Stadtklimatologie Ein blinder Fleck in den Klimadaten
Gerade Städte sind vom Klimawandel besonders betroffen und müssen Maßnahmen zur Anpassung ergreifen. Um sie zu planen und zu bewerten, muss man aber erst einmal mehr Daten sammeln.
Mittlerweile ist spürbar, was seit Jahrzehnten vorhergesagt wurde: Die Sommer werden heißer und trockener, Regen kommt öfter als Starkregen, wenn er denn überhaupt kommt. Der Klimawandel ist global messbar. „Ungünstig ist, dass Städte in globalen Klimamodellen meistens fehlen, obwohl ein Großteil der Menschen in Städten lebt“, sagt Prof. Dr. Benjamin Bechtel, Leiter des Bochum Urban Climate Lab an der Fakultät für Geowissenschaften der Ruhr-Universität Bochum. Städte sind teils über Jahrhunderte gewachsen und für ein bestimmtes Klima gebaut, das begonnen hat, sich zu verändern. „Nach einer Studie zu Klimaanalogen könnte das Klima in London im Jahr 2050 am ehesten dem Klima in Barcelona Ende des 20. Jahrhunderts ähneln“, verdeutlicht Benjamin Bechtel. „Dafür wurde die Stadt aber nicht gebaut.“
Aber die Unsicherheiten sind groß: Wie wird es wirklich kommen? Wo wird man welche Auswirkungen bemerken? Die Unterschiede innerhalb einer einzelnen Stadt sind erheblich. Schon zwischen einer Nachbarschaft und der angrenzenden kann das Stadtklima sich deutlich unterscheiden. Ganz davon abgesehen, dass Stadt nicht gleich Stadt ist. Weder gibt es eine allgemeingültige Definition, wie viele Menschen es braucht, um einen Ort Stadt zu nennen, noch gibt es verbindliche Aussagen dazu, welche Bebauung eine Stadt zur Stadt macht.
Radelnde schwärmen aus
Bechtel und sein Team haben es sich zur Aufgabe gemacht, hier für mehr Systematik und vor allem für mehr gesicherte Daten zu sorgen. Nur so lässt sich messen, wie der Klimawandel sich auf Städte auswirkt und ob und wie Maßnahmen zur Klimaanpassung wirken oder nicht.
Die Forschenden erstellten eine globale Karte in einem System von zehn typischen Bebauungsformen, in die sich Städte kleinräumig einteilen lassen. Die verschiedenen Typen zeichnen sich unter anderem durch Gebäudehöhe und -dichte sowie durch bestimmte Oberflächeneigenschaften aus. Diese Faktoren beeinflussen das Mikroklima. „Je nach Bebauung vergrößert sich die Oberfläche stark und kann im Sommer mehr Hitze speichern und wieder abstrahlen“, verdeutlicht Benjamin Bechtel. „Enge Straßenschluchten lassen wenig Luftbewegung zu. Grünflächen dagegen speichern Wasser und sorgen für dessen Verdunstung, was Kühlung bringt.“ Diese Effekte lassen sich messen – doch wie an detaillierte Klimadaten aus einer Stadt herankommen?
„Wir unterscheiden stationäre und mobile Messungen“, erklärt Benjamin Bechtel. Leider gibt es in den wenigsten Städten ein dichtes Netz stationärer Messstationen, die Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Wind und Strahlung aufzeichnen. „In Bochum betreiben wir zwei Stationen“, sagt Bechtel. Also suchten die Forschenden nach Alternativen. Zum einen schwärmen sie gemeinsam mit Studierenden regelmäßig mit Fahrrädern aus. Zwölf bis 15 Personen radeln, ausgestattet mit kostengünstigen Sensoren, die Stadt ab. „Das Problem dabei ist, dass wir dadurch zum Beispiel Temperaturdaten erhalten, die sich räumlich und zeitlich ändern“, so Benjamin Bechtel. „Um ein korrektes Bild zu bekommen, sind Referenzdaten nötig, die wir nur über stationäre Messungen gewinnen können.“
Wenn der Sensor im Kühlschrank liegt
Zur Ergänzung der eigenen Messungen greifen die Forschenden auf Daten privater Wetterstationen zurück, die teils frei durch Hersteller verfügbar sind. „Durch dieses Crowdsourcing kommen wir an sehr viele Daten privater Wetterstationen heran, müssen aber Abstriche bei der Qualität machen“, sagt Benjamin Bechtel. Auswertungen zeigen zum Beispiel eine auffällige Häufung von Messwerten, die rund ums Jahr Minustemperaturen belegen – vermutlich liegen die Sensoren in Gefrierschränken und wurden von deren Besitzern dazu zweckentfremdet, die Kühltemperatur zu überwachen. Auffällige Ausreißer nach oben deuten darauf hin, dass die Sensoren in der Sonne liegen. Auch diese Daten sind unbrauchbar. Über eine eigens entwickelte Qualitätskontrolle können die Forschenden die Crowdsourcing-Daten bereinigen, sodass sie dennoch aussagekräftig sind. Was sie allerdings nicht verhindern können, ist, dass die Sensoren mit ihren Betreibern gelegentlich umziehen. Auch das verfälscht das Bild einer Stadt.
