Neurobiologie Warum lang bekannte Gene Forscher immer wieder überraschen
Durch alternatives Spleißen kann eine Vielzahl von Proteinvarianten gebildet werden. Für die Familie der Glutamatrezeptoren wurde dies nun erstmals systematisch untersucht.
Die Baupläne für Proteine sind in den Genen festgelegt – allerdings sind sie in kleine codierende Abschnitte unterteilt, die erst beim sogenannten Spleißen zusammengesetzt werden. Dabei sind verschiedene Kombinationen möglich, die teils noch unbekannt sind. Dr. Robin Herbrechter und Prof. Dr. Andreas Reiner aus der Nachwuchsgruppe Zelluläre Neurobiologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB) haben erstmals alle möglichen alternativen Spleißvarianten der sogenannten ionotropen Glutamatrezeptoren (iGluRs) erfasst, eine Rezeptorklasse, die für die Signalverarbeitung im Gehirn essenziell ist. Sie berichten in der Zeitschrift Cellular and Molecular Life Sciences vom 8. Juni 2021.
Besonders große Vielfalt im Gehirn
Vor gut 20 Jahren wurde das menschliche Genom vollständig sequenziert. Seitdem sind auch die Sequenzinformationen für den Bau der Proteine bekannt – zumindest im Prinzip. Diese Information ist in den einzelnen Genen nämlich nicht kontinuierlich hinterlegt, sondern in kleinere codierende Abschnitte, die Exone, unterteilt. Sie werden erst beim sogenannten Spleißen zusammengesetzt. Dabei sind, je nach Gen, unterschiedliche Exonkombinationen möglich, man spricht daher von unterschiedlichen oder alternativen Spleißkombinationen.
Nahezu alle 20.000 menschlichen Gene können alternativ gespleißt werden. Eine besonders hohe Vielfalt an verschiedenen Varianten findet sich im Gehirn – auf diese Weise kann die Funktion der Proteine ideal an die jeweiligen Erfordernisse angepasst werden. „Zu untersuchen, welche Proteinvarianten tatsächlich vorhanden sind, ist aber gar nicht so einfach“, so Andreas Reiner. „Einen Ausweg bietet die Sequenzierung von fertig gespleißten messenger-RNAs, kurz mRNAs, sogenannte RNA-Seq-Daten, die zunehmend in Hochdurchsatzverfahren gewonnen werden.“ Robin Herbrechter und Andreas Reiner haben solche Daten nun genutzt, um die Spleißvarianten aller ionotropen Glutamatrezeptoren zu erfassen.
Neue Glutamatrezeptorvarianten gefunden
Mithilfe bioinformatischer Methoden haben die Forscher Milliarden von mRNA-Sequenzschnipseln mit den Genominformationen abgeglichen und somit die Häufigkeit der einzelnen Spleißereignisse rekonstruiert. Auch neue, bislang unbekannte Spleißvarianten der untersuchten Glutamatrezeptoren konnten so detektiert werden. Überraschungen gab es dabei gleich eine ganze Reihe: So zeigte die systematische Analyse, dass einige Varianten, die in den bislang untersuchten Modellorgansimen Maus und Ratte gefunden wurden, im Menschen gar nicht vorkommen oder viel weniger häufig sind als bislang angenommen.
„Besonders spannend sind einige neue Isoformen, die sich zum Teil stark von den bisher bekannten Varianten unterscheiden und völlig neue Funktionen haben könnten“, so Robin Herbrechter. Dazu gehört eine Proteindomäne, die vom Gen des AMPA-Rezeptors GluA4 gebildet wird, sowie die erstmalige Beschreibung einer Isoform des Delta-Rezeptor 1 (GluD1). Die Untersuchung dieser Varianten wird nun im Fokus stehen, aber auch weitere bioinformatische Analysen sind geplant, zum Beispiel um zu bestimmen, in welchen Zelltypen die verschiedenen Spleißvarianten exprimiert werden.