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Junge erhält dank Gen-Therapie neue Haut
Zum ersten Mal hat ein Behandlungsteam des Brandverletztenzentrums der Ruhr-Universität Bochum und des Center for Regenerative Medicine der Universität Modena (Italien) einen Jungen mit großen Hautschäden erfolgreich mit Transplantaten aus genmodifizierten Stammzellen behandelt. Der Junge leidet an der sogenannten Schmetterlingskrankheit, einer genetisch bedingten Hautkrankheit, die rund 80 Prozent seiner Oberhaut zerstört hatte. Nachdem alle etablierten Therapien fehlgeschlagen waren, entschied sich das Bochumer Ärzte-Team für einen experimentellen Ansatz: Sie transplantierten Haut aus genmodifizierten Stammzellen auf die Wundflächen. Die Behandlung verlief erfolgreich, sodass der Junge heute, rund zwei Jahre danach, wieder am familiären und sozialen Leben teilnehmen kann. Die Mediziner berichten in „Nature“.
- Die verantwortlichen Ärzte, Privatdozent Dr. Tobias Hirsch, Dr. Tobias Rothoeft und Dr. Norbert Teig, stehen für Interviews zur Verfügung.
- Filmmaterial über den Jungen sowie Fotos sind vorhanden und dürfen für die Berichterstattung verwendet werden.
Anfragen bitte an die Klinikpressestellen, siehe unten.
Lebensgefährlicher Zustand
Die Schmetterlingskrankheit, wissenschaftlich Epidermolysis bullosa, bezeichnet eine angeborene Hautkrankheit, die als unheilbar gilt. Ursache sind Schäden an eiweißbildenden Genen, die für den Hautaufbau essenziell sind. Bereits geringste Einwirkungen oder Stöße können auf der Hautoberfläche zur Bildung von Blasen, Wunden und Hautverlust mit Vernarbungen führen. Je nach Ausprägung der Krankheit können auch innere Organe betroffen sein oder schwere Funktionsstörungen hervorgerufen werden.
Die Erkrankung schränkt die Lebensqualität der Betroffenen stark ein; häufig verläuft sie lebensgefährlich. So wie im Falle des damals siebenjährigen Hassan: Als er im Juni 2015 auf der Kinderintensivstation des Katholischen Klinikums in Bochum aufgenommen wurde, waren 60 Prozent seiner Oberhaut verloren. „Er litt an einer ausgeprägten Sepsis mit hohem Fieber und wog nur noch 17 Kilogramm – ein lebensbedrohlicher Zustand“, unterstreicht Dr. Tobias Rothoeft, Oberarzt der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Katholischen Klinikum Bochum. Alle konservativen und chirurgischen Therapieversuche schlugen fehl.
Weltweit neues Therapiekonzept bei großen Hautdefekten
Aufgrund der schlechten Prognose entschied sich das Bochumer Team der Kinderärzte und der Plastischen Chirurgen in Kooperation mit Prof. Dr. Michele De Luca vom Center for Regenerative Medicine an der Universität von Modena für eine experimentelle Therapie: die Transplantation genetisch modifizierter epidermaler Stammzellen. Diese Stammzellen des Patienten wurden mittels Hautbiopsie gewonnen und in Modena weiter verarbeitet. Dazu schleusten die Forscher in die gewonnenen Stammzellen das intakte Gen ein. Dabei kommen sogenannte retrovirale Vektoren zum Einsatz, also gezielt für den Gentransport veränderte Viruspartikel.
Die genmodifizierten Stammzellen wurden in einem Reinraumlabor gezüchtet und dann zu transgenen Hauttransplantaten verarbeitet. Nach Zustimmung der Eltern, der Genehmigung der zuständigen Behörden und des Landes Nordrhein-Westfalen sowie der Zertifizierung des OP-Zentrums des Universitätsklinikums Bergmannsheil als gentechnische Einrichtung, konnte die Transplantation erfolgen.
80 Prozent der Körperoberfläche transplantiert
Die Transplantate wurden in der Universitätsklinik für Plastische Chirurgie des Bergmannsheils auf Arme und Beine, den gesamten Rücken, die Flanken und Teile des Bauchs sowie des Halses und Gesichts transplantiert. „Insgesamt wurden dem kleinen Patienten 0,94 Quadratmeter transgene Epidermis zur Deckung aller Defekte und damit 80 Prozent seiner Körperoberfläche transplantiert“, so Privatdozent Dr. Tobias Hirsch, Leitender Oberarzt an der Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte am Bergmannsheil.
Nach der ersten Transplantation im Oktober 2015 begann sich der Zustand des Patienten zu bessern. Die transgenen Stammzellen bildeten eine neue Oberhaut mit intaktem Bindungsprotein im Bereich aller transplantierten Areale. Die Integration des intakten Gens durch den retroviralen Gentransfer in das Erbgut der epidermalen Stammzellen hatte funktioniert und konnte als stabil nachgewiesen werden.
Sehr gutes Behandlungsergebnis
Im Februar 2016 konnte Hassan aus der stationären Behandlung entlassen werden. Heute, fast zwei Jahre nach Beginn der Behandlung, zeigt sich in den Transplantationsarealen eine qualitativ hochwertige, stressresistente Haut mit intakter Rückfettung, beginnender Ausbildung von Haaren und ohne Narbenkontrakturen. Hassan besucht wieder die Grundschule und nimmt am sozialen Leben seiner Familie teil.
