Da Verletzungen des Zentralen Nervensystems nicht heilen, bleiben Behinderungen ein Leben lang.
© RUB, Kramer

Medizin Neues Medikament gegen Neuromyelitis optica erfolgreich getestet

Die seltene Autoimmunkrankheit ist verwandt mit der Multiplen Sklerose – aber verläuft meist schwerwiegender.

Ein internationales Forschungskonsortium hat das Medikament Satralizumab erstmals in einer Phase-III-Studie an Patienten getestet. Der Wirkstoff ist zur Therapie der Autoimmunkrankheit Neuromyelitis optica gedacht, die mit der Multiplen Sklerose verwandt ist, aber deutlich seltener auftritt. Patientinnen und Patienten, die zusätzlich zu einer Basis-Immuntherapie mit Satralizumab behandelt wurden, erlitten seltener einen Rückfall als Patienten, die ein Plazebo erhielten. Satralizumab hatte jedoch keinen Effekt auf Schmerzen und Müdigkeit.

Die Ergebnisse sind am 28. November 2019 online im New England Journal of Medicine erschienen. An der multizentrischen Studie unter Leitung des National Center of Neurology and Psychiatry in Tokio, Japan, war auch die Neurologische Klinik des St. Josef-Hospitals Bochum (Direktor Prof. Dr. Ralf Gold) unter Leitung von Prof. Dr. Ingo Kleiter, Klinik der Ruhr-Universität Bochum (RUB), beteiligt.

Satralizumab ist derzeit außerhalb von Studien noch nicht als Medikament erhältlich, der Abschluss des Zulassungsverfahrens wird für das Jahr 2020 erwartet.

Randomisierte kontrollierte Studie

„Die Ergebnisse sind ein Durchbruch für die Behandlung der Neuromyelitis optica“, sagt Prof. Dr. Ingo Kleiter, Mitglied der Medizinischen Fakultät der RUB und Ärztlicher Leiter der Marianne-Strauß-Klinik in Berg. „Erstmals konnte in einer randomisierten kontrollierten Studie gezeigt werden, dass die spezifische Hemmung eines Botenstoffs im Immunsystem, des Interleukin-6-Rezeptors, den Erkrankungsprozess stoppen kann. Zusammen mit zwei anderen kürzlich erprobten neuartigen Medikamenten, Eculizumab und Inebilizumab, stehen nun effektive Behandlungsformen für die Neuromyelitis optica – eine unbehandelt zu schwerer körperlicher Behinderung führenden Erkrankung – zur Verfügung.“

An der Studie, die an verschiedenen neurologischen Zentren weltweit lief, nahmen 83 Patientinnen und Patienten teil. Sie wurden zufällig in eine von zwei Gruppen eingeteilt: Die 41 Probanden in der ersten Gruppe erhielten das neue Medikament Satralizumab, die übrigen ein Plazebo; beide Gruppen bekamen zusätzlich eine Basis-Immuntherapie verabreicht, welche die Funktion des Immunsystems hemmt, jedoch allein nicht ausreichend war, die Neuromyelitis optica zu unterdrücken.

Risiko für neue Krankheitsschübe gesenkt

Von den 41 mit Satralizumab behandelten Patienten erlitten acht einen erneuten Krankheitsschub im Untersuchungszeitraum, der 144 Wochen andauerte; in der Plazebo-Gruppe waren es in der gleichen Zeit 18 von 42 Teilnehmern – das Risiko sank also um 62 Prozent. Satralizumab wirkte besonders stark bei Patientinnen und Patienten, bei denen ein bestimmter Antikörper im Blut nachgewiesen worden war, der sogenannte Aquaporin-4-Antikörper. In dieser Gruppe reduzierte sich die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall um 79 Prozent gegenüber einer Placebo-Behandlung. Die Nebenwirkungen waren in beiden Gruppen vergleichbar.

Über die Neuromyelitis optica

Schätzungen zufolge leiden in Deutschland höchstens 2.000 Menschen an Neuromyelitis optica; Frauen sind neunmal so häufig betroffen wie Männer. Die chronisch-entzündliche Autoimmunkrankheit kann in jedem Alter ausbrechen, verläuft schubförmig und schädigt dabei Rückenmark und Sehnerv. In der Regel treten neurologische und körperliche Beeinträchtigungen sehr schnell auf, zum Beispiel Muskelschwäche, Lähmungen und Blindheit.

Die genauen Ursachen der Krankheit sind unbekannt, allerdings scheint dem Protein Aquaporin-4-Antikörper eine bedeutende Rolle zuzukommen. Der Antikörper bindet an den Aquaporin-4-Kanal, der den Wasserhaushalt von Nervenzellen reguliert. Auch das Protein Interleukin-6 ist über verschiedene Mechanismen an der Entstehung der Neuromyelitis optica beteiligt, unter anderem indem es die Entwicklung von Aquaporin-4-Antikörpern und schädlichen Immunzellen im Blut fördert.

Über Satralizumab

Satralizumab ist ein Antikörper, der an den Rezeptor von Interleukin-6 bindet. Dadurch unterbricht er den Interleukin-6-Signalweg, der an der Entstehung von Krankheitsschüben beteiligt ist. Entdeckt wurde diese Wirkung auf Neuromyelitis optica durch Forschungsarbeiten mit der Vorgängersubstanz Tocilizumab, durchgeführt von den Gruppen von Takashi Yamamura in Tokio sowie Ralf Gold und Ingo Kleiter in Bochum.

Förderung

Die Studie wurde von dem Pharamkonzern Chugai Pharmaceutical finanziert, der das Medikament Satralizumab entwickelt hat.

Originalveröffentlichung

Takashi Yamamura et al.: Trial of Satralizumab in Neuromyelitis optica spectrum disorder, in: New England Journal of Medicine, 2019, DOI: 10.1056/NEJMoa1901747

Pressekontakt

Prof. Dr. Ingo Kleiter
Neuroimmunologie
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 32 29280
E-Mail: ingo.kleiter@rub.de

und

Marianne-Strauß-Klinik Berg
Tel.: 08151 261920

Veröffentlicht

Donnerstag
28. November 2019
08:54 Uhr

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