Neutrino-Detektor am Südpol Messungen bestätigen Standardmodell der Teilchenphysik
Die Analyse von hochenergetischen Teilchen hätte das Modell, das den Aufbau der Materie erklärt, ins Wanken bringen können.
Messungen mit dem Neutrinodetektor „Ice Cube“ am Südpol haben das Standardmodell der Teilchenphysik für Teilchen mit hohen Energien bestätigt. Bislang war das Modell, das den Grundaufbau der Materie beschreibt, nur für Teilchen mit geringen Energien gut getestet.
„Das Standardmodell ist nicht vollständig, daher erwartet man in Grenzbereichen Abweichungen von der Theorie, insbesondere bei Teilchen mit höchsten Energien“, erklärt Prof. Dr. Julia Tjus, Leiterin des RUB-Lehrstuhls für Plasma-Astroteilchenphysik und Mitglied im „Ice Cube“-Konsortium. Entgegen dieser Erwartungen bestätigten die aktuellen Messungen jedoch die Theorie. Die Ergebnisse sind in der internationalen Top-Zeitschrift Nature veröffentlicht.
An der Publikation waren 55 Einrichtungen weltweit beteiligt, darunter das Team von Julia Tjus, zu dem der ehemalige Mitarbeiter Dr. Mike Kroll und der aktuelle Doktorand Mehmet Gündüz gehören.
Wie Neutrinos mit Kernteilchen wechselwirken
Für die Analyse untersuchten die Forscherinnen und Forscher, wie Neutrinos – elektrisch neutral geladene Elementarteilchen – mit Atomkernen in der Erde wechselwirken, genauer gesagt mit einzelnen Protonen oder Neutronen im Atomkern. Neutrinos prasseln unaufhörlich mit der kosmischen Strahlung aus dem All auf die Erde ein. Sie wechselwirken aber nur sehr selten mit anderen Teilchen. Wie genau sich die Wechselwirkung gestaltet, hängt von der Energie des Neutrinos ab.
Das Standardmodell der Teilchenphysik und andere Modelle machen unterschiedliche Vorhersagen dazu, wie sich die Neutrino-Energie auf die Wechselwirkung mit Kernteilchen auswirkt. Genauere Erkenntnisse über diesen Prozess können somit Belege für oder gegen ein bestimmtes Modell liefern.
Bislang nur theoretisch berechnet
Im Fokus der „Ice Cube“-Analyse stand der sogenannte Wirkungsquerschnitt; stark vereinfacht gesagt ist das ein Maß für die effektive Querschnittsfläche, auf der ein Neutrino mit einem Kernteilchen wechselwirkt. Aus dem Wirkungsquerschnitt ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Wechselwirkung stattfindet.
Für die Interaktion von Neutrinos und Kernteilchen war der Wirkungsquerschnitt bei hohen Energien bislang nur theoretisch berechnet worden, und das auch nur mit großer Unsicherheit. Mit dem „Ice Cube“-Detektor gelang es nun erstmals, den Wirkungsquerschnitt für hochenergetische Neutrinos zu messen. Experimentelle Daten hatte es zuvor nur für Neutrinos mit Energien bis zu 400 Giga-Elektronenvolt gegeben, die mit Beschleunigern auf der Erde erzeugt werden können.
Im Einklang mit dem Standardmodell
Daten von knapp 10.800 Neutrinos, detektiert im Zeitraum von 2009 bis 2011, gingen in die Analyse ein. Der daraus ermittelte Wirkungsquerschnitt für hochenergetische Neutrinos war größer als der zuvor gemessene Wirkungsquerschnitt für Neutrinos mit niedrigeren Energien. Dieser Unterschied ist im Einklang mit den Vorhersagen des Standardmodells. Andere Modelle hatten einen extremen Anstieg des Wirkungsquerschnitts bei höheren Energien vorhergesagt. Dieser bestätigte sich jedoch nicht.
„Die Analysen für die aktuellen Berechnungen vorzubereiten war ein jahrelanger Prozess“, erzählt Julia Tjus. An diesen Vorbereitungen waren die Bochumer Forscher beteiligt.