Biologie Bakterien produzieren mehr Substanzen als gedacht
Unter den Stoffwechselprodukten könnten auch pharmazeutische Wirkstoffe sein.
Das Antibiotika produzierende Bakterium Streptomyces chartreusis schüttet weitaus mehr Stoffwechselprodukte aus, als sein Genom hatte vermuten lassen. Das lässt auf deutlich komplexere Interaktionen mit der Umwelt schließen als zuvor gedacht. Unter den Substanzen könnten auch pharmazeutisch interessante Moleküle sein. Ein Team um Prof. Dr. Julia Bandow und Christoph Senges von der Arbeitsgruppe Angewandte Mikrobiologie der Ruhr-Universität Bochum analysierte ein breites Spektrum von Stoffwechselprodukten des Bakteriums unter verschiedenen Kulturbedingungen.
Gemeinsam mit Kollegen aus Bielefeld und Charlottetown, Kanada, beschreiben die Bochumer Forscher die Ergebnisse in der Zeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ vom 20. Februar 2018.
Großes Potenzial für die Biosynthese
Zusammengenommen produzieren Bakterien der Gattung Streptomyces ungefähr 70 Prozent aller klinisch genutzten Antibiotika, die natürlichen Ursprungs sind. Im Erbgut von Streptomyces chartreusis gibt es 128 Gencluster, von denen die Bochumer Forscher vermuten, dass sie für die Herstellung von Biomolekülen relevant sind. „Basierend auf dieser Zahl hatten wir nicht erwartet, so viele Moleküle zu entdecken, die das Bakterium absondert“, sagt Julia Bandow.
1.044 verschiedene Substanzen fand das Team in dem Kulturmedium, in dem die Bakterien gezüchtet wurden, wobei die Forscher drei unterschiedlich zusammengesetzte Medien verwendeten. Je nach Umgebungsbedingungen synthetisierte Streptomyces verschiedene Substanzen, einige zum Beispiel abhängig von der Eisenmenge im Medium.
Pharmazeutisches Potenzial
Die Forscher entdeckten unter anderem acht bislang unbekannte Desferrioxamine – Moleküle, die wichtig für die Eisenaufnahme der Bakterien sind und in der Medizin eingesetzt werden, wenn Menschen eine Überdosis an Eisen oder Aluminium erlitten haben. „Das zeigt, wie groß das Potenzial ist, neue Vertreter von bereits bekannten Wirkstoffklassen zu finden“, erklärt Julia Bandow. Von den meisten Stoffen kennen die Wissenschaftler bislang nicht die Struktur, sodass sie vermuten, auch neue Stoffklassen entdecken zu können. „Basierend auf unseren Ergebnissen gehen wir davon aus, dass der Großteil der bakteriellen Chemie – sowohl chemische Strukturen als auch ökologische Bedeutung und pharmakologisches Potenzial – bislang noch unbekannt ist“, ergänzt Bandow.
In der Studie zeigte das Team außerdem, dass ein Biosynthese-Gencluster nicht nur ein Produkt herstellen kann, sondern eine Bandbreite von Substanzen. „Wahrscheinlich handelt es sich bei diesem Phänomen um eine Anpassung an die Lebensbedingungen“, sagt Christoph Senges.
Andere Methode als früher genutzt
Anders als in früheren Studien nutzten die Forscherinnen und Forscher nicht die Kernspinresonanz-Spektroskopie, um das Spektrum der Stoffwechselprodukte abzubilden, sondern eine besondere Form der Massenspektroskopie, genannt Tandem-Massenspektroskopie. So konnten sie auch einzelne Bestandteile in komplex zusammengesetzten Medien identifizieren, selbst wenn diese nur in geringer Menge vorlagen.