Flüssen wieder mehr Raum zu geben, gehört zu den naturbasierten Maßnahmen gegen Hochwasser. Hier die Lahn von oben. © Henrike Philipp

Geografie Deutsches Hochwasserrisiko-Management ist nur selten naturbasiert

Behörden vertrauen lieber technischen Maßnahmen als der Renaturierung von Flussauen oder der Wiederanbindung saisonaler Bäche.

Die Folgen von Hochwasser lassen sich nicht nur mit Deichen, Poldern und Rückhaltebecken mindern: Auch naturbasierte Lösungen – englisch Nature-Based Solutions, kurz NBS – tragen zum Wasserrückhalt bei und schützen so vor seiner zerstörerischen Wirkung. Trotzdem machen sie nur neun Prozent der vorgeschlagenen Maßnahmen in Hochwasserrisiko-Managementplänen der Bundesländer aus. Das hat eine Analyse des Teams von Prof. Dr. Christian Albert, Inhaber des Lehrstuhls für Umweltanalyse und -planung in metropolitanen Räumen am Geographischen Institut der Ruhr-Universität Bochum (RUB), ergeben. Das Team veröffentlichte die Ergebnisse in der Zeitschrift Environmental Science and Policy vom 16. Mai 2020.

Bessere Gewässerqualität und mehr Artenschutz

NBS können nicht nur vor Hochwasser schützen: Man hofft durch Maßnahmen wie die Renaturierung von Flussauen und die Wiederanbindung saisonaler Bäche auch, dass sich die Wasserqualität verbessert und man die Artenvielfalt fördern kann. Die europäische und deutsche Politik haben das Potenzial von NBS erkannt und in ihren Richtlinien verankert, etwa in der EU-Hochwasserrichtlinie.
Das Forschungsteam des Geographischen Instituts wollte wissen, inwieweit diese Maßgaben bereits in Hochwasserrisiko-Managementplänen der Behörden aufgegriffen werden, die für jedes Flusseinzugsgebiet erstellt werden müssen. Eine Dokumentenanalyse gab Aufschluss darüber, wie hoch jeweils der Anteil von NBS in Plänen ausgewählter Bundesländer ist. Außerdem wollten die Forscher ergründen, welche Faktoren den vorgefundenen Umfang erklären können.

19 Pläne wurden analysiert

„Für die Analyse haben wir Hessen, Niedersachsen und Sachsen ausgewählt, weil sich die drei Bundesländer wesentlich in ihrer Wasserwirtschaftsverwaltung, ihrer Form der Regionalplanung und Betroffenheit von vergangenen Hochwasserereignissen unterscheiden“, erklärt Erstautor Mario Brillinger. Die Dokumentenanalyse umfasste 19 Hochwasserrisiko-Managementpläne, die für 2012 bis 2015 erstellt worden waren.

Die Studie zeigt, dass NBS nur sehr selten in diesen Plänen aufgegriffen werden: Sie machen nur neun Prozent aller insgesamt 4.282 vorgeschlagenen Maßnahmen aus. Stark vertreten sind dagegen mit 45 Prozent Maßnahmen der Verhaltens- und Risikovorsorge wie die Förderung eines verstärkten Risikobewusstseins, die Aktualisierung von Alarm- und Einsatzplänen, das Katastrophenschutzmanagement oder die Veröffentlichung von Hochwassergefahrenkarten. Auch technische Schutzmaßnahmen sind mit rund 41 Prozent stark vertreten.

Hessen schlug die meisten NBS vor und bevorzugte dabei Renaturierungsmaßnahmen des Uferbereichs und Maßnahmen der Flussauenentwicklung. Niedersachsen zeigte die wenigsten NBS und präferierte dabei vor allem die Wiederherstellung von natürlichen Rückhalteflächen. In Sachsen konnten die Forscher relativ häufig den Rückbau von Wehren als NBS klassifizieren.

Der Bewertung der Maßnahmen mehr Daten zugrunde legen

„Darüber hinaus haben wir untersucht, welche Kriterien es begünstigen, dass NBS vorgeschlagen werden“, erklärt Christian Albert. In den analysierten Plänen wurden NBS dann stärker berücksichtigt, wenn es sich um kleinere Nebenflüsse und Situationen mit geringer Hochwassergefahr handelte. Auch hing die Berücksichtigung von NBS davon ab, wie die Verantwortlichen ihre Wirksamkeit und die zu erwartenden Kosten und Nutzen einschätzten. „Die zuständigen Personen vertrauten NBS in diesen Punkten offenbar weniger als anderen Maßnahmen“, berichtet Mario Brillinger. „Sie gingen häufiger davon aus, dass NBS mehr Planungs- und Verwaltungskosten verursachen und weniger wirksam sind als andere Schutzmaßnahmen.“

Das Forschungsteam schlägt vor, bei der Erstellung von Hochwasserrisiko-Managementplänen künftig Bewertungsmethoden anzuwenden, die auf den besten Daten über die vielfältigen Wirkungen von NBS und anderen Maßnahmen beruhen. Außerdem sollte man das lokale Wissen betroffener Akteure berücksichtigen. So könnten sich NBS künftig besser ins Hochwasserrisiko-Management einbeziehen lassen.

Originalveröffentlichung

Mario Brillinger, Alexandra Dehnhardt, Reimund Schwarze, Christian Albert: Exploring the uptake of nature-based measures in flood risk management: Evidence from German federal states, in: Environmental Science and Policy, 2020, DOI: 10.1016/j.envsci.2020.05.008

Pressekontakt

Prof. Dr. Christian Albert
Geographisches Institut

Fakultät für Geowissenschaften

Ruhr-Universität Bochum

Tel.: +49 234 32 19615


Mario Brillinger

Geographisches Institut

Fakultät für Geowissenschaften

Ruhr-Universität Bochum

E-Mail: mario.brillinger@rub.de

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Veröffentlicht

Freitag
17. Juli 2020
09:17 Uhr

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