Mikhaila Steenkamp is a Chancellor Fellow from South Africa. 

© RUB, Marquard

Diversität „Wir müssen unsere Lehrkräfte besser unterstützen“

Mikhaila Steenkamp ist für ein Jahr zu Gast am RUB-Lehrstuhl für Bildungssoziologie und Sozialisationsforschung. Gefördert wird die Südafrikanerin vom Kanzler-Stipendium der Humboldt-Stiftung.

Rund 10.000 Kilometer liegen zwischen Bochum und Kapstadt, der Stadt am Fuße des Table Mountains. Mikhaila Steenkamp legte sie im Sommer 2024 zurück, um an der Ruhr-Universität am Lehrstuhl von Prof. Dr. Henrike Terhart ein Forschungsprojekt durchzuführen. Im Interview erzählt die Südafrikanerin von ihren bisherigen Erfahrungen auf dem Campus, ihrem Vorhaben und ihrer Hoffnung für die Lehramtsausbildung in Südafrika – und sie verrät uns ihr deutsches Lieblingswort.

Frau Steenkamp, Sie sind seit ein paar Monaten hier in Bochum. Wie gefällt es Ihnen bisher?
Ich bin zum ersten Mal in Deutschland und ganz begeistert. Die Menschen hier sind so freundlich und herzlich. Ich fühle mich sehr wohl. Besonders schön finde ich den Spaziergang durch den Botanischen Garten während der Mittagspause. Das genieße ich sehr. Die Gärten sind wunderschön, und die Zeit, die man in der Natur verbringt, ist so erfrischend.

Wie kam der Kontakt zur Ruhr-Universität zustande?
Ich stieß beim Recherchieren zum Thema Diversität in der Lehramtsausbildung auf die Veröffentlichungen von Frau Terhart. Mir gefiel sehr, was sie zur Bedeutung von Diversity in diesem Kontext zu sagen hatte. Und ich wollte unbedingt mit ihr zusammenarbeiten und von ihr lernen und so kontaktierte ich sie. Wir sprachen miteinander und fühlten uns direkt verbunden.

Woher rührt Ihr Interesse an dem Thema?
Ich begann meine Karriere als Lehrerin. Ich unterrichtete in Südafrika Englisch und Geschichte und erfuhr dabei, wie schwierig es ist, im Alltag meinen Idealen und Vorstellungen des Berufs gerecht zu werden. Es war mir wichtig, auf die vielfältigen Hintergründe meiner Schüler*innen im Unterricht einzugehen und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, darauf einfach nicht genug vorbereitet gewesen zu sein. Ich war mir zwar bewusst, dass die Hilfe, die ich von meinen Kolleg*innen erhielt, eher die Ausnahme als die Regel war – die meisten neuen Lehrkräfte hatten nicht so viel Glück wie ich – und dennoch fühlte ich mich ausgebrannt. 

Und so interessierte ich mich schnell für Fortbildungsangebote für Lehrkräfte. Ich recherchierte zu den Themen teacher professionalization, teacher socialization und diversity education, damit ich dazu beitragen kann, Veränderungen herbeizuführen.

Mit welchen Herausforderungen sahen Sie sich konkret in Südafrika konfrontiert?
Im südafrikanischen Schulsystem als auch in der südafrikanischen Gesellschaft insgesamt gibt es große Ungleichheiten. Etwa 20 Prozent aller Schulen – die meisten davon waren während der Apartheid für weiße Schüler*innen bestimmt – werden überwiegend von Weißen besucht, sind finanziell sehr gut ausgestattet, verfügen über sehr gut ausgebildetes Lehrpersonal und ein gutes Management. 80 Prozent hingegen werden von historisch benachteiligten Persons of colour besucht, weisen große Defizite mit Blick auf Infrastruktur, Lehrkräfteausbildung und Schulmanagement auf. 

An vielen südafrikanischen Schulen kann man die tiefen Ungleichheiten beobachten. 

An der Schule, an der ich unterrichtete, konnte ich diese tiefen Ungleichheiten beobachten. Viele unserer Schüler*innen pendelten täglich aus sozialökonomisch schwachen Gegenden, etwa Townships, zu uns. Wir versuchten, die Bildungslücken so gut wie möglich zu schließen und gegen die internalisierten Minderwertigkeitsgefühle anzureden, sie beispielsweise davon zu überzeugen, dass sie ein Recht haben, zu lernen und akademische Leistungen zu erbringen. Ich versuchte, für sie da zu sein, ein Vorbild zu sein und bin dabei an meine eigenen Grenzen gestoßen.

Was wünschen Sie sich für die Lehramtsausbildung in Südafrika? 
Zunächst kommt die Lehramtsausbildung in Südafrika definitiv zu kurz: Man erwirbt einen Bachelorabschluss und wird nach nur einem Ausbildungsjahr im Bereich Didaktik an die Schulen geschickt, um dort zu 100 Prozent zu unterrichten. Es braucht daher ein vernünftiges Programm für Lehramtsanwärter*innen, welches ihnen den Einstieg erleichtert und sie Schritt für Schritt an den Beruf heranführt.

