Auch das Ruhrgebiet haben die Experten als Teil Westfalens unter die Lupe genommen. © RUB, Marquard

Sozialwissenschaft So wird Westfalen fit für die Zukunft

Zwei Wissenschaftler der RUB haben ein Gutachten über die Lage Westfalens veröffentlicht. Fazit: Es dürfte noch mehr Vernetzung sein.

Zu den Erfolgsbedingungen regionaler Innovationsprozesse gehören ein effizientes Regionalmanagement, gemeinsame Strategien von Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft sowie ein schnellerer Technologie- und Wissenstransfer. Das sind die Ergebnisse eines Gutachtens über Westfalen, das Prof. Dr. Jörg Bogumil und Prof. Dr. Rolf G. Heinze am 24. Juli 2019 vorgestellt haben. Die beiden Sozialforscher der Ruhr-Universität Bochum (RUB) haben es im Auftrag der Stiftung Westfalen-Initiative erstellt. Das Gutachten ist als Buch erhältlich.

Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Entwicklungen der Regionen in Westfalen haben die Autoren die Verflechtungen zwischen dem Wissenssektor und der Wirtschaft zwischen dem westfälischen Ruhrgebiet und den angrenzenden Regionen des Münsterlandes, Südwestfalens und Ostwestfalen-Lippes (OWL) mit unterschiedlichen Methoden analysiert. Sie untersuchten Pendlerbewegungen zwischen den Regionen, befragten Unternehmensvertreter sowie Expertinnen und Experten.

Fortschritte in der Netzwerkbildung

Eines der zentralen Ergebnisse ist, dass sich bei der regionalen Netzwerkbildung und der intelligenten Spezialisierung in Westfalen in letzter Zeit viel bewegt hat: „Innovationsnetzwerke mit bundesweiter Strahlung sind entstanden und auch der Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis ist intensiver geworden“, so Jörg Bogumil. Neue Vermittlungs- und Kooperationsmodule wie das Innovations- oder Technologiescouting sehen die Forscher dabei als zukunftsweisendes Instrument in der regionalen Standort- und Strukturpolitik an. Erfolgreich sind die westfälischen Regionen zum Beispiel durch gemeinsame Innovationsverbünde geworden, die eine Symbiose von transdisziplinärer Wissenschaft mit unternehmerischer Intelligenz darstellen. „Dazu gehört die Spürnase, sowohl die gewandelten Herausforderungen für Unternehmen – etwa im Bereich der IT-Sicherheit – zu erkennen als auch zu realisieren, welche Produkte und Dienstleistungen gesellschaftlich relevant sind und vermarktet werden können“, so Rolf G. Heinze.

Süd- und Ostwestfalen sowie das Münsterland konnten sich durch die Regionsbildung im Zuge des Strukturförderprogramms „Die Regionale“ profilieren. Dort existiert eine flexible, mittelständische Wirtschaft mit qualifizierten Arbeitskräften. „Aber auch diese westfälischen Regionen können im Standortwettbewerb nur bestehen, wenn sie ihre Innovationsstrategien auf Kompetenzfelder konzentrieren“, unterstreicht Bogumil. „Dazu gehört es, Unternehmen je nach Bedarf mit Hochschulen sowie Dienstleistungsanbietern und weiteren Bildungs- und Forschungseinrichtungen zu vernetzen.“

Die Wirkung der Wissenschaft

Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind dabei eine Grundbedingung für kreative regionale Wissensnetzwerke. Hier sei insbesondere das Ruhrgebiet stark aufgestellt, das sich mit derzeit rund 275.000 Studierenden immer stärker als Wissensregion präsentiert, stellen die Autoren fest. „Die Innovationspotenziale der Hochschulen könnten allerdings noch stärker in regionalökonomischem Mehrwert transferiert werden“, meinen die Sozialwissenschaftler. Neben einem effizienten Standortmanagement raten sie auch dazu, die oft unübersichtliche Palette an Technologiezentren, Transferstellen und ähnlichen Einrichtungen zu überprüfen. Zudem müsse die differenzierte Branchenstruktur der Unternehmen berücksichtigt werden. „Gerade in den westfälischen Regionen außerhalb des Ruhrgebietes sind die mittelständische Wirtschaft und das Handwerk stark vertreten, und hier gilt es auf die besonderen Spezifika dieser Unternehmen einzugehen“, fordert Rolf Heinze.

