
Marie von Lilienfeld-Toal ist Erstautorin der überarbeiteten Leitlinie.
Medizin
Leitlinie zu Atemwegsinfekten bei Blutkrebs überarbeitet
Die Erkenntnisse der vergangenen zehn Jahre sind in die neue Leitlinie eingeflossen, die im renommierten Journal „The Lancet Infectious Diseases“ veröffentlicht ist.
Menschen mit Blutkrebserkrankungen haben durch die Krankheit selbst und die Therapie ein geschwächtes Immunsystem, was zu einer erhöhten Infektanfälligkeit führt. In einer überarbeiteten Leitlinie fassen Expert*innen die Erkenntnisse der vergangenen zehn Jahre über alle Viren zusammen, die Atemwegsinfekte verursachen: Wie gefährlich sind sie im Einzelnen? Wie werden sie diagnostiziert? Sind Hygienemaßnahmen erforderlich? Welche Therapie- und Impfstrategien gibt es? Prof. Dr. Marie von Lilienfeld-Toal vom Institut für Diversitätsmedizin der Ruhr-Universität Bochum ist Erstautorin der Empfehlungen der europäischen Konferenz zu Infektionen bei Leukämie (ECIL) zu Diagnose, Prävention und Behandlung von ambulant erworbenen respiratorischen Virusinfektionen (CARV), die am 27. August 2025 im Journal „The Lancet Infectious Diseases“ veröffentlicht werden.
Infektionen verlaufen gefährlicher
„Besonders in der ersten Phase der Krankheit beziehungsweise während und nach stark immunsuppressiven Therapien, etwa nach eine Stammzelltransplantation, sind Patientinnen und Patienten mit Blutkrebs sehr anfällig für Atemwegsinfekte“, sagt Marie von Lilienfeld-Toal. „Viele Infekte, die ansonsten gesunde Menschen als banal erleben, verlaufen bei dieser Gruppe gefährlicher. Eine Influenza-Infektion verläuft zum Beispiel in zehn Prozent der Fälle tödlich, und die Menschen scheiden das Virus auch länger aus.“ Bei Sars-Cov-2 zeigte sich das erhöhte Risiko ebenfalls deutlich, und Patient*innen waren auch durch Impfungen schlechter geschützt. Je nach Therapie sind Betroffene über die Dauer von etwa einem Jahr besonders infektanfällig.
Für die Überarbeitung der Leitlinie analysierte das Team aktuelle Fachliteratur aus den Jahren 2014 bis 2024. Eingeflossen sind Publikationen zu Adenovirus, Bocavirus, Coronavirus, Influenzavirus, Metapneumovirus, Parainfluenzavirus, Respiratory Syncytial Virus und Rhinovirus bei Patientinnen und Patienten mit hämatologischen Malignomen (Blutkrebs, HM) und/oder hämatopoetischer Zelltransplantation. „In den aktuellen Empfehlungen skizzieren wir ein gemeinsames Vorgehen zur Kontrolle solcher Infektionen, zur Labordiagnostik einschließlich Sars-CoV-2 sowie spezifische Strategien zur Infektkontrolle für Atemwegsinfekte außer Sars-CoV-2“, fasst Marie von Lilienfeld-Toal zusammen.
Impfstoffe und besondere Empfehlungen für kleine Kinder
Zur Vorbeugung werden für Influenzaviren saisonale inaktivierte Impfstoffe und frühzeitige antivirale Therapien empfohlen, während die Expert*innen eine generelle antivirale Prophylaxe nicht befürworten. Für das Respiratory Syncytial Virus (RSV) können zugelassene Impfstoffe je nach lokaler Zulassung in Betracht gezogen werden, auch wenn die Evidenzlage bei Blutkrebs-Patient*innen begrenzt ist. Eine passive Immunisierung mit Palivizumab oder Nirsevimab wird für Kinder unter zwei Jahren empfohlen, jedoch gibt es unzureichende Daten zur prä- oder postexpositionellen Prophylaxe oder Behandlung älterer Kinder oder erwachsener Patient*innen. Bei Patient*innen, die nach einer Stammzelltransplantation ein ausgeprägtes Immundefizit haben, empfiehlt die Leitlinie die Gabe des Wirkstoffs Ribavirin und/oder intravenöse Immunglobuline.
Für andere Atemwegsinfekte stehen lediglich unterstützende Maßnahmen zur Verfügung, die die Immunfunktion verbessern und den Antikörpermangel korrigieren. Dazu gehört auch, die Gabe von kortisonhaltigen Medikamenten möglichst zu reduzieren. „Evidenzlücken bestehen vor allem in den Bereichen Immunisierung und antiviralen Therapien“, sagt Marie von Lilienfeld-Toal.
Empfehlungen an Behandelnde, Angehörige und Patient*innen
Die Empfehlungen sind für alle relevant, die Menschen mit Blutkrebs behandeln. Da virale Atemwegsinfektionen oft aus der Umwelt kommen, ist dies nicht nur in der spezialisierten Klinik relevant, sondern auch in Ambulanzen und hausärztlichen Praxen. Auch pflegende Angehörige können von diesen Informationen profitieren und nicht zuletzt Menschen mit Blutkrebs selbst, die solche Informationen meistens in aufgearbeiteter Form von ihren Behandlern bekommen.