Philosophie Was so-tun-als-ob über die soziale Kognition aussagt
Julia Wolf analysiert die Bedeutung von Pretend Play, um die Entwicklung der sozialen Kognition zu erforschen.
Die Fähigkeit, die Perspektive einer anderen Person einzunehmen, ist wichtig für die soziale Kognition und somit für das menschliche Zusammenleben. Doch wann sind wir in der kindlichen Entwicklung soweit? Dr. Julia Wolf vom Institut für Philosophie II der Ruhr-Universität Bochum analysiert die sogenannten Pretend Plays als Anzeichen für die Fähigkeit, anderen mentale Zustände zuschreiben zu können. Ihre These: Schon Zweijährige können so tun, als tränken sie Tee und somit eine Perspektive einnehmen, die nicht der Realität entspricht. Doch erst später sind Kinder in der Lage, anderen eine Perspektive zuzuschreiben, die sie nicht teilen. Julia Wolf hat ihre Arbeit in der Zeitschrift „Synthese“ vom 14. Dezember 2022 veröffentlicht.
Warum Sarah in die Küche gegangen ist
Wir nehmen täglich die Perspektive anderer ein, um ihr Verhalten zu verstehen: Angenommen, Sarah ist in die Küche gegangen. Ich erkenne, dass sie das getan hat, weil sie Kaffee holen wollte und glaubt, dass es Kaffee in der Küche gibt. „Wichtig ist, dass dies auch dann gilt, wenn ich selbst keinen Kaffee möchte und sogar auch, wenn ich weiß, dass der Kaffee ausgegangen ist und es daher nicht möglich sein wird, Kaffee in der Küche zu bekommen“, erklärt Julia Wolf. „Mit anderen Worten: Um Andere zu verstehen, ist es wichtig, deren Perspektive einnehmen zu können, auch wenn diese von der eigenen abweicht.“ Die Fähigkeit dazu ist ein zentraler Meilenstein in der Entwicklung der sozialen Kognition. Hinweise legen nahe, dass sich diese Fähigkeit üblicherweise im Alter von etwa vier Jahren entwickelt.
Schon Zweijährige tun so, als würden sie Tee trinken
Doch schon früher im Leben können Kinder so tun als ob. Sie tun so, als sei das Sofakissen eine Katze, ein Baustein ein Zug. Wenn sie sich auf diese Scheinwelt einlassen, verkennen Kinder normalerweise nicht die Realität, sondern verstehen durchaus, was real ist und was nicht. Es sieht also so aus, als ob bereits Zweijährige im Rollenspiel einige hochentwickelte kognitive Fähigkeiten zeigen, wie etwa die Fähigkeit, zwischen Schein und Wirklichkeit zu unterscheiden und dadurch unterschiedliche Perspektiven auf eine Situation einnehmen zu können.
Aber bedeutet das, dass die Kinder schon so früh anderen einen mentalen Zustand zuschreiben können? „Meiner Ansicht nach ist das nicht der Fall“, resümiert Julia Wolf. Während Pretend Play erfordert, dass Kinder in der Lage sind, eine gemeinsame vorgetäuschte Perspektive einzunehmen, erfordert es nicht, dass sie zwischen ihrer eigenen Perspektive und der einer anderen Person unterscheiden. „Wenn ein Kind mit seinem Vater vorgibt, auf einer Teegesellschaft zu sein, muss es nicht zwischen der eigenen Pretend-Perspektive und der des Vaters unterscheiden“, erläutert die Forscherin. „Vielmehr wird die Pretend-Perspektive geteilt. Somit ist die Zuschreibung von mentalen Zuständen nicht notwendig.“