkte aber auch weit über den religiösen Bereich hinaus und beeinflusste Wirtschaft, Politik, Recht, Kunst, Sprache und Soziales.

Veröffentlicht

Mittwoch
11. Oktober 2017
09:23 Uhr

Von

Julia Weiler

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