Theologie Katholisch sein und grün wählen?
Katholisch sein und grün wählen schienen in der Vergangenheit manchmal Gegensätze zu sein. Ob die Positionen wirklich unversöhnlich waren und wie sie sich entwickelt haben, untersucht ein RUB-Team aus der Theologie.
Wie sich Katholizismus und grüne Politik in den 1970er- und 1980er-Jahren entgegenstanden oder auch zusammenspielten, untersucht ein Team der Arbeitsgruppe Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät der RUB. Juniorprofessor Florian Bock, Postdoktorandin Maria Schubert und Seniorprofessor Wilhelm Damberg forschen mit Unterstützung von Studentin Melissa Eurich. Ein Gespräch zwischen den Forschungsgenerationen.
1986 erklärte Kardinal Joseph Höffner, dass Grüne für Katholikinnen und Katholiken nicht wählbar seien. Bei welchen Themen waren die Positionen unvereinbar?
Maria Schubert: Hauptsächlich beim Paragrafen 218, der den Schwangerschaftsabbruch regelt. Für die Amtskirche war der Schutz des Lebens ein großes Thema, sie hat sich sehr für strenge Regelungen eingesetzt. Das ging nicht mit dem Frauenbild zusammen, das die Grünen vertraten und das stark auf ein Selbstbestimmungsrecht setzte. Auch das Familienbild, das die Grünen weiter fassten als die Kernfamilie von Mann und Frau, passte nicht zu den Anschauungen der Kirche.
Zur Person: Maria Schubert
Gab es denn auch Gemeinsamkeiten?
Schubert: Gerade im Punkt Umwelt und Frieden gab es Übereinstimmungen zwischen Katholiken, auch auf der amtskirchlichen Ebene, und den Grünen; das passte zur Bewahrung der Schöpfung.
Wie einheitlich war die Sicht der Katholikinnen und Katholiken auf die Grünen – und umgekehrt?
Florian Bock: Die Grünen und der Amtskatholizismus umfassten ein heterogenes Spektrum. Die Gründungsgrünen waren ein Mischmasch aus verschiedenen Milieus, dementsprechend chaotisch liefen auch die ersten Parteitage ab. Es gab die Umweltbewegten, aber auch konservative Bewahrer, die zum Beispiel ehemalige Unionsabgeordnete waren. Es gab sogar Gründungsgrüne, die wir heute rechts der Mitte verorten würden. Hinzu kamen Menschen aus neuen sozialen Bewegungen, der Frauenbewegung beispielsweise. Manche dieser Milieus fühlten sich dem Katholizismus näher, etwa die Politikerinnen Petra Kelly oder Christa Nickels. Andere Grüne hatten wenig mit christlicher Konfession zu tun.
Bei der Amtskirche war es ähnlich: Es gab Konservative, aber auch Linkskatholiken, die Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre mit der Tradition brachen, dass ein Katholik oder eine Katholikin immer CDU/CSU wählt.
Zur Person: Florian Bock
Wilhelm Damberg: Damals fand auch ein generationeller Umbruch statt. Man hatte es zum einen mit Bischöfen zu tun, die während des Ersten Weltkriegs geboren worden waren, zum anderen mit Menschen, die zur Zeit des Zweiten Weltkriegs geboren worden waren. Und deren Welten waren sehr unterschiedlich; aber sie alle lebten in dem, was ich katholisches Gefüge nenne.
Zur Person: Wilhelm Damberg
Sie selbst sind Zeitzeuge der Entwicklungen in den Siebziger- und Achtzigerjahren, Herr Damberg. Wie haben Sie dieses katholische Gefüge erlebt?
Damberg: Viele in der Kirche waren verunsichert, weil sie Gewalt befürchteten. Heute steht Robert Habeck nicht am Zaun und schmeißt mit Steinen. Aber in den Siebziger- und Achtzigerjahren war die Wahrnehmung, dass es Grüne gab, die – leicht anarchistisch anmutend – auch in gewissem Maße gewaltbereit waren. Das hat Reibungsflächen mit der katholischen Kirche erzeugt.
Die damalige Generation der Bischöfe hatte die Achtundsechziger miterlebt, die das System stürzen wollten. Das war für sie der Albtraum. Das Getümmel vor einigen Atomkraftwerken mit Wasserwerfern und Hubschraubern – es gab ja auch Tote, und im Hintergrund war die RAF aktiv. Zwischen diesen gewaltbereiten Gruppen und den Grünen gab es durchaus Überschneidungen. Für die ältere Generation der Katholikinnen und Katholiken war es sehr schwer einzusortieren, was da überhaupt passierte.
Bock: Man muss auch sagen: Menschen in Norweger-Pullis mit langen Haaren und langen Bärten – das hat gebrochen mit dem, was sich Katholiken als einen christlichen Politiker vorstellten. Und wenn Grüne mit Tannen in den Bundestag einmarschiert sind, um auf das Waldsterben aufmerksam zu machen, hat das erst mal für Verstörung gesorgt.
Katholisch sein – das verbindet man eher mit der Union CDU/CSU. Stimmte deren Position denn immer mit der der katholischen Kirche überein?
Damberg: Bis um 1970 herum gibt es eine relativ hohe Deckungsgleichheit der Positionen zwischen CDU und Kirche – zumindest nach außen. Faktisch gab es durchaus Spannungen, weil die Kirche manchmal Maximalforderungen formulierte, die die CDU nicht mittragen konnte.
