Neurobiologie Eine Wohlfühlumgebung für neurale Stammzellen

Verletzungen im zentralen Nervensystem heilen schlecht, weil Hohlräume vernarben. Forschende wollen dem entgegenwirken, indem sie entstehende Lücken so füllen, dass Stammzellen sich darin wohlfühlen.

Forschende aus Bochum und Dortmund haben eine künstliche Zellumgebung erzeugt, die die Regeneration von Nerven begünstigen könnte. Normalerweise heilen Verletzungen im Gehirn oder Rückenmark sehr schwer, weil sich flüssigkeitsgefüllte Hohlräume und Narben bilden, die die Regeneration des Gewebes verhindern. Ein Ansatzpunkt der medizinischen Forschung ist daher, die Hohlräume mit einer Substanz zu füllen, die neuralen Stammzellen optimale Bedingungen bietet, um sich zu teilen und zu differenzieren. Das Team der Ruhr-Universität Bochum und der Technischen Universität Dortmund zeigte, dass positiv geladene Hydrogele das Überleben und die Weiterentwicklung von Stammzellen begünstigen können.

Dr. Kristin Glotzbach und Prof. Dr. Andreas Faissner vom Bochumer Lehrstuhl für Zellmorphologie und Molekulare Neurobiologie kooperierten mit Prof. Dr. Ralf Weberskirch und Dr. Nils Stamm von der Fakultät Chemie und Chemische Biologie der Technischen Universität Dortmund. Die Ergebnisse beschreibt das Team in der Zeitschrift ACS Biomaterials Science and Engineering, einem Journal der American Chemical Society, vom 16. Januar 2024.

Positiv geladene Hydrogele fördern Überleben und Differenzierung

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiteten mit neuralen Stammzellen aus Gehirnen von Mäusen-Embryonen, die sie auf positiv geladenen Hydrogelen kultivierten. „Unser Ziel war es, eine künstliche Umgebung für Zellen zu schaffen, die der natürlichen Zellumgebung im Gehirn nachempfunden ist“, sagt Kristin Glotzbach. „Zellen besitzen eine negativ geladene Ummantelung, auch perizelluläre Matrix genannt. Dadurch haften sie besonders gut an positiv geladenen Substraten.“ Das Besondere an den eingesetzten Hydrogelen war, dass sich ihre positive Ladung in unterschiedlicher Stärke präzise einstellen ließ.

Wie die Versuche zeigten, begünstigten die positiv geladenen Hydrogele das Überleben der Zellen und beeinflussten ihr weiteres Schicksal. Hafteten die Stammzellen auf Hydrogelen mit hoher positiver Ladung, so entwickelten sich die Zellen bevorzugt zu Nervenzellen weiter. Auf weniger positiv geladenen Gelen entstanden dagegen aus den Stammzellen überwiegend Gliazellen, die wichtige Hilfsfunktionen für die Nervenzellen übernehmen.

Beeinflussen zu können, ob sich Stammzellen zu Nerven- oder Gliazellen ausdifferenzieren, wäre von Vorteil. „Je nach vorliegender Verletzung müssen unterschiedliche Zelltypen ersetzt werden“, erklärt Kristin Glotzbach. Nicht nur die Regeneration von Nervenzellen ist wichtig. „Bei bestimmten Krankheiten werden auch Gliazellen angegriffen, die man dann ersetzen möchte. Beispielsweise bei der Multiplen Sklerose wird die Isolierung der Nervenzellen zerstört, die von Oligodendrozyten gebildet wird.“

Zugabe von Wachstumsfaktor verbessert Überlebensrate weiter

Gaben die Forschenden zu den positiv geladenen Hydrogelen noch den Wachstumsfaktor FGF2 hinzu, konnten sie die Überlebens- und Teilungsrate der Zellen zusätzlich steigern. Allerdings differenzierten sie sich dann langsamer in Nerven- und Gliazellen aus.

„In zukünftigen Studien möchten wir die positiv geladenen Gele mit Peptiden oder Bestandteilen von extrazellulären Matrixmolekülen ausstatten und die natürliche Umgebung der Zellen so noch besser simulieren“, sagt Kristin Glotzbach. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen außerdem mit dreidimensionalen Gelen experimentieren, die Höhlungen nach Gehirnverletzungen ausfüllen könnten.

Die Universitätsallianz Ruhr

Seit 2007 arbeiten die drei Ruhrgebietsuniversitäten unter dem Dach der Universitätsallianz Ruhr (UA Ruhr) strategisch eng zusammen. Durch Bündelung der Kräfte werden die Leistungen der Partneruniversitäten systematisch ausgebaut. Unter dem Motto „gemeinsam besser“ gibt es inzwischen über 100 Kooperationen in Forschung, Lehre und Verwaltung. Mit mehr als 120.000 Studierenden und nahezu 1.300 Professorinnen und Professoren gehört die UA Ruhr zu den größten und leistungsstärksten Wissenschaftsstandorten Deutschlands.

Förderung

Das Projekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Grantnummer 397037958) und von der Mercator Stiftung (Mercur PR 2011-0010 to RW und AF) gefördert.

Originalveröffentlichung

Kristin Glotzbach, Nils Stamm, Ralf Weberskirch, Andreas Faissner: Cationic Hydrogels Modulate Neural Stem and Progenitor Cell Proliferation and Differentiation Behavior in Dependence of Cationic Moiety Concentration in 2D Cell Culture, in: ACS Biomaterials Science & Engineering, 2024, DOI: 10.1021/acsbiomaterials.3c01668

Pressekontakt

Prof. Dr. Andreas Faissner
Lehrstuhl für Zellmorphologie und Molekulare Neurobiologie
Fakultät für Biologie und Biotechnologie
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 28851
E-Mail: andreas.faissner@ruhr-uni-bochum.de

Prof. Dr. Ralf Weberskirch
Fakultät für Chemie und Chemische Biologie
Technische Universität Dortmund
Tel.: +49 231 755 3863
E-Mail: ralf.weberskirch@tu-dortmund.de

Dr. Kristin Glotzbach
Lehrstuhl für Zellmorphologie und Molekulare Neurobiologie
Fakultät für Biologie und Biotechnologie
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 25812
E-Mail: kristin.glotzbach@ruhr-uni-bochum.de

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Veröffentlicht

Dienstag
20. Februar 2024
09:19 Uhr

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