Serie Wissenshäppchen

Ein Geheimnis zu bewahren, ist eine komplexe Angelegenheit.

© RUB, Kramer

Psychologie Ab wann können Kinder ein Geheimnis bewahren?

Wir alle kennen die Versuchung, ein Geheimnis auszuplaudern. Welche Fähigkeiten unser Gehirn besitzen muss, um der Versuchung zu widerstehen, weiß Entwicklungspsychologin Sabine Seehagen.

„Wir planen eine Überraschungsparty zu Papas Geburtstag, aber bloß nichts verraten!“, sagt die Mutter zu ihrem Kind – das wenig später freudestrahlend Papa an der Eingangstür empfängt und ihm erzählt, dass er zu seinem Geburtstag eine Überraschungsparty bekommt.

Ein Geheimnis zu bewahren, ist eine komplexe Angelegenheit. „Es braucht verschiedene kognitive Fähigkeiten dafür“, sagt Prof. Dr. Sabine Seehagen, Leiterin des Lehrstuhls für Entwicklungspsychologie an der Ruhr-Universität Bochum. „Zunächst einmal muss ich als Kind verstehen, dass ich etwas weiß, was andere nicht wissen. Eine wichtige Zutat ist also das Besitzen einer Theorie des Geistes, oder auf Englisch: theory of mind“, erklärt die Forscherin. „Die theory of mind hilft auch zu verstehen, dass das, was ich tue, nicht im Einklang steht mit dem, was in meinem Kopf ist, also mit dem Wunsch, das Geheimnis auszuplaudern.“

Viele Fähigkeiten erforderlich

Damit aber noch nicht genug. Um wirklich dichtzuhalten, braucht es auch noch ausreichend entwickelte exekutive Funktionen, also Kontrollprozesse, die zum Beispiel vermeiden, dass wir unseren Impulsen nachgeben. Ein bekanntes Szenario, das diese Fähigkeiten testet, ist der sogenannte Marshmallow-Test. Dabei werden Kinder vor die Wahl gestellt, ein Marshmallow sofort oder eine größere Menge zu einem späteren Zeitpunkt zu bekommen.

Ebenfalls wichtig ist die Fähigkeit zum mentalen Zeitreisen, also sich Ereignisse in der Zukunft vorstellen zu können. Etwa wie Papa zur Tür reinkommt, man ihm von der Party erzählen will, aber sich auf die Lippen beißt und doch nichts sagt. „Die Fähigkeit, sich die Zukunft ausmalen zu können, hilft einem auch, die Konsequenzen des eigenen Handelns abschätzen zu können, also wie sich die Beziehung zu der Person, die mir das Geheimnis anvertraut hat, verändern würde, wenn ich es verrate“, so Seehagen.

Vor dem fünften oder sechsten Lebensjahr dürfte es schwer für die meisten Kinder sein, ein Geheimnis zu bewahren.

— Sabine Seehagen

Kinder machen bei all diesen Fähigkeiten im Alter von drei bis fünf Jahren in der Regel große Entwicklungsschritte. „Man kann natürlich nicht pauschal sagen, ab welchem Alter Kinder ein Geheimnis bewahren können, das ist individuell“, sagt Sabine Seehagen. „Aber von einem dreijährigen Kind kann man es nicht erwarten. Auch vor dem fünften oder sechsten Lebensjahr dürfte es schwer für die meisten Kinder sein.“ Im Zweifelsfall rät sie zu einem kleinen Test: „Bevor man die große Überraschungsparty plant, könnte man seinem Kind etwas Unverfängliches anvertrauen und schauen, ob es das für sich behalten kann“, sagt sie. Hilfreich könne es außerdem sein, dem Kind ein Versprechen abzunehmen, wirklich nichts zu sagen.

Entscheidend ist zudem auch der soziale Kontext. „Wenn ein Kind über jemanden, den es nicht leiden kann oder dem es nicht vertraut, ein Geheimnis weiß, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind das Geheimnis weitererzählt, größer, als wenn es eine Vertrauensperson war“, sagt Sabine Seehagen.

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Veröffentlicht

Donnerstag
17. April 2025
09:27 Uhr

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