Chemie „Meine Doktoranden sollen später attraktive Jobs in der Region finden“
In der Chemie haben es Gründerinnen und Gründer schwerer als in anderen Fächern, eine Firma ans Laufen zu bringen. Eine neue Einrichtung soll helfen.
Das Gründungszentrum „Start4Chem“ wird an das Exzellenzcluster Ruhr Explores Solvation, kurz Resolv, angedockt. Er ist Teil des Start-up-Centers NRW, für dessen Aufbau die RUB vom Land gefördert wird. Prof. Dr. Kristina Tschulik kümmert sich neben ihrer Arbeit als Leiterin der Arbeitsgruppe Elektrochemie und Nanoskalige Materialien um den Aufbau von Start4Chem.
Frau Professor Tschulik, warum ist das Start-up-Center so wichtig?
Die chemische Industrie ist hier im Ruhrgebiet ein sehr wichtiger Wirtschaftszweig, ein Leuchtturm, der viele qualifizierte Arbeitsplätze bietet. Wenn das auf lange Sicht so bleiben soll, braucht es Innovationen, die gut aus der Wissenschaft kommen können. Die Zeichen stehen auf Chemie 4.0. Aber zurzeit gibt es in der Chemie aus den Forschungsinstitutionen heraus so gut wie keine Unternehmensgründungen.
Was versteht man unter Chemie 4.0?
Chemie 4.0 beschreibt den Wandel von chemischen Produktionsprozessen hin zu mehr Nachhaltigkeit, wobei insbesondere Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft eine besondere Rolle spielen.
Dazu gehören zum Beispiel Sensoren, die Daten wie Temperatur, Druck, pH-Wert ständig messen, automatisch verarbeiten und gegebenenfalls korrigieren. Oder auch diese Daten standortübergreifend speichern und vergleichen, um langfristig anhand solcher Messungen vorhersagen zu können, welche Vorzeichen es für Fehler im Prozess gibt. So könnte man zum Beispiel Wartungsbedarf frühzeitig erkennen und Produktionsstillstand vermeiden. Experten sprechen von predictive maintenance. Letztlich trägt Chemie 4.0 dazu bei, dass Ressourcen geschont werden und Energie effizient genutzt wird.
Von der Patentanmeldung bis zur Gründung einer Firma vergehen in der Chemie rund fünf bis zehn Jahre.
Warum gibt es so wenige Gründungen in der Chemie?
Das Problem, das wir in der Chemie haben, ist die sogenannte Innovationslücke: Es gibt viele Forscherinnen und Forscher, die tolle Ideen haben und auch Patente anmelden. Aber bis so eine gute Idee in der Industrie ankommt, muss sie erstmal im Labor ausgetestet werden, hochskaliert werden, dann wieder geprüft werden, Genehmigungsverfahren durchlaufen – und all das dauert.
Dafür braucht man, anders als etwa in der IT-Branche, mehr als einen modernen Computer: Laborausstattung ist teuer, und der ganze Prozess braucht viel Zeit. Von der Patentanmeldung bis zur Gründung einer Firma vergehen in der Chemie rund fünf bis zehn Jahre. Programme zur Unterstützung von Unternehmensgründungen wie Exist decken davon die ersten zwei Jahre ab. Dann kommt die Lücke.
Wie kann das Start-up-Center da helfen?
Das Start4Chem wird dabei helfen, diese Lücke zu schließen. Es bietet Gründerinnen und Gründern Laborräume, Büros und Beratung durch Profis, die sich auch mit den kaufmännischen Seiten einer Unternehmensgründung gut auskennen. Sie können zum Beispiel helfen, den Erfolg einer Idee abzuschätzen und zu planen, welchen Markt und welches Anwendungsfeld man damit adressieren könnte. Sie können auch Kontakte vermitteln und damit das ganze Prozedere beschleunigen. Außerdem soll das Center helfen, weitere Geldquellen zu erschließen. Darüber hinaus wollen wir Begegnungspunkte mit etablierten Unternehmen zur Verfügung stellen und das alles im O-Werk auf Mark 51°7.
Die Zeit des Elfenbeinturms ist vorbei.
Start4Chem setzt aber schon vorher an. Wir wollen junge Chemikerinnen und Chemiker auch ermutigen, die Unternehmensgründung zu wagen. Daher wird das Thema Gründung auch in die Lehre integriert, nicht punktuell, sondern immer wieder mal. Auch durch den Kontakt mit erfolgreichen Gründerinnen und Gründern wollen wir so den Gründergeist bei den Studierenden wecken und ihnen die Angst vor dem Scheitern nehmen.
Aber nicht alle können doch erfolgreich sein?
Das nicht, aber aus Fehlern lernt man, und wir wissen aus Erfahrung, dass Leute, die eine Firma gegründet haben und damit gescheitert sind, entweder wieder gründen und dann Erfolg haben, oder begehrte Mitarbeiter für große Unternehmen sind. Die wissen: Der oder die hat Ideen und traut sich was.
Wer kann von Start4Chem profitieren?
Alle, die sich mit grüner Chemie im weitesten Sinne befassen. Also Forscherinnen und Forscher aus ganz Deutschland, die zum Beispiel zu smarten Sensoren, haltbareren Katalysatoren, Batterietechnik, Brennstoffzellen oder Techniken forschen, die helfen, CO2-Emissionen zu verringern.
Sie engagieren sich neben Ihrer eigentlichen Tätigkeit für den Start des Inkubators. Was treibt Sie an?
Die Zeit des Elfenbeinturms ist vorbei. Ich will, dass die Doktoranden, die ich in den nächsten 30 Jahren ausbilde, hier in der Region attraktive Jobs finden. Dafür müssen wir jetzt etwas tun, um Innovationen auf den Weg zu bringen und in unsere Industrieunternehmen zu übertragen.