Fellowships Lernen am virtuellen Objekt
Özüm Özgül und Mario Wolf sind die diesjährigen digi-Fellows. Gemeinsam entwickeln sie digitale Fallspiele und virtuelle Lernapplikationen für die Neurologie.
Ärztliche Kompetenzen erlernen Studierende am besten im Umgang mit echten Patientinnen und Patienten. Da die Möglichkeiten hier oftmals begrenzt sind, ist die Medizindidaktik auf Hilfestellungen angewiesen. Dr. Özüm Özgül, Neurologin am Universitätsklinikum Bergmannsheil, und Dr. Mario Wolf vom Lehrstuhl für Digital Engineering der Ruhr-Universität Bochum arbeiten an digitalen medizinischen Spielen und VR-Applikationen, die Studierende ärztliche Kompetenzen und Fachwissen im Bereich Neurologie vermitteln. Ihr Vorhaben wurden mit dem diesjährigen „Fellowship für Digitale Innovationen in der Hochschullehre (digi-Fellowship)“ ausgezeichnet.
Innovative Hilfestellung für die Medizindidaktik
Nicht immer können Studierende medizinisches Wissen und ärztliche Kompetenzen am Krankenbett erlernen. Sei es aufgrund der fehlenden Zeit im Studium, eines Mangels an passenden Behandlungsdürftigen oder an realen Notfallsituationen. Hilfestellungen, wie beispielsweise nachgestellte Fälle, Schauspielende oder künstliche Modelle, sind daher in der Medizindidaktik nicht wegzudenken. Die zugelassenen Handlungsmöglichkeiten sind jedoch begrenzt. So seien Modelle, an denen die Blutabnahme geübt werden kann, haptisch zwar einwandfrei, ihnen fehle es aber an menschlichen Reaktionen und Emotionen, die in der Realität nicht wegzudenken seien, erklärt Özüm Özgül.
Während des Lockdowns standen wir vor der Herausforderung, die medizinische Lehre zugänglich zu machen.
Hierbei sollen künftig digitale Lehrangebote helfen. Konkret arbeiten Özüm Özgül und Mario Wolf an der Entwicklung digitaler Fallspiele im Fachbereich Neurologie, die Studierende browserbasiert aufrufen und bearbeiten können. Auch immersive Virtual-Reality-Applikationen, um ärztliche Tätigkeiten an virtuellen, interaktionsfähigen Patientinnen und Patienten zu simulieren, sind Teil ihres Vorhabens. „Die Idee entstand während des ersten Lockdowns. Wir standen vor der riesigen Herausforderung, unseren Studierenden die medizinische Lehre irgendwie zugänglich zu machen, und zwar ohne Kontakt, ohne Raum und, am wichtigsten, ohne Patientinnen und Patienten“, berichtet die Neurologin.
Eintauchen in die Rolle der Fachkraft
Eine VR-Applikation, in der die Studierenden die Punktion eines Portkatheters üben können, existiert bereits ebenso wie zwei abgeschlossene digitale Fallspiele zu den Themen Schlaganfall und Kopfschmerz. Indem sie in die Rolle der Fachkraft schlüpfen, müssen die Studierenden versuchen, den Fall in kürzester Zeit und mit möglichst wenig Fehlern zu lösen. Dabei müssen sie nicht nur medizinisches Wissen abrufen, sondern auch notwendige Handlungen auswählen. Feedback erhalten sie unter anderem durch die Reaktionen der digitalen Patientinnen und Patienten. So werden mehrdimensionale Handlungsmöglichkeiten darstellbar. Zusätzliche Punkte können die Studierenden durch die Beantwortung von Multiple-Choice-Fragen sammeln. „Auch ärztliche Kompetenzen und praxisnahe Herausforderungen, wie beispielsweise Zeitmanagement, Vermeidung unnötiger Diagnostik und Patientenanamnese, können so geübt werden“, erklärt Özüm Özgül weiter.
Vier weitere Fallszenarien geplant
Den ersten digitalen Fall entwickelte Özüm Özgül im Rahmen ihrer ärztlichen Rotationsstelle an der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität bereits 2022 gemeinsam mit Mario Wolf, der die technische Umsetzung verantwortet. Bis Herbst 2023 sollen vier weitere digitale Fallszenarien für den Fachbereich Neurologie konzipiert werden, unter anderem zu den Themen epileptischer Anfall und Hirnblutung. Auch zusätzliche VR-Applikationen, beispielsweise zur Übung klinisch-neurologischer Untersuchungen, sind geplant. Eine Usability-Studie wird außerdem die Gebrauchstauglichkeit für die klinische Lehre prüfen. „Die Anpassung der digitalen Inhalte soll mit möglichst wenig technischer Arbeit verbunden sein, sodass neue Fälle und Tätigkeiten leicht ergänzt werden können“, so Özüm Özgül.
Unser digitales Lehr-Konstrukt soll Studierende besser auf ihren Berufsalltag vorbereiten.
Langfristig sei es das Ziel, die Fälle als Moodle-Kurs und die VR-Applikationen im Rahmen des Praktischen Jahres im Medizinstudium in das Lehrkonzept der Medizinischen Fakultät zu integrieren. „Unser digitales Lehr-Konstrukt soll sich so gut es geht an das Reale annähern, ohne ein Ersatz für klassische Veranstaltungen zu sein. Vielmehr geht es uns darum, durch ein erweitertes Angebot Studierende besser auf ihren Berufsalltag vorzubereiten“, betont Özüm Özgül. Die Förderung durch das digi-Fellowship ermöglicht den Forschenden nun die Ausarbeitung, Verbesserung und Umsetzung ihres Vorhabens.