Biopsychologie Der Strategie des Schubladendenkens auf der Spur
Bochumer Forschungsteam identifiziert allgemeine Grundsätze beim Kategorisierungslernen mithilfe neu entwickelter Untersuchungsmethode.
Unsere geistige Fähigkeit, die komplexe Welt in Kategorien einzuteilen, erleichtert unser tägliches Leben. Doch wie kommen wir zu dieser Einteilung? Und welche Merkmale werten wir aus? Der Beantwortung dieser Fragen sind Forschende der Ruhr-Universität Bochum mit der Hilfe von Tauben ein Stück näher gekommen. Sie fanden heraus, dass Vögel verschiedene Strategien nutzen, um Kategorien erfolgreich zu lernen. Für ihre Datenerhebung nutzen die Wissenschaftler eine neuentwickelte Forschungsmethode. Sie kombinierten dabei die sogenannte „virtuelle Phylogenese“, bei der künstliche Stimuli computergestützt erzeugt werden, mit einem maschinellen Lernansatz und somit der automatisierten Auswertung des Pickverhaltens der Vögel. Die Erkenntnisse ihrer Forschung veröffentlichten sie nun in der Januarausgabe der Zeitschrift Animal Cognition.
Kategorisierung macht Wissen für neue Erfahrungen nutzbar
Umgangssprachlich gern als „Schubladendenken“ beschrieben, heftet dem Kategorisierungslernen in der Öffentlichkeit häufig ein eher negativer Beigeschmack an. Dabei bietet die grundlegende kognitive Fähigkeit zur Kategorisierung einen bedeutenden Vorteil: Sie fasst die Flut von Objekten oder Ereignissen in unserer Umgebung auf der Basis von Gemeinsamkeiten zusammen und macht das Wissen, das bereits angehäuft wurde, für neue Erfahrungen nutzbar.
Welche Reizeigenschaften das Einordnen in eine Kategorie bestimmen wird wissenschaftlich seit langer Zeit kontrovers diskutiert. Die Arbeit des Bochumer Forscherteams bietet nun Erkenntnisse zu dieser Fragestellung - durch einen Forschungsansatz mit computergenerierten Stimuli in Verbindung mit der maschinellen Analyse des Pickverhaltens von Tauben. „Wir sind auf die Zusammenarbeit mit diesen Tieren spezialisiert“, beschreibt Dr. Roland Pusch, Erstautor der Studie. „Tauben verfügen über ein hoch entwickeltes visuelles System und zeigen hervorragende Leistungen in Verhaltenstests. Sie sind daher ein hervorragendes Modellsystem, um sich dieser Frage zu nähern.“
Detaillierte Analysemöglichkeit durch besonderes Pickverhalten der Tauben
Die Biopsychologen trainierten die Tauben darin, digital hergestellte Bilder am Bildschirm zu unterscheiden und sie in Kategorien zu unterteilen, indem sie auf den Monitor pickten. „Die Eigenschaften der Bildreize haben wir genau definiert“, erläutert Pusch den Prozess. „Durch sogenannte „virtuelle Phylogenese“ haben wir zwei Objektfamilien mit je 20 Mitgliedern am Computer geschafften. Jedes Objekt gehörte aufgrund seiner Eigenschaften eindeutig Familie X oder Familie Y an und konnte so entsprechend von den Tieren kategorisiert werden.“ „Der Trumpf unserer Untersuchungsreihe war das besondere Pickverhalten von Tauben“, ergänzt Projektleiter Prof Dr. Dr. Güntürkün. „Tauben kennzeichnen nach dem Training mit ihrem Picken nämlich einerseits, ob ein Objekt einer Kategorie angehört oder nicht. Andererseits kennzeichnen sie aber auch genau die Stelle am Objekt, die für ihre Kategorisierungsentscheidung ausschlaggebend war.“
Auf Grundlage der automatisierten Aufzeichnung bestimmten die Wissenschaftler gezielt die Orte an den Objekten, die die Tauben bei ihrer Wahl am Monitor berührten. „Das Pickverhalten einzelner Tiere war sehr konstant. Dies führt uns zu dem Schluss, dass die Tiere auf ganz spezifische Eigenschaften der Stimuli Wert legen“, so Pusch. „Interessanterweise sind diese Vorlieben, trotz identischer Verhaltensleistung, individuell unterschiedlich – jede Taube hat also ihre ganz eigenen spezifischen Eigenschaften, auf die sie bei den zwei Objektfamilien Wert legt. Dies deutet darauf hin, dass das Kategorisierungslernen nicht auf eine einzige Lernstrategie beschränkt ist.“
Die Kombination aus „virtueller Phylogenese“ und maschinellem Lernansatz bietet laut Pusch und Güntürkün viel Potential für die Erforschung weiterführender Fragestellungen im Bereich des Kategorisierungslernens. So eröffne die Methode die Möglichkeit, in vergleichenden Experimenten neben den sensorischen Grundlagen auch spezies-spezifische Verhaltensstrategien zu untersuchen. Zudem könnten neben dem Verhalten der Tiere auch neuronale Prozesse untersucht werden, die das Kategorisierungslernen im Gehirn in Gang setze.