Psychologie Menschen mit erhöhtem Alzheimerrisiko haben Defizite beim Navigieren

Um die Probleme sichtbar zu machen, mussten die Forscherinnen und Forscher sich ein spezielles Versuchsdesign überlegen.

Alzheimerpatienten entwickeln im Verlauf der Erkrankung eine schwere Orientierungslosigkeit und finden auch einfachste Wege nicht mehr. Dass Probleme bei der räumlichen Navigation auch bei Menschen mit einem genetischen Risiko für die Alzheimerkrankheit feststellbar sind, berichtet ein internationales Forschungsteam um Anne Bierbrauer, Dr. Lukas Kunz, Dr. Carlos Gomez und Prof. Dr. Nikolai Axmacher von der Ruhr-Universität Bochum und dem Universitätsklinikum Freiburg in der Zeitschrift Science Advances, online veröffentlicht am 28. August 2020. Das Team aus Bochum, Freiburg, Dortmund, Sevilla, Madrid, Parma und Brüssel untersuchte die Fähigkeit zur Pfadintegration.

Wege ohne äußere Hinweisreize finden

Tiere und Menschen können ihre eigene Position im Raum durch Eigenwahrnehmung aktualisieren und erinnern. „Wenn man nachts aufsteht und im Dunklen den Weg ins Badezimmer finden will, benötigt man – neben dem Wissen über die Anordnung der eigenen Wohnung – einen Mechanismus, der die eigene Position im Raum nachverfolgt, ohne dass man äußere Hinweisreize dazu verwendet“, gibt Anne Bierbrauer ein Beispiel. Diese Fähigkeit wird als Pfadintegration bezeichnet.

Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass die Aktivität der sogenannten Gitterzellen (englisch: grid cells, im Deutschen auch Rasterzellen genannt) im entorhinalen Kortex für diese Fähigkeit verantwortlich ist. Diese Zellen zeigen beim Navigieren durch den Raum ein einzigartiges, regelmäßiges Aktivitätsmuster. Dass der entorhinale Kortex entscheidend für die räumliche Navigation ist, ist schon länger bekannt. Er ist zudem eine der ersten Regionen des Gehirns, die durch die Alzheimererkrankung betroffen sind.

Frühere Studie zeigte Veränderungen in Gitterzellaktivität

In einer früheren Studie hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gezeigt, dass die Gitterzellen bei Menschen mit einem genetischen Risiko für die Alzheimererkrankung eine veränderte Funktion aufweisen. Allerdings konnten die Probanden normal navigieren. „Wir nehmen an, dass sie Kompensationsmechanismen genutzt haben, um ihren Weg zu finden“, erklärt Nikolai Axmacher, „vermutlich äußere Hinweisreize in der Umgebung. In Bochum kann man zum Beispiel an vielen Orten den Förderturm des Bergbau-Museums sehen, der häufig über die Häuserzeilen hinweg sichtbar ist.“

Alzheimerrisiko geht mit Navigationsproblemen einher

In der aktuellen Studie nutzte das Team daher eine Navigationsaufgabe am Computer, bei der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich nicht an äußeren Landmarken orientieren konnten. Die Wissenschaftler verglichen die Navigationsleistung von 202 Probanden ohne genetisches Alzheimerrisiko und 65 Probanden mit genetischem Risiko. Letztere besitzen eine bestimmte Ausprägung des Gens für das Apolipoprotein E, das APOE-ε4-Allel.

Pfadintegration im Computerexperiment: Der Proband startet beim Korb und muss dann nacheinander verschiedene Orte, die durch Bäume markiert werden, ablaufen. Ist er am letzten Baum, der durch einen Apfel gekennzeichnet ist, angelangt, muss er den Weg zurück zum Korb finden, ohne dass dieser weiterhin sichtbar ist. © RUB, Anne Bierbrauer

Probandinnen und Probanden mit genetischem Alzheimerrisiko schnitten beim Navigieren schlechter ab als die übrigen Teilnehmer.

Einblicke in Gitterzellaktivität

Eine zusätzliche Gruppe von Probanden absolvierte die gleiche Aufgabe, während die Forscherinnen und Forscher ihre Hirnaktivität mit funktioneller Magnetresonanztomografie aufzeichneten. Ziel der Untersuchung war es herauszufinden, welche Gehirnprozesse eine Rolle bei der Pfadintegration spielen. Im entorhinalen Kortex fand das Team Gitterzellrepräsentationen, die mit der Navigation ohne äußere Hinweisreize in Zusammenhang standen, was die Rolle dieser Gehirnregion für die Pfadintegration unterstreicht.

„In dieser Studie zeigen wir eine sehr spezifische Einschränkung von gesunden Menschen mit einem genetisch erhöhten Risiko für Alzheimer“, resümiert Lukas Kunz. „Künftig könnte eine solche Verhaltensauffälligkeit vielleicht helfen, Alzheimer früher zu diagnostizieren, bevor gravierende Symptome auftreten.“ Forscher vermuten, dass medikamentöse Therapien bei der Alzheimerkrankheit bislang scheitern, weil die Diagnose zu spät erfolgt.

Förderung

Die Arbeiten wurden unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (Förderkennzeichen 01GQ1705A), von den National Institutes of Health (NIH, Grant 563386), der National Science Foundation (Grant BCS-1724243), der NIH zusammen mit dem National Institute of Neurological Disorders and Stroke (Grant U01 NS1113198-01), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (EXC 1086, SFB 874, SFB 1280), der Emma and Ernesto Rulfo Foundation for Medical Genetics, dem spanischen Ministry of Economy and Competitiveness (Förderkennzeichen SAF2017-85310-R und PSI2017-85311-P), dem Regional Ministry of Innovation, Science and Enterprise, Junta de Andalucia (P12-CTS-2327 to JLC), dem International Center on Aging (0348_CIE_6_E) und Ciberned.

Originalveröffentlichung

Anne Bierbrauer, Lukas Kunz, Carlos A. Gomez, et al.: Unmasking selective path integration deficits in Alzheimer’s disease risk carriers, in: Science Advances, 2020, DOI: 10.1126/sciadv.aba1394

Pressekontakt

Anne Bierbrauer
Abteilung Neuropsychologie
Fakultät für Psychologie
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 21882
E-Mail: anne.bierbrauer@rub.de

Prof. Dr. Nikolai Axmacher
Abteilung Neuropsychologie
Fakultät für Psychologie
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 22674
E-Mail: nikolai.axmacher@rub.de

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Veröffentlicht

Montag
31. August 2020
08:59 Uhr

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