Medizin Was eine künstliche Lunge bei schwerem Covid-19 leisten kann
Eine Analyse von Falldaten und Sterblichkeitsraten für das mittlere Ruhrgebiet zeigt Chancen und Grenzen der ECMO-Therapie.
Menschen mit schwerer Covid-19-Erkrankung und Atemversagen wurden in der Corona-Pandemie häufig maschinell beatmet und in Einzelfällen zusätzlich mit einer sogenannten ECMO (Extrakorporale Membranoxygenierung) behandelt. Welchen Nutzen dieses Verfahren zur Lungenunterstützung bei Klinikpatientinnen und -patienten im mittleren Ruhrgebiet leistete, diskutiert eine neue multizentrische Studie, die das BG Universitätsklinikum Bergmannsheil, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum, initiiert und koordiniert hat. Die Arbeitsgruppe hat dazu retrospektiv die Falldaten von 149 maschinell beatmeten Covid-19-Erkrankten unter Beteiligung von vier Standorten des Universitätsklinikums der Ruhr-Universität Bochum untersucht (Bergmannsheil Bochum, St. Josef-Hospital Bochum, Knappschaftskrankenhaus Bochum und Marien Hospital Herne). Die Ergebnisse zeigen eine hohe Sterblichