Proteinforschung Bluttest zeigt früh das Alzheimer-Risiko an
Derzeit kann die Krankheit erst bei Auftreten der ersten Symptome festgestellt werden – zu spät für wirksame Therapien.
Ein neu entwickelter Bluttest kann im Mittel acht Jahre vor der klinischen Diagnose auf eine Alzheimer-Erkrankung hinweisen. Das zeigten Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum (RUB), des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und des Krebsregisters Saarland mit einer großen populationsbezogenen Kohortenstudie aus dem Saarland. Die Ergebnisse sind in „EMBO Molecular Medicine“ vom 6. April 2018 veröffentlicht.
Bis heute gibt es keine wirksame Therapie gegen die Alzheimer-Demenz. Das liegt nach Meinung vieler Experten vor allem daran, dass die Krankheit erst in einem späten Stadium diagnostiziert wird, wenn die charakteristischen Symptome wie Vergesslichkeit vorliegen. Die zugrunde liegenden Gehirnschädigungen sind dann aber bereits weit fortgeschritten und irreversibel.
Einfacher und günstiger Test
„Unser einfacher und kostengünstiger Bluttest kann die Erkrankung bereits in einem noch symptomlosen Stadium aufspüren und Personen identifizieren, die ein besonders hohes Risiko haben, Alzheimer zu entwickeln“, sagt Prof. Dr. Klaus Gerwert, Sprecher des Forschungskonsortiums „Protein Research Unit within Europe“ an der RUB.
„Möglicherweise können Medikamente, die derzeit in klinischen Studien erprobt werden, das Fortschreiten der Krankheit aufhalten, wenn sie in diesem frühen Stadium angewandt würden“, ergänzt Prof. Dr. Hermann Brenner, der im DKFZ die Abteilung Klinische Epidemiologie und Alternsforschung leitet. Auch die Entwicklung neuartiger Therapieansätze wird nach Meinung der Experten von diesem frühzeitigen Bluttest enorm profitieren.
„Demenzerkrankungen nehmen zu und stellen Betroffene, Angehörige und die Gesellschaft vor enorme Herausforderungen. Ich bin dankbar, dass das Saarland einen Beitrag zur Entwicklung des Bluttests für Alzheimererkrankungen leisten konnte“, so die für das saarländische Krebsregister zuständige Gesundheitsministerin Monika Bachmann, die selbst aktive Teilnehmerin der Kohortenstudie ist.
Fehlgefaltete Proteine detektieren
Bei der Alzheimer-Krankheit kommt es zu einer Fehlfaltung des Amyloid-Beta-Proteins, die bereits 15 bis 20 Jahre vor Auftreten der ersten Symptome beginnt. Die fehlgefalteten Proteine verklumpen und lagern sich als Amyloid-Plaques im Gehirn ab. Klaus Gerwert und seinem Team gelang es, einen Test zu entwickeln, der im Blut nachweist, ob das Gehirn mit diesen Plaques belastet ist. Dazu bestimmen die Forscher das Verhältnis von gesunden zu krankhaften Formen der Amyloid-Beta-Proteine.
Zunächst prüften die Forscher den Test an Patienten, die an einem Vorstadium (Mild Cognitive Impaired, MCI) der Alzheimer-Krankheit mit nicht eindeutigen kognitiven Beeinträchtigungen litten und die in der schwedischen „Biofinder“-Kohorte von Prof. Dr. Oskar Hansson, Lund University, erfasst waren. Diagnostiziert werden kann die Alzheimer-Erkrankung in diesem frühen Stadium nur im Gehirn mit teuren bildgebenden Verfahren wie der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) oder anhand veränderter Biomarker in der Rückenmarksflüssigkeit, die mit einer invasiven Lumbalpunktion gewonnen wird. Die aktuelle Studie zeigte, dass auch der neu entwickelte Bluttest das MCI-Stadium der Krankheit nachweisen kann.
Test funktioniert vor dem klinischen Ausbruch
Im nächsten Schritt wollten Gerwert und Kollegen herausfinden, ob sich die Amyloid-Beta-Veränderungen im Blut noch früher, also schon vor dem klinischen Ausbruch der Krankheit, erkennen lassen. Dazu verwendeten sie Blutproben, die im Rahmen der „Esther“-Studie gewonnen worden waren. Die Kohortenstudie, die Hermann Brenner leitet und in Zusammenarbeit mit dem Saarländischen Krebsregister durchführt, startete im Jahr 2000. Die Teilnehmer nahmen in definierten Intervallen an Nachuntersuchungen teil. Das ermöglichte es den Wissenschaftlern, das Entstehen der Erkrankung über einen langen Zeitraum von über 15 Jahren zu verfolgen.
Die Forscher untersuchten Blutproben, die bei Studieneintritt entnommen worden waren. Sie verglichen die Proben von 65 Personen, bei denen im Verlauf der Studie eine Alzheimer-Demenz diagnostiziert wurde, mit 809 Kontrollen. Der Test war in der Lage, Personen ohne klinische Alzheimer-Symptome im Durchschnitt acht Jahre vor der klinischen Diagnose der Krankheit zu erkennen.
Gut geeignet für Screening
In 70 Prozent der Fälle identifizierte der Bluttest diejenigen Personen, bei denen sich später tatsächlich eine Alzheimer-Demenz entwickelte. Bei neun Prozent lieferte der Test fälschlicherweise ein positives Ergebnis, obwohl die Probanden gesund blieben („falsch positiv“).
„Momentan ist der Test wegen der falsch positiven Ergebnisse noch nicht zur alleinigen Frühdiagnose von Alzheimer geeignet“, erläutert Gerwert. „Aber er eröffnet die Möglichkeit, in einem kostengünstigen und minimal-invasiven Screening Personen herauszufiltern, die sich dann einer weiterführenden teuren und invasiven Diagnose unterziehen sollten, die ein falsch positives Ergebnis ausschließen kann.“ Die bisherigen diagnostischen Verfahren sind nicht für ein Screening breiter Bevölkerungsgruppen geeignet.
Infrarotsensor misst Proteinverhältnis
Der Bluttest verwendet eine als Immuno-Infrarot-Sensor bezeichnete Technologie, um das Verhältnis von pathologischem und gesundem Amyloid-Beta zu messen. Aufgrund einer fehlerhaften Faltung der Proteinkette nimmt das pathologische Amyloid-Beta eine sogenannte Beta-Faltblatt-Struktur ein, die zur Aggregation neigt, während die gesunde Struktur dies nicht tut. Die beiden Strukturen absorbieren Infrarotlicht mit unterschiedlicher Frequenz, sodass der Bluttest das Verhältnis von gesundem zu pathologischem Amyloid-Beta in der Probe bestimmen kann.
Kaum größer als eine Pralinenschachtel
Der Proteinforscher Gerwert und seine Kollegen arbeiten inzwischen intensiv daran, den Immuno-Infrarot-Sensor technisch zu verbessern und zu standardisieren, um noch mehr Erkrankte herauszufiltern und um die Rate an falsch positiven Testergebnissen zu reduzieren. Zukünftig wird der Sensor durch Einsatz der Quantenkaskadenlaser-Technologie kaum größer als eine Pralinenschachtel sein, sodass sich das Verfahren dann für den Routineeinsatz eignet.
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