Die Anforderungen an Lehrkräfte in Südafrika sind zu hoch.

Außerdem sind die administrativen Anforderungen an Lehrkräfte in Südafrika zu hoch. Viele müssen zu viele Rollen neben ihrer eigentlichen Rolle als Lehrkraft erfüllen: sie sind zugleich Psycholog*innen, Mentor*innen, Vertrauenspersonen, kümmern sich darum, dass ihre Schüler*innen genug zu essen oder Kleidung haben. Es wäre gut, wenn Lehrkräfte diese zusätzliche Last nicht tragen müssten. Hier sind Schulleitungen, aber vor allem die Regierung gefragt.

Welches Vorhaben verfolgen Sie hier an der Ruhr-Universität?
Ich interessiere mich zum einen dafür, wie Diversität und Vielfalt im Master of Education, in der Lehrkräfteausbildung an der Ruhr-Universität repräsentiert und vermittelt werden. Zum anderen gucke ich mir die NRW-Richtlinien zu dem Themenbereich an. Wie sehen die Ansätze zur Stärkung von Diversität in NRW aus? Welche Prozesse fördern die positive Auseinandersetzung mit und den Umgang mit Vielfalt in NRW? Und wie gut gelingt die Implementierung, die Umsetzung im schulischen Alltag? Ich analysiere dafür die Lehrpläne und führe Interviews mit jenen, die Lehrkräfte ausbilden, zu ihren Erfahrungen mit Lehrinhalten und -methoden.

Was konnten Sie in der kurzen Zeit schon für sich mitnehmen? Wie ist Ihr erster Eindruck?
Ich bin überrascht, wie ernst das Thema Diversität hier auf dem Campus genommen wird. Vor ein paar Wochen nahm ich an einem Treffen teil, zu dem alle Forschenden eingeladen waren, die sich auf dem Campus mit Diversität befassen. Das war sehr beeindruckend und inspirierend. Das gilt auch für die Lehramtsausbildung an dieser Universität. Es gibt einen viel strukturierteren Prozess, um Lehrkräfte auf Ihren Beruf vorzubereiten. 

Ich erlebe, wie wertvoll der Austausch unter Lehrenden und Forschenden unterschiedlicher Nationen ist. 

Im Moment erlebe ich zudem, wie wertvoll der Austausch unter Lehrenden und Forschenden unterschiedlicher Nationen ist. Ich denke, dass darin sehr viel Potenzial liegt. Ich wünschte, es gebe mehr solcher Programme. Man reflektiert Herangehensweisen, nimmt neue Impulse mit, gibt eigene weiter. Aufgrund der Vergangenheit unseres Landes, der Zeit der Apartheid, blicken wir beispielsweise auf eine lange Geschichte der Bemühungen um den Aufbau einer nicht diskriminierenden und integrativen Gesellschaft zurück. Sowohl Südafrika als auch Deutschland kämpfen gegen Ungleichheiten im Bildungsbereich. Gemeinsam können wir Lösungen finden. 

In einer idealen Welt …
… gebe es mehr finanzielle Unterstützung für Schulen und nachhaltige Unterstützungsangebote für angehende und erfahrene Lehrkräfte. Wir müssen gewährleisten, dass Lehrkräfte über die Energie, die mentalen Kapazitäten und das Fachwissen verfügen, um unterrichten zu können und die gestaltende Kraft zu sein, die sie sein wollen. 

Zur Person

Mikhaila Steenkamp wollte eigentlich Journalistin werden, bevor sie anfing, für den Lehrerberuf zu brennen. Heute begeistert sie sich sowohl für das aktive Lehramt als auch für die Bildungsforschung. Studiert hat Steenkamp Englische Literatur, Journalismus und Medienwissenschaften. 2024 erwarb sie einen Master in Education Policy, Leadership and Change. Steenkamp unterrichtete unter anderem Englisch als Zweitsprache in einer Mittelschule in Südkorea und in Unternehmen in Argentinien. Bevor sie zur Ruhr-Universität kam, forschte sie am Equal Education Law Centre in Kapstadt. Sie spricht neben Englisch und Afrikaans auch ein wenig Spanisch. Aktuell lernt sie die deutsche Sprache. Ihr Lieblingswort? „Ich mag das Wort Fachwerkhaus. Es macht Spaß, das zu sagen, und ich liebe es, durch malerische kleine Dörfer zu spazieren, die von Fachwerkhäusern umgeben sind.“

Förderung

Mikhaila Steenkamp wird durch ein Kanzler-Stipendium der Humboldt-Stiftung gefördert.

Original-Interview

Das Interview wurde auf englisch geführt. Sie können es hier nachlesen.

Veröffentlicht

Mittwoch
15. Januar 2025
09:00 Uhr

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