Hat die Menschenrechte im Blick: Markus Kaltenborn
© RUB, Kramer

Menschenrechte „Auch wir sind in die Pflicht genommen“

Bis zum Jahr 2030 wollen die Vereinten Nationen die Welt für alle Menschen besser gemacht haben. Markus Kaltenborn hat die Agenda mit Kollegen reflektiert.

Zu Beginn des Jahrtausends hatten sich Vertreterinnen und Vertreter aller Nationen auf acht große Ziele verständigt, die die Welt bis zum Jahr 2015 besser machen sollten: So sollte etwa die extreme Armut halbiert und die Kindersterblichkeit reduziert werden. An dem Vorhaben gab es aber auch Kritik. Inzwischen sind neue Ziele vereinbart, eine Agenda 2030, die Expertinnen und Experten auf einer Tagung im Juni in Bonn reflektierten. Prof. Dr. Markus Kaltenborn vom RUB-Institut für Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik war einer der Organisatoren.

Prof. Kaltenborn, im Jahr 2000 waren sich alle Länder einig, dass die acht Millennium Development Goals hehre Ziele sind. Warum gab es später dennoch Kritik an ihnen?
Zunächst muss man sagen, dass die Millennium Development Goals ein großer Erfolg waren. Die meisten von ihnen wurden erreicht, zum Beispiel die extreme Armut auf der Welt zu halbieren – vor allem durch Anstrengungen von China. Der Anstoß für Kritik kam aus der menschenrechtlichen Perspektive, die fragt: Wie kann man sich bloß die Hälfte der Armen zum Ziel nehmen und die andere Hälfte ausblenden? Wer aus dieser Sicht argumentiert, sieht, dass die Ziele zu kurz greifen, weil die Hälfte der Menschen außen vor bleibt.

Kritik gab es aber auch, weil die Ziele zu wenig Beteiligung der armen Länder ermöglicht haben. Letztendlich war es ein Maßnahmenkatalog, den sich die reichen Nationen im Norden ausgedacht haben.

Keiner soll zurückgelassen werden.

2015 haben sich die Vereinten Nationen auf 17 neue Ziele verständigt, die bis zum Jahr 2030 erreicht sein sollen. Was ist dabei neu? Und was besser?
Die Armut zu bekämpfen ist nach wie vor das oberste Ziel. Nun hat man sich aber vorgenommen, die extreme Armut bis 2030 gänzlich zu tilgen. Der Grundsatz für die gesamte Agenda lautet: Leave no one behind. Keiner soll zurückgelassen werden. Das ist ein zutiefst menschenrechtlicher Ansatz.

Ein wesentlicher neuer Aspekt ist auch, dass nicht nur soziale Fragen im Vordergrund stehen, sondern auch ökologische Aspekte und Nachhaltigkeit. Man hat die entwicklungspolitische Agenda der Millennium Development Goals mit der Nachhaltigkeitsagenda der globalen Umweltpolitik zusammengeführt.

Die Maßnahmen sollen sich nicht mehr nur auf die Schwellen- und Entwicklungsländer konzentrieren. Auch die Länder im Norden, also auch wir, sind in die Pflicht genommen, die Entwicklungsziele umzusetzen – zum Beispiel dafür zu sorgen, dass unsere Wirtschaftsstrukturen nachhaltiger gestaltet sind und dass die extreme Ungleichheit zwischen Arm und Reich auch in unseren Ländern reduziert wird.

Das klingt sehr ambitioniert.
Auch die Millennium Development Goals waren sehr ambitioniert, aber man hat vieles davon erreicht. Etwas Ähnliches erhofft man sich bei den neuen Zielen. Sicherlich werden wir nicht alles umsetzen können. Wir sehen ja jetzt schon, dass die Bekämpfung des Klimawandels uns vor große Herausforderungen stellt. Auch die Ungleichheit in der Welt zu mindern wird wohl überambitioniert sein.

Wir sollten jetzt nicht zu pessimistisch sein.