Nach Aussage des internationalen Behandlungsteams ist Hassan der weltweit erste Patient, der großflächig mit Hauttransplantaten aus transgenen epidermalen Stammzellen versorgt wurde. „Dieser Ansatz bietet erhebliches Potenzial für die Erforschung und Entwicklung neuer Therapieverfahren zur Behandlung der Epidermolysis bullosa und von Patienten mit großen Hautschädigungen“, sagt Tobias Hirsch.
Der Fall gilt in dieser Dimension weltweit als einzigartig. „80 Prozent der Haut zu transplantieren und den Patienten über acht Monate intensivmedizinisch zu überwachen war eine extreme Herausforderung“, betonen Tobias Rothoeft und Tobias Hirsch. „Die enge Zusammenarbeit zwischen den Bochumer Kliniken und die Expertise der Universität Modena hat zum Erfolg geführt. Darauf sind wir sehr stolz.“
An der Therapie beteiligt waren vom Bochumer Universitätsklinikum Privatdozent Dr. Tobias Hirsch, Leitender Oberarzt der Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte am Bergmannsheil (Direktor: Prof. Dr. Marcus Lehnhardt) sowie Dr. Tobias Rothoeft und Dr. Norbert Teig, Oberärzte der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Katholischen Klinikum Bochum (Direktor: Prof. Dr. Thomas Lücke).
Die Arbeit wurde gefördert durch das italienische Forschungsministerium (MIUR), (CTN01_00177_888744); Regione Emilia-Romagna, Asse 1 POR-FESR 2007-13; Fondazione Cassa di Risparmio di Modena; DEBRA Südtirol – Alto Adige; DEBRA Austria; European Research Council (ERC) im Programm Horizon 2020 (670126-DENOVOSTEM) und ERC im siebten Forschungsrahmenprogramm (294780-NOVABREED); Epigenetics Flagship project CNR-MIUR grants.
Tobias Hirsch, Tobias Rothoeft, Norbert Teig et. al.: Regeneration of the entire human epidermis by transgenic stem cells, in: Nature, 2017, DOI: 10.1038/nature24487
Bergmannsheil
Das Berufsgenossenschaftliche Universitätsklinikum Bergmannsheil zählt zu den größten Akutkliniken der Maximalversorgung im Ruhrgebiet. 1890 als erste Unfallklinik der Welt zur Versorgung verunglückter Bergleute begründet, vereint das Bergmannsheil heute 23 hochspezialisierte Kliniken und Fachabteilungen mit insgesamt 707 Betten unter einem Dach. Mehr als 2.300 Mitarbeiter stellen die qualifizierte Versorgung von rund 89.000 Patienten pro Jahr sicher.
Das Berufsgenossenschaftliche Universitätsklinikum Bergmannsheil gehört zur Unternehmensgruppe der BG Kliniken. In ihr sind neun berufsgenossenschaftliche Akutkliniken, zwei Kliniken für Berufskrankheiten und zwei Unfallbehandlungsstellen verbunden. Mit 12.500 Mitarbeitern und jährlich über 550.000 Patienten ist die Gruppe einer der größten Klinikverbünde Deutschlands. Darüber hinaus ist das Bergmannsheil Teil des Universitätsklinikums der Ruhr-Universität Bochum (UK RUB).
Brandverletztenzentrum der Ruhr-Universität Bochum
Bereits seit den 60er-Jahren versorgen die Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Bergmannsheils und die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Katholischen Klinikums Bochum gemeinsam schwerbrandverletzte Patienten jeden Alters und aller Schweregrade sowohl konservativ als auch operativ. Damit gehört das Brandverletztenzentrum der Ruhr-Universität Bochum zu den ältesten Verbrennungszentren in Deutschland. Für die Versorgung von Patienten mit Brandverletzungen stehen drei Betten in der Kinderklinik sowie acht Betten im Bergmannsheil zur Verfügung.
Katholisches Klinikum Bochum
Mit 1.400 Betten und rund 4.300 Mitarbeitern aus 59 Nationen zählt das Katholische Klinikum Bochum (KKB) zu den großen und leistungsstarken Krankenhaus-Verbundunternehmen im Ruhrgebiet. Versorgt werden Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet – pro Jahr mehr als 50.000 Patienten stationär und mehr als 166.000 ambulant. Im Jahresdurchschnitt werden rund 400 junge Menschen ausgebildet.
Das St. Josef-Hospital und das St. Elisabeth-Hospital sind Teil des Klinikums der Ruhr-Universität Bochum. Von der Geburtshilfe über die Kinderklinik bis zur Geriatrie werden im KKB Menschen aller Altersstufen behandelt. Das größte Haus und Sitz des Gesamtunternehmens ist das St. Josef-Hospital.
Privatdozent Dr. Tobias Hirsch
Universitätsklinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte, Handchirurgiezentrum, Operatives Referenzzentrum für Gliedmaßentumoren
Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil
Tel.: 0234 302 0
Dr. Tobias Rothoeft
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Klinikum der Ruhr-Universität Bochum
Katholisches Klinikum Bochum
Tel.: 0234 509 0
Dr. Jürgen Frech
Unternehmenskommunikation
Katholisches Klinikum Bochum
Tel.: 0234 509 6104
Robin Jopp
Stabsstelle Unternehmenskommunikation
Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil
Tel.: 0234 302 6125
8. November 2017
19.08 Uhr