Wirtschaftswissenschaft Was Manager versehentlich verraten
Ihre Stimme lässt Rückschlüsse auf die Gewinnerwartung von Unternehmen zu. Dem kommt ein Bochumer Team mithilfe Künstlicher Intelligenz auf die Spur.
Manager wissen mehr, als sie sagen – und genau das wollen Analysten und Investoren wissen. Ein interdisziplinäres Team aus den Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum hat gezeigt, dass man dazu nur ganz genau hinhören muss: Die Stimme gibt ungewollt Informationen preis, aus denen sich die Erwartung von Gewinn oder Verlust für das folgende Jahr besser vorhersagen lässt als mit herkömmlichen Methoden auf Basis veröffentlichter Zahlen. Dafür nutzte das Team um Dr. Doron Reichmann, Leiter der FAACT-Forschungsgruppe (FAACT steht für Finance/Accounting/Auditing/Controlling/Taxation), der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät die Methode des Maschinellen Lernens. Unter Rückgriff auf ihre Modelle konnten die Forschenden übliche Kapitalmarktrenditen um neun Prozentpunkte schlagen. Sie veröffentlichten ihre Studie online am 28. Dezember 2022 auf der Plattform SSRN.
Niemand hat seine Stimme komplett unter Kontrolle
Wenn Manager über die Leistung und Gewinnerwartung ihres Unternehmens sprechen, sind sie nicht hundertprozentig transparent: Sie möchten die Dinge in günstigem Licht präsentieren, vor allem gegenüber möglichen Investoren und Analysten. Diese hingegen wollen ein möglichst realistisches Bild und lesen zwischen den Zeilen. „Gewiefte Analysten suchen den persönlichen Kontakt zu Managern, um Stimmungen aus dem Gespräch herauszuhören“, so Doron Reichmann. „Sie wissen, dass die Stimme Informationen preisgibt. Die Bildung von Sprache ist ein so komplexer Vorgang, dass niemand seine Stimme komplett unter Kontrolle hat.“
Worauf genau sie dabei achten, lässt sich allerdings nicht gut beschreiben. „Maschinelles Lernen bietet sich besonders dann an, wenn wir als Menschen für bestimmte Vorgänge keine klaren Regeln definieren können“, sagt Charlotte Knickrehm vom Lehrstuhl für Industrial Sales and Service Engineering. „Wir können beispielsweise Emotionen aus Stimmen ableiten. Wir können das einfach – wie wir das genau machen, ist uns allerdings nicht klar.“ Sie und ihre Kollegen nutzen Verfahren des Maschinellen Lernens, um aus Äußerungen von Managern herauszulesen, ob deren Unternehmen im folgenden Jahr Gewinn oder Verlust machen wird.
Über 8.000 Aufzeichnungen
Dazu haben sie über 8.000 Aufzeichnungen von sogenannten Bilanzpressekonferenzen herangezogen, bei denen Manager mit Investoren und Analysten die finanzielle Entwicklung ihres Unternehmens diskutieren. Diese Audiodateien wurden in Spektrogramme umgewandelt, die die akustischen Informationen visualisieren. Diese Spektrogramme dienen als Input in ein Neuronales Netz, das in der Lage ist, Muster in Bildern zu erkennen. Sie trainierten es mit Daten aus den Jahren 2015 bis 2020, indem sie ihm sowohl die Spektrogramme als auch die Information zur Verfügung stellten, ob das jeweils dazugehörige Unternehmen im Jahr, das der Aufnahme folgte, Gewinn oder Verlust gemacht hatte.
Und es klappte: Die Künstliche Intelligenz konnte sechs bis neun Prozentpunkte besser vorhersagen, ob ein Unternehmen im Folgejahr Gewinn oder Verlust machen würde als herkömmliche Modelle, die auf publizierten Zahlen des Unternehmens beruhten.
Kombination aus Analystenschätzung und Künstlicher Intelligenz funktioniert am besten
In einem zweiten Schritt kombinierten die Forschenden ihre Vorhersage mit Schätzungen über Gewinn oder Verlust durch Analysten. „Das verbesserte die Vorhersage noch einmal erheblich“, berichtet Doron Reichmann. „Die Kombination lag in ihren Prognosen um 40 Prozent besser als die Schätzung der Analysten allein. Das bedeutet, wenn ein Analyst zehn Prozent besser schätzt, ob ein Unternehmen Gewinn oder Verlust machen wird als ein Münzwurf, liegt die Kombination mit unserer Methode 14 Prozent besser. Das klingt wenig, macht aber auf Finanzmärkten eine ganze Menge aus.“
Um zu prüfen, ob sie durch die Anwendung ihrer Methode auch mehr Geld am Aktienmarkt verdient hätten, simulierten die Forschenden einen Aktienkauf bei guter Prognose durch ihre Modelle. Ergebnis: „In den betrachteten Jahren hätten wir den Kapitalmarkt um etwa neun Prozentpunkte geschlagen“, so Doron Reichmann.