Von links unten nach rechts oben, schön gerade und im Kanzlerinnen-Grün: Rubens-Redakteur Arne Dessaul zeichnet symbolisch die Post ab. Kanzlerin Christina Reinhardt sieht ihm zu.
© RUB, Marquard

Im Kanzlerinnenbüro Die perfekte Gastgeberin

Ihr Büro gleicht einem Taubenschlag, im Stundentakt kommen Besucher. Christina Reinhardt bewirtet sie meist selbst. Doch die neue Kanzlerin kann nicht nur Gastgeberin.

Verloren stehen Bildschirm, Tastatur und Dockingstation auf dem Schreibtisch. Das ist die erste Überraschung an meinem Tag als Kanzlerin der RUB: Dr. Christina Reinhardt hat keinen Computer im Büro.

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„Mein Dienst-Laptop bleibt zu Hause. Hier habe ich keine Zeit zu schreiben“, erklärt sie. Ich frage mich, wie Reinhardt überhaupt regieren kann. Immerhin gehört sie dem Rektorat an, dem obersten Lenkungsgremium der Uni, und ist Chefin der Verwaltung.

„Ich bin ja nicht allein hier.“ Die Kanzlerin blickt hinüber zu ihrer Assistentin. Sylvia Marohn kümmert sich um Termine, Anfragen und Schreiben. Jeden Montagmorgen sitzen die beiden zusammen, um die Woche durchzugehen. Das dauert heute gerade einmal fünf Minuten. „Wir besprechen nur Dinge, bei denen es Irritationen gibt“, erklärt Marohn. Effizient.

Leichte Irritation

Für leichte Irritation sorgt allenfalls die Tischreservierung für den Geschäftstermin am Abend. Aufgrund der Geräuschkulisse eignet sich nicht jeder Tisch im Livingroom. Marohn wird es richten. Jetzt geht sie erst einmal mit Reinhardt und mir neue Anfragen durch:

Marohn: „Die Fakultät für Wirtschaftswissenschaft hat dich eingeladen. Sie möchten wissen, welche Fragen du hast.“
Reinhardt: „Ich möchte gern etwas zu deren Profil und Zielen wissen.“
Marohn: „Brauchst du noch mehr Infos zum Termin mit dem Sonderforschungsbereich?“
Reinhardt: „Ja. Obwohl es letztlich hauptsächlich um Geld geht, denke ich.“

Ich lote zwischendurch meine Rolle aus. Das geht fix. Ich werde nichts entscheiden dürfen: weder eine Baumaßnahme beschließen, noch einen Arbeitsvertrag verlängern. Schade.

Ohne mich

Es wird zudem kein kompletter Tag werden. Zum einen führt die Kanzlerin die ganze Zeit über Gespräche; zwei von ihnen sind so vertraulich, dass ich nicht dabei sein darf. Zum anderen ist ihr Arbeitstag endlos. „Mindestens dreimal pro Woche habe ich Abendtermine“, sagt Reinhardt. An den anderen Abenden sitzt sie daheim am Laptop. Ohne mich.

Während wir uns unterhalten, wartet im Vorzimmer schon das erste vertrauliche Gespräch; ich kann eine Pause einlegen.
Die Kanzlerin macht keine Pause. „Früher haben wir immer eine halbe Stunde für einen Snack eingeplant“, sagt Marohn. „Das hat jedoch nie geklappt, wir brauchen jede Lücke.“
Keine Zeit fürs Brötchen? Klingt nach Stress. „Ja, an der RUB ist es stressiger als an der Hochschule Bochum“, vergleicht Reinhardt ihre frühere mit der aktuellen Arbeitgeberin. „Aber mir gefällt's!“ Zugleich räumt sie ein, dass sie „komplett fremdbestimmt“ sei.

10 Uhr, vier Besucher rücken an, darunter ein Biologieprofessor und ein Dezernent. Wie alle Gesprächspartner des Tages hat Marohn sie vorgewarnt, dass ich mit am Tisch sitze und außerdem eine Fotografin anwesend ist. Das Thema ist heikel und wird hier deshalb verschwiegen. Man sitzt sich gegenüber, nicht nur symbolisch. Die Kanzlerin moderiert, übt sanft Druck aus. Das liegt ihr. Gleichwohl geht man früher als geplant auseinander.

Dadurch haben wir unerwartet eine kurze Pause. Reinhardt steht am Fenster und hat nun doch Zeit für einen Snack. Sie pellt ein Ei und isst ein Knäckebrot. Von ihrem Eckbüro aus blickt sie in zwei Richtungen: geradeaus Brücke, Uni-Center, Universitätsstraße, rechts das Studierenden-Service-Center, dahinter die Baukräne der I-Reihe.

