Simon Grosse-Wilde erzählt sogenannte Stoffgeschichten.
© RUB, Marquard

Lehre Wie man spannend über Plastiktüten schreibt

Eine neue Lehrmethode verknüpft Naturwissenschaft mit Geschichtenerzählen und soll uns so zum Nachdenken anregen.

Dass Plastiktüten nicht auf Bäumen wachsen, dürfte jedem klar sein. Allenfalls pustet der Wind sie in das Geäst. Aber woher kommen sie, diese kleinen geisterhaften Objekte von der Obst- und Gemüsetheke, die zu Tausenden die Länder erobern und längst auch die Meere besetzt haben?

So ähnlich könnte sie wohl beginnen, die Stoffgeschichte der Plastiktüte. Stoffgeschichten sind ein noch junges Lehrkonzept mit dem Anspruch, naturwissenschaftliche Themen in einem fachübergreifenden Licht darzustellen und für die breite Öffentlichkeit verständlich aufzuarbeiten. Dabei ist vom Autor der Spagat zwischen wissenschaftlich korrekter Information und ansprechender, leicht zugänglicher Erzählart gefordert.

Stoffgeschichten als Projektarbeit

Simon Große-Wilde vom Lehrstuhl für Technik- und Umweltgeschichte ist an der RUB Wegbereiter für diese neue Methode. In seinem Seminar „CO2 bis Plastiktüte – Stoff- und Objektgeschichte als neue Forschungsmethode“ möchte er Studierenden beibringen, über die Grenzen ihres Fachbereichs zu blicken und ihre eigene kurze Stoffgeschichte als Abschlussprojekt zu schreiben. Im Sommersemester 2018 wird das Seminar erstmals angeboten werden.

„Stoffgeschichten beschäftigen sich nicht nur mit den chemischen und physikalischen Eigenschaften von Stoffen. Es geht vor allem um die alltäglichen Produkte, die daraus entstehen. Die Plastiktüte ist ein gutes Beispiel für so ein Alltagsprodukt, das jeder kennt und benutzt. Aber nur wenige machen sich Gedanken, wie dieses Produkt entsteht und wie es sich auf uns und unsere Umwelt auswirkt“, sagt Große-Wilde. „Stoffgeschichten sollen die Menschen animieren, über ihr Handeln nachzudenken, es zu hinterfragen und dann eventuell zu ändern“, ergänzt er.

Gewohnheiten zum Abgewöhnen

Bei der Plastiktüte sei nach Große-Wilde eine Verhaltensänderung dringend nötig. „Wie oft sieht man es an der Supermarktkasse, dass die Leute zwei Tomaten in eine Plastiktüte packen, dann zwei Äpfel in die nächste, dann kommen die Birnen in eine dritte. Das muss nicht sein“, so der Historiker und Chemiker.

Wussten Sie schon, dass …

... zur Herstellung von Plastik Erdölbestandteile notwendig sind? Meist wird ein grobkörniges Granulat produziert, das sich bei hoher Temperatur schmelzen und dann leicht zu diversen Produkten verarbeiten lässt. Für die Produktion der Plastiktüte zieht eine Maschine eine Art Endlosschlauch aus dem geschmolzenen Plastik in die Höhe. Ein Luftstrom pustet den Schlauch bis zur Decke der Fabrikhalle, wobei er abkühlt und zu der Folie erstarrt, die wir von den Tüten kennen.

Das Problem der Plastiktüte: Gelangt sie unachtsam oder vorsätzlich in die Umwelt, dauert es Jahre oder Jahrzehnte, bis sie sich zersetzt. Im Meer fressen Fische zum Beispiel kleine Plastikteilchen, die sie mit Futter verwechseln. Das Plastik reichert sich so in der Nahrungskette an. Am Ende können Bestandteile der Kunststoffe auch beim Mensch auf dem Teller landen.

Zwar ist der Pro-Kopf-Verbrauch an Plastiktüten in Deutschland 2016 von 68 auf 45 Stück gefallen, wie die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung berichtet. Doch damit gingen 2016 noch immer 3,7 Milliarden Plastiktüten über die Ladentheke – durchschnittlich 117 Tüten pro Sekunde. „Damit ist die Plastiktüte ein Sinnbild für den leichtfertigen Umgang mit Ressourcen“, so Große-Wilde.

Statt Plastik

„Die Alternativen, Tüten aus Papier oder Biokunststoff, sind oftmals leider auch nicht optimal“, gibt Große-Wilde zu Bedenken. Zur Herstellung von Papiertüten muss viel mehr Energie aufgewendet werden als für die herkömmliche Plastiktüte auf Erdölbasis. Und sogenannte Biokunststoffe sind trotz des verheißungsvollen Namens oft nicht kompostierbar oder werden wie herkömmliches Plastik aus den schwindenden Erdölreserven hergestellt.

Ideal wäre es, komplett auf die Plastiktüte zu verzichten. Als angemessene Alternative empfiehlt Große-Wilde den Jutebeutel. Dieser habe zwar einen noch größeren Energiebedarf in der Herstellung, halte dafür aber mehrere Jahre. „Spätestens ab der 30. Nutzung tut man dann der Umwelt etwas Gutes“, so der Experte.

Veröffentlicht

Mittwoch
25. Oktober 2017
09:29 Uhr

Von

Christian Lüttmann

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