Darüber hinaus raten die Forscher, die synergetischen Potenziale der Wirtschaft und der Wissenschaft noch intensiver zu mobilisieren, da man nicht mehr darauf vertrauen könne, dass im großen Umfang von außen Neuansiedlungen die Standorte absichern. Beispiele wie die Initiative „It’s OWL“ zeigen exemplarisch, wie sich eine Wissensregion schrittweise entwickeln kann. Dies gelte ebenso für Südwestfalen, wo sich in den vergangenen Jahren durch die Förderung im Programm „Die Regionale“ eine beispielhafte regionale Identitätsbildung nachzeichnen lasse. Und auch das Münsterland setze explizit auf die endogenen regionalen Potenziale.

Lebensqualität entscheidet

Eine weitere Erkenntnis des Gutachtens: Die Transformation hin zu einer Wissensregion gelingt nur, wenn auch der Wohnstandort attraktiv ist. „Was das anbelangt, hat besonders das nördliche Ruhrgebiet noch einige Defizite“, stellen die Forscher fest und raten zu speziellen Maßnahmen zum Beispiel gegen Bildungsdefizite. Gerade die Bekämpfung der Dauerarbeitslosigkeit erfordere es zudem, neue Modelle zu erproben, um soziale Desintegrationstendenzen aktiv anzugehen. „Generell gewinnen neben den beruflichen Perspektiven sogenannte weiche Standortfaktoren wie Familienfreundlichkeit bei der Entscheidung für oder gegen einen Standort immer stärker an Bedeutung“, so Rolf G. Heinze. Insbesondere raten die Forscher dazu, rasch die digitale Infrastruktur auf den neuesten Stand zu bringen. Nur wenn es gelingt, positive Narrative über die westfälischen Räume aufzubauen, etwa über das digitale Dorf, werde es für junge Leute wieder attraktiv, vor Ort zu bleiben oder nach dem Studium zurückzukehren.

Grenzen überschreiten

Sowohl die demografischen Herausforderungen als auch neue Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Robotik erfordern in den Augen der Forscher neue gemeinsame Wirtschaftsräume jenseits traditioneller verwaltungsrechtlicher Abgrenzungen.“ Damit würden auch die Grenzen des Regionalverbandes Ruhr, des Münsterlandes, von Süd- und Ostwestfalen überschritten“, betont Jörg Bogumil. Trotz einiger Fortschritte konzentrierten sich die Regionen jedoch eher auf sich selbst. „Am ehesten haben sich neue regionale Verflechtungen jenseits traditioneller Abgrenzungen zwischen südwestfälischen Regionen und Teilen des Ruhrgebietes entwickelt“, so Bogumil. „Hier wird das Profil eines westfälischen Wirtschaftsraumes gestärkt, der sich einerseits durch eine starke mittelständische Struktur und Hidden Champions und andererseits durch eine breit aufgestellte Hochschul- und Forschungslandschaft auszeichnet.“ Die Forscher fordern auch die ländlichen Regionen zur stärkeren Vernetzung auf. „Westfalen könnte hier zum Labor für diverse Formen ländlicher Mobilität und deren Vernetzung werden.“

Originalveröffentlichung

Rolf G. Heinze, Jörg Bogumil, Fabian Beckmann, Sascha Gerber: Vernetzung als Innovationsmotor – das Beispiel Westfalen, Schriftenreihe der Westfalen-Initiative, Münster 2019, 156 Seiten, ISBN: 9783941607415

Pressekontakt

Prof. Dr. Jörg Bogumil
Lehrstuhl für öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik
Fakultät für Sozialwissenschaft
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 32 27805
E-Mail: joerg.bogumil@rub.de

Prof. Dr. Rolf G. Heinze
Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie, Arbeit und Wirtschaft
Fakultät für Sozialwissenschaft
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 32 28981
E-Mail: rolf.heinze@rub.de

Veröffentlicht

Mittwoch
24. Juli 2019
12:08 Uhr

Von

Meike Drießen

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