Ich sehe mich im Büro um und suche vergeblich nach Unordnung oder zumindest nach Aktenordnern. „Ich muss hier nichts aufbewahren“, erklärt die Kanzlerin. „Ich bin nicht die aktenführende Instanz, das wird alles in den Dezernaten gesammelt. Ich habe es außerdem gern ordentlich.“

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Endlich kann ich etwas machen. Die Postmappen kommen. Drei Stück. Darin auch ausgedruckte E-Mails. „Das Nebeneinander von elektronischer und analoger Post macht uns zunehmend zu schaffen“, erklärt die Kanzlerin. „Dafür zu sorgen, dass all die Infos, die täglich reinkommen, bei den richtigen Personen landen, ist alles andere als trivial. Man darf sich die Umstellung auf digitale Prozesse nicht zu einfach vorstellen." Nach einer Pause ergänzt sie: „Aber sinnvoll ist es.“

Marohn hat alles perfekt vorbereitet. Wir müssen nur grüne Striche (Grün ist an der RUB die Kanzler-Farbe; der Rektor nimmt Rot) durch einen Stempelaufdruck ziehen. Die Striche beweisen, dass wir es gesehen haben. Das reicht. Diesmal erledigen andere die Arbeit. Klasse.

Ab 11 Uhr ist Reinhardt eine Stunde lang zum Telefonieren verabredet. Sie stellt den Lautsprecher ein. Zunächst ruft Jürgen Schlegel an, der Vorsitzende des Hochschulrates der RUB. Er hat eine lange Liste von Fragen. Es geht um die Fakultäten und um die Verwaltung, um Personalstellen und um Baustellen. 30 Minuten lang.

Dann mogelt sich der Rektor mit einem unangemeldeten Anruf kurz dazwischen.

Gelöste Stimmung

Das zweite reguläre Gespräch, ein Briefing für einen Vortrag, läuft schleppend. Die Kanzlerin ist skeptisch, ob es wirklich einen direkten Zusammenhang gibt zwischen Mentoring und Organisationsentwicklung. Auch erscheint ihr der Vortrag als zu lang: „Soweit ich weiß, schalten die Leute nach 30 Minuten ohnehin ab.“

Um 13 Uhr sitzt die nächste Vierergruppe auf den bequemen grünen Sesseln im Kanzlerinnenbüro, das heute einziger Schauplatz bleibt. Bevor es losgeht, versorgt Reinhardt wie üblich die Gäste mit Kaffee, den sie an ihrem Vollautomaten zubereitet. Die perfekte Gastgeberin.

Thema ist der Bau des sogenannten Data-Centers, das bald das Rechenzentrum ablösen soll. Wir diskutieren anderthalb Stunden lang eifrig über Zahlen. Die Stimmung ist gelöst, man duzt sich. Ich gucke interessiert und stelle eine Zwischenfrage, die auch beantwortet wird.

Die Kanzlerin ist voll in ihrem Element, die Campusentwicklung hat sie sich groß auf die Fahne geschrieben. Für mich ein weiterer Grund, nicht dauerhaft Kanzlerin zu sein.

Langsam wird es warm. Reinhardt legt das Sakko ab. Die Fenster zur I-Reihe sind längst sperrangelweit geöffnet, Baulärm dringt ins Büro. Doch das passt, denn auch beim Treffen mit dem Direktor des Deutschen Bergbau-Museums geht es um Gebäude: Soll man das Haus der Archäologie komplett, statt wie bisher nur halb, anmieten? Oder gar kaufen? Schon wieder Zahlen. Mir wird schwindlig.

Schnell was dazugelernt

Zum Glück ist das nächste Thema weniger sperrig: Eine Stelle für das Schülerlabor wird neu ausgeschrieben. Labor-Leiterin Prof. Dr. Katrin Sommer möchte sie mithilfe der Kanzlerin von einer Tarif- in eine Beamtenstelle umwandeln lassen. Scheint kein Problem zu sein. Diesmal gibt es statt Kaffee Wasser: Ich fülle die Gläser. Schnell was dazugelernt.

Aha, Sommer hat ein zweites Anliegen, das sie unter vier Augen erörtern möchte. Okay, ich verstehe. Damit endet mein Tag als Kanzlerin etwas früher als vorgesehen um kurz nach 16 Uhr. Für die echte Kanzlerin ist da der Arbeitstag erst zur Hälfte geschafft.

Da könnte ich nicht mehr mithalten. Ich bin erledigt und frage mich, woher diese engagierte und quirlige Kanzlerin all ihre Energie nimmt.

Unveröffentlicht

Von

Arne Dessaul

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