Zwischen 1968 und 1970 gab es große Schulreformen in Deutschland, die auf Kosten der alten Konfessionsschulen gingen. Diese Veränderung hat große Verwerfungen in der katholischen Welt ausgelöst. Ein Teil der Bischöfe wollte das nicht, aber die jungen Politikerinnen und Politiker, etwa Helmut Kohl, haben die Schulreform durchgezogen. Trotz dieser Verwerfungen ist man nach außen aber immer auf einer Linie geblieben.
Im Lauf der Zeit näherten sich auch grüne Positionen und Katholizismus aneinander an.
Schubert: Wenn man die Quellen studiert, zum Beispiel von katholischen Jugendverbänden aus den Siebziger- und Achtzigerjahren, sieht man deutlich, dass sie offener gegenüber grünen Themen waren und diese aktiv in die Kirche einbringen wollten. Umwelt und Frieden waren für sie so relevant, dass die Abtreibungsdebatte dahinter zurücktrat. Und in diesen Themen fühlten sich manche von den Grünen mehr repräsentiert als von der CDU.
Zur Person: Melissa Eurich
Bock: In unserem Projekt verfolgen wir die Annäherung von Katholiken und Grünen auch in einzelnen Biografien. Ab 1998 gab es mit Joschka Fischer einen grünen Außenminister aus dem Realo-Flügel, der auch Realpolitik machte – und sich ambivalent verhielt. Beim Kosovo-Konflikt brach er mit pazifistischen Vorstellungen der Grünen, weil er aus ethischen Gründen für den Krieg war. Für den Irakkrieg wiederum sah er keinen gerechten Kriegsgrund. Bewusst oder unbewusst rief er darüber ein Bild aus der Christentumsgeschichte auf: das Bild eines gerechtfertigten Kriegs, für den gewisse Anforderungen erfüllt sein müssen. In den Neunzigerjahren operierten die Grünen angesichts der politischen Herausforderungen immer stärker auf dem Realo-Flügel und hinterfragten dabei auch ihre Wurzeln, den radikalen Pazifismus.
Ein wichtiger Punkt für die Annäherung zwischen Kirche und Grünen war auch der Machtfaktor.
Maria Schubert
Schubert: Ein wichtiger Punkt für die Annäherung zwischen Kirche und Grünen war auch der Machtfaktor. Die Grünen rückten in den Achtzigerjahren in die Parlamente ein und spätestens in den Neunzigerjahren zeigte sich, dass sie so schnell nicht wieder gehen würden. Es gab also eine gewisse Dringlichkeit, die Zusammenarbeit zu suchen. Man lernte sich auch auf Lokalpolitikebene kennen und merkte, dass Zusammenarbeit funktionierte. Die Grünen rückten zudem ein Stück von ihren radikalen Gründungsideen ab. Auch unter den Katholiken gab es moderatere Stimmen, an der Basis existierten mittlerweile andere Vorstellungen von Ehe und Familienbild. In den vergangenen zehn Jahren wurde außerdem die Umweltthematik so drängend, dass es mittlerweile viele Gründe für ein Zusammenspiel gibt.
Bock: Der grüne Mainstream, den wir in den vergangenen 10 bis 15 Jahren beobachten – autofreie Innenstädte, Biolebensmittel, Renaturierungen – alles, was in den Achtzigern avantgardistisch daherkam, ist weit in die bürgerliche Mitte eingewandert. Damals klangen diese Dinge eher alternativ, und alternativ war negativ besetzt. Heute finden wir sogar potenzielle FDP-Wähler, die sich grünen Ideen öffnen. Es ist sowieso interessant, dass die Grünen heute größtenteils mit der FDP um Wählerklientel konkurrieren. In den Achtzigern waren diese Milieus wie Feuer und Wasser.
Bei Ihrem Projekt handelt es sich um historische Forschung. Blicken Sie dennoch auch in die heutige Zeit?
Bock: Unser Projekt schaut bis 1989/90; trotzdem sind die aktuellen Entwicklungen für uns spannend, denn vieles hat seine Ursprünge in den 1980er-Jahren. Es ist frappant, wie Politikerinnen wie Annalena Baerbock Religion thematisieren. Sie ist evangelisch und hat ein pragmatisches Verhältnis zum Glauben. Sie sagte noch vor Kurzem in einem Interview, dass sie die Gemeinde eher als Netzwerk sieht und sich freut, dort in einer Gemeinschaft aus Gleichgesinnten zu sein, aber dennoch nicht an eine transzendente Macht glaubt.
Damberg: Das ist eh seit einiger Zeit ein Trend. Grace Davie, eine große Religionssoziologin, hat 1994 ein Buch überschrieben mit der These: Believing without Belonging. Also zu der damaligen Entwicklung, dass man irgendwas glauben kann, aber deswegen noch lange nicht in der Kirche sein muss. 2011 wurde aber von Brian Mountford auch das Gegenteil formuliert: Belonging without Believing. Es gibt Menschen, die nicht im herkömmlichen Sinne glauben, aber Teil einer Gemeinschaft sein möchten, deren moralischen Kompass sie schätzen.
Schubert: Aber es gibt auch andere Beispiele bei den Grünen, etwa Winfried Kretschmann, der sehr offen mit seinem Glauben umgeht und sich bewusst als Katholik präsentiert. Mit seinem christlich-konservativen Grün sein ist er sehr erfolgreich, auch wenn er radikale Wurzeln hatte.