Kern- und Teilchenphysik ERC Advanced Grant für Erforschung der Starken Wechselwirkung
Dass die Teilchen im Inneren von Atomkernen zusammenhalten, betrachten wir oft als selbstverständlich. Dabei sind die Wechselwirkungen zwischen den Kernteilchen weitestgehend unverstanden.
Die Kräfte im Inneren von Atomkernen zu verstehen ist das Ziel von Prof. Dr. Evgeny Epelbaum. Für seine theoretische Forschung in der Kern- und Teilchenphysik erhält der Bochumer Wissenschaftler einen Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC). Im Projekt „Nuclear Theory from First Principles“ will der Inhaber des Lehrstuhls für Theoretische Physik, insbesondere Hadronen- und Teilchenphysik, der Ruhr-Universität Bochum (RUB) mit theoretischen Methoden die Kräfte beschreiben, die zwischen drei Kernteilchen wirken. Der Grant ist mit 2,5 Millionen Euro dotiert.
Starke Wechselwirkung hält Kernteilchen zusammen
„Mehr als 99,9 Prozent der Masse im sichtbaren Universum sind in den Atomkernen konzentriert“, sagt Evgeny Epelbaum. Diese bestehen aus Protonen und Neutronen, die zusammen auch als Nukleonen bezeichnet werden. Die Nukleonen wiederum sind aus noch kleineren Bausteinen, den Quarks und Gluonen, aufgebaut. Zwischen diesen wirkt die sogenannte Starke Wechselwirkung, eine Fundamentalkraft, die für den Zusammenhalt der Quarks und Gluonen im Inneren von Nukleonen sorgt und ihre Eigenschaften bestimmt. Die Starke Wechselwirkung tritt aber nicht nur zwischen Quarks und Gluonen innerhalb eines Nukleons auf. Sie wirkt auch zwischen den Bausteinen verschiedener Nukleonen. Damit ist die Starke Wechselwirkung auch für die Kräfte zwischen Kernteilchen verantwortlich.
„Wenn wir in der Lage sein wollen, die Eigenschaften von Atomkernen vorherzusagen, beispielsweise ihre Masse oder die Ladungsverteilung, dann müssen wir die Wechselwirkung zwischen Nukleonen verstehen“, beschreibt Epelbaum. „Dabei geht es auch um fundamentale Fragen, etwa wie die Elemente des Universums entstehen oder wie sich Sterne entwickeln.“
Bislang nur Zusammenspiel zweier Nukleonen verstanden
Paarweise Wechselwirkungen zwischen zwei Nukleonen sind bereits relativ gut verstanden. Somit können Physiker beschreiben, was im Inneren des einfachsten Atomkerns – bestehend aus zwei Nukleonen – vor sich geht. Ganz anders sieht es aus, wenn man kompliziertere Atomkerne bestehend aus drei oder mehr Nukleonen betrachtet. Hier geben die Wechselwirkungen bislang Rätsel auf. „Selbst für Systeme aus nur drei Nukleonen gibt es große Unterschiede zwischen experimentellen Befunden und theoretischen Vorhersagen“, schildert Evgeny Epelbaum.
An dieser Stelle setzt die Forschung im Rahmen seines ERC Advanced Grants an. Epelbaum will mit seinem Team die Kräfte beschreiben, die in einem System aus drei und mehr Nukleonen wirken. Dazu nutzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen theoretischen Zugang, der als effektive Feldtheorie bekannt ist und in der Teilchenphysik eine breite Anwendung findet. Mit diesem Ansatz hat die Bochumer Gruppe in der Vergangenheit bereits präzise die Wechselwirkungen zwischen zwei Nukleonen beschrieben. Nun wollen sie den Ansatz auf Drei-Teilchen-Kräfte übertragen.
Diskrepanz zwischen Theorie und Experiment auflösen
Mithilfe der im Rahmen des ERC Grants entwickelten Theorie will das Team außerdem die vorhandenen experimentellen Daten für das Drei-Nukleonen-System analysieren, mit dem Ziel, die Diskrepanzen zwischen Theorie und Experiment aufzulösen. Des Weiteren sind numerische Simulationen für komplexere nukleare Systeme geplant, die aus noch mehr Teilchen bestehen, um Zusammenhänge zwischen den Kernkräften und ihre Eigenschaften zu ergründen. Solche Simulationen erlauben auch Einblicke in Bereiche, die keiner experimentellen Untersuchung zugänglich sind. So lässt sich beispielsweise erforschen, wie die Eigenschaften von Atomkernen oder Prozesse in den Sternen von Naturkonstanten – wie der Masse der Quarks – abhängen.