Onur Güntürkün leitet an der RUB die Abteilung für Biopsychologie. Er forscht unter anderem zur Organisation und Funktionsweise des Vogelgehirns. © RUB, Marquard

Neues Konzept Kortex-Zellentypen anhand der aktivierten Gene klassifizieren

Es gibt viele Wege, kortikale Zellen in verschiedene Typen zu unterteilen. So viele, dass es unübersichtlich geworden ist. Zeit aufzuräumen, sagt ein internationales Forschungskonsortium.

Eine neue Methodik zum Klassifizieren von Zelltypen der Großhirnrinde hat ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vorgeschlagen. Die Idee der sogenannten Kopenhagen-Gruppe unter Federführung von Prof. Dr. Rafael Yuste von der Columbia University ist, Zelltypen anhand ihres Transkriptoms zu unterteilen, also anhand der aktivierten Gene. Das würde nach Meinung der Autorinnen und Autoren, zu denen auch Prof. Dr. Dr. h. c. Onur Güntürkün von der RUB gehört, eine international einheitliche und objektive Einteilung ermöglichen. Die Fachzeitschrift „Nature Neuroscience“ veröffentlichte das Konzept am 24. August 2020.

Verwirrende Vielfalt

„Es gibt eine verwirrende Vielfalt an Zelltypen im Nervensystem“, sagt Onur Güntürkün, Leiter der Abteilung Biopsychologie an der RUB. In der Vergangenheit haben Forscherinnen und Forscher sie mit unterschiedlichen Methoden in Kategorien gruppiert, zum Beispiel anhand ihres Aussehens, ihrer Verbindungen, molekularer Marker oder elektrophysiologischer Eigenschaften. „Mittlerweile ersticken wir in Nomenklaturen, Mehrfachbeschreibungen oder auch falschen Zuordnungen“, beschreibt Onur Güntürkün das Problem. „Wir benötigen eine gemeinsame Vorgehensweise.“

Dafür hat die Kopenhagen-Gruppe einen Vorschlag erarbeitet, der für viele Spezies funktionieren würde. Onur Güntürkün brachte seine Expertise ein, um den Ansatz von Säugetieren auf Reptilien und Vögel erweiterbar zu machen. Rund 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben an dem Konzept mitgewirkt; die Initiative war auf der Konferenz der Federation of European Neuroscience Societies entstanden, die im Oktober 2018 in Kopenhagen stattgefunden hatte.

Gleiches Transkriptom, gleicher Zelltyp

„Wir wollen nach dem Motto ‚Du bist, was du baust‘ vorgehen“, erklärt der Bochumer Biopsychologe. Denn obwohl alle Zellen des Körpers die gleiche genetische Ausstattung besitzen, wird in einem bestimmten Zelltyp immer nur eine Untergruppe von Genen aktiviert, also abgelesen. Die Gesamtheit dieser abgelesenen Gene bildet das sogenannte Transkriptom. Zellen mit identischem Transkriptom würden laut dem Konzept der Kopenhagen-Gruppe demselben Zelltyp angehören. Ein Vorteil: Das Transkriptom lässt sich über Ländergrenzen hinweg objektiv messen, die erforderlichen genetischen Analysemethoden haben sich in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt. Außerdem können solche Analysen helfen, stammesgeschichtliche Entwicklungen nachzuvollziehen, etwa ob ein bestimmter Zelltyp bei Mensch und Ratte identisch ist.

Wie jeder Ansatz bringt aber auch die Klassifizierung anhand des Transkriptoms Herausforderungen mit sich, etwa die Tatsache, dass sich das Transkriptom im Lauf des Lebens eines Individuums ändern kann.

Originalveröffentlichung

Rafael Yuste et al.: A community-based transcriptomics classification and nomenclature of neocortical cell types, in: Nature Neuroscience, 2020, DOI: 10.1038/s41593-020-0685-8

Veröffentlicht

Dienstag
25. August 2020
09:03 Uhr

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