Trotzdem konnten die Crowdsourcing-Daten schon einige wertvolle Einblicke vermitteln. So belegte die Masterarbeit von Jonas Kittner auf ihrer Basis, wie sich eine Hitzeinsel in der Stadt durch Wind verändert. Wind aus einer Richtung treibt die Wärme in die andere Richtung und verschiebt die Hitzeinsel. „Solche Folgerungen kann man nur mit sehr vielen Messstationen ziehen“, sagt Benjamin Bechtel.
Flächendeckendes Messnetz in Dortmund
Dennoch ist er überzeugt, dass die Städte eigene Messstationen betreiben müssen, wenn sie den Herausforderungen der Klimaanpassung gerecht werden wollen. In Bochum sind inzwischen in Zusammenarbeit vieler Akteure mehrere Messstationen an Schulen geplant. Die Stadt Gelsenkirchen hat bereits 15 bis 20 eigene Messstationen aufgebaut. Besonders hochwertige Daten erwarten die Forschenden aus Dortmund im Rahmen des Projekts „Data2Resilience“, das Bechtel koordiniert und das durch den ICLEI Action Fund (ICLEI steht für International Council for Local Environmental Initiatives) mit Mitteln der Google-Stiftung finanziert wird. Ziel ist es, die Stadt Dortmund bei Maßnahmen für mehr Hitzeresilienz wissenschaftlich zu unterstützen. Dazu wird gemeinsam mit der Stadt ein flächendeckendes Sensornetzwerk aufgebaut, das es auch erlaubt, die Daten in Zwischenräumen zwischen Messstationen abzuschätzen.
„Wir sind dabei, geeignete Orte auszuwählen, um die Sensoren anbringen zu können“, so Benjamin Bechtel. Die Sensoren sollen an Laternenmasten angebracht werden, die rund um die Uhr über Strom verfügen. „Sie sind ausreichend hoch, damit wir die Messstationen außerhalb der Reichweite von Passanten in etwa dreieinhalb Metern Höhe anbringen können“, erklärt der Forscher. Neben Temperatur- und Luftfeuchtesensor verfügen die Messstationen teilweise auch über eine schwarze Kugel, die die Strahlungstemperatur messen kann. Denn die Lufttemperatur ist nicht allein dafür verantwortlich, ob wir uns thermisch wohlfühlen oder nicht. Wer sich bei sommerlicher Wärme im Schatten aufhält, erträgt die Temperatur besser als wer mitten in der prallen Sonne steht und deren Wärmestrahlung zusätzlich spürt.
Die Dortmunder Sensoren sollen helfen zu ermitteln, wo es in der Stadt thermisch besonders angenehm oder unangenehm ist, das Hitzemonitoring und die Gesundheitsberichterstattung unterstützen, aber auch belegen, wie Maßnahmen zur Klimaanpassung wirken. „Entsiegelung, Begrünung und Beschattung von Plätzen sind ein paar Beispiele der möglichen Maßnahmen, die Städte treffen können, um die Wirkung der Hitze im Sommer abzumildern“, erklärt Benjamin Bechtel. „Durch die Auswertung der Messdaten vorher und nachher können wir objektiv belegen, was solche Maßnahmen bringen.“ Im Sommer 2024 sollen die ersten Messdaten des kompletten Netzes vorliegen. Das Projekt wird seit 2023 für zwei Jahre gefördert. „Danach wäre ein Upscaling auf das ganze Ruhrgebiet natürlich toll“, wünscht sich Benjamin Bechtel.