Buch Die Evolution der Religion zwischen Ideenhimmel und Bewusstsein
Volkhard Krech wagt einen ganz neuen Blick auf die Entstehung von Religion als gesellschaftliches Teilsystem.
Wie lässt sich Religion erklären? Und vor allem: Wie lässt sich die Entstehung von Religion erklären? Unbestritten lassen sich in Vergangenheit und Gegenwart weltweit Phänomene finden, die als Religion verstanden werden. Der Religionswissenschaftler Prof. Dr. Volkhard Krech von der Ruhr-Universität Bochum hat sich in seinem jüngst erschienenen Werk „Die Evolution der Religion. Ein soziologischer Grundriss“ diesem Thema detailliert gewidmet. Darin bündelt er seine Forschung aus dem Reinhart-Koselleck-Projekt „THERE – Theorie und Empirie religiöser Evolution“.
Ein neuer Blick
Die Freiräume, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Reinhart-Koselleck-Projekte bieten, hat Volkhard Krech, Direktor des Centrums für religionswissenschaftliche Studien, CERES, bewusst genutzt: Er folgt nicht den üblichen Pfaden, die Entstehung von Religion zu beschreiben. Während derzeit die meisten Ansätze zu einer Theorie religiöser Evolution psychologisch-kognitionswissenschaftlich gehalten sind, versteht er Religion konsequent als sozio-kulturellen Sachverhalt. In dieser innovativen Perspektive entsteht Religion aus gesellschaftlichen Prozessen heraus, wird zu einem gesellschaftlichen Teilsystem und grenzt sich darin von der gesellschaftlichen Umwelt, von psychischen Systemen sowie von organischen und physischen Gegebenheiten ab.
Um die Ausdifferenzierung des Religiösen darzustellen, nimmt er Bezug auf die allgemeine Evolutionstheorie, die Systemtheorie sowie eine semiotisch informierte Kommunikationstheorie und schwenkt seinen Fokus zirkulär von der Gegenwart auf Geschichte und zurück.
Eine Alternative zu gegensätzlichen Ansätzen
Mit seinem Buch präsentiert Krech eine Alternative gegenüber zwei gegensätzlichen Ansätzen, die Evolution von Religion zu verstehen: Während ältere, phänomenologische Entwürfe mehr oder weniger der religiösen Selbstbeschreibung folgen, tendieren viele sozialwissenschaftliche Arbeiten dazu, Religion wegzuerklären und sie vollständig in außerreligiöse Faktoren aufzulösen, etwa in politische und wirtschaftliche Faktoren. Krech arbeitet dagegen Religion als ein gesellschaftliches Subsystem heraus, das ganz eigene Strukturen und Semantiken besitzt und zugleich als eine gesellschaftliche Funktion verstanden werden kann, ohne dass beides in eins fällt.
Kontakt mit Vorfahren aus der Steinzeit
„Am liebsten möchte ich den im Buch verfolgten Ansatz mit Evolutionsbiologinnen und -biologen diskutieren, weil sie die allgemeinen Prinzipien der Evolution bislang am besten erforscht haben“, so Volkhard Krech. „Auch wenn es unmöglich ist, wäre der Kontakt mit unseren Vorfahren aus der Steinzeit hilfreich, weil wir so wenig darüber wissen, wie sie sich gesellschaftlich organisieren und die sie umgebende Welt deuten – und das in einer Zeit, in der die Grundlagen für heutige Prozesse religiöser Kommunikation zwischen den Menschen gesetzt wurden.“
Krech macht in seinem Buch deutlich, dass, auch wenn anhand des Frühstadiums von Religion nachvollzogen werden kann, wie sie sich aus gesellschaftlichen Zuständen heraus entwickelt, die Anfänge von Religion nicht nur in der Vergangenheit liegen, sondern immer auch in der Gegenwart. Anhand der religiösen Evolution lassen sich so neben historischen Verläufen auch systematische Aspekte von Religion ergründen. Dabei wird Religion als Sinnform zur Bearbeitung unbestimmbarer Kontingenz begreifbar. „Religion ist in wissenschaftlicher Hinsicht ein sozialer Tatbestand, der sich aus gesellschaftlichen Strukturen heraus entfaltet. Sie ist weder Menschenwerk, noch fällt sie vom Himmel.“