Aber vieles andere kann gelingen, im Bereich der Armutsbekämpfung etwa, wo derzeit viel in den Aufbau sozialer Sicherungssysteme investiert wird. Auch im Bereich der Ernährungs- und Gesundheitssicherung kann es zu großen Fortschritten kommen. Nachdem die Millennium Development Goals recht erfolgreich waren, sollten wir jetzt nicht zu pessimistisch sein.

Die Sustainable Development Goals standen im Mittelpunkt der Tagung, die Sie gemeinsam mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie dem Centre for Human Rights in Erlangen-Nürnberg ausgerichtet haben. Was waren die Hauptthemen der Konferenz?
Es ging vorrangig um die Armutsbekämpfung, die globale Gesundheitssicherung, Geschlechtergerechtigkeit, gute Arbeitsbedingungen in der Welt, politische Stabilität und den Klimawandel. Alles vor dem Hintergrund der Menschenrechte.

Was hat denn der Klimawandel mit den Menschenrechten zu tun?
Wenn der Klimawandel weiter fortschreitet und Menschen in prekäre Lebensbedingungen bringt, sodass sie ihre Länder verlassen oder den Hungertod fürchten müssen, dann sind wir bei den Menschenrechten.

Es geht um die Verantwortung der Staaten füreinander.
Ja, auch das war ein großes Thema unserer Tagung, die globale Partnerschaft. Insbesondere die Verantwortung des reichen Nordens gegenüber dem ärmeren Süden. Die Europäische Union und die deutsche Regierung könnten viele wichtige Beiträge leisten, damit die Bedingungen in anderen Ländern deutlich besser wären.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel könnten sie bei dem Export von Waffen darauf achten, dass sie nicht in die falschen Hände geraten und neue Fluchtursachen schaffen. Oder gerechtere Handelsstrukturen aufbauen und eine faire Umweltpolitik betreiben, die im Süden gesündere Lebensbedingungen schafft.

Wir sind alle gefragt.

Können wir uns zurücklehnen und darauf warten, dass die Regierungen es schon richten werden?
Wir sind alle gefragt. Es gibt genügend Ansatzpunkte. Gegen den Klimawandel kann jeder etwas tun, durch nachhaltiges Konsumverhalten oder indem er hin und wieder mal das Auto in der Garage stehen lässt. Die Hauptverantwortung sehe ich aber darin, sich über die Arbeit der eigenen Regierung zu informieren und sie regelmäßig daran zu erinnern, was zu tun ist, um die Ziele zu erreichen. Das kann man durch sein Wahlverhalten tun, aber auch durch zivilgesellschaftliches Engagement oder durch die Teilnahme an Demonstrationen.

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Haben Sie sich auf der Tagung auch mit Vertretern aus der Praxis ausgetauscht?
Ja. Aus der Entwicklungspolitik waren Praktiker da, die für die deutsche Regierung und für internationale Organisationen arbeiten oder die bei Nichtregierungsorganisationen tätig sind.

Welches Fazit ziehen Sie aus der Veranstaltung?
Ich war sehr zufrieden, weil wir zwei Gruppen zusammengeführt haben, die sonst nicht häufig miteinander diskutieren: die entwicklungspolitisch Engagierten und die Menschenrechtler. Sie arbeiten an ähnlichen Zielen, aber es findet selten Austausch statt. Den haben wir ermöglicht.

Soziale Sicherungssysteme und Menschenrechte

Markus Kaltenborn beschäftigt sich in seiner Forschung mit dem Zusammenspiel von Entwicklungspolitik und Recht, wobei die Menschenrechte eine zentrale Rolle spielen. Hauptsächlich arbeitet der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht zu sozialen Sicherungssystemen in Entwicklungsländern. In einem Projekt, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert, vergleicht er etwa den Aufbau eines Krankenversicherungssystems in einem afrikanischen und einem asiatischen Land aus einer menschenrechtlichen Perspektive. In einem anderen Projekt nimmt er die Arbeits- und Sozialstandards in der asiatischen Textilindustrie in den Blick.

Unveröffentlicht

Von

Julia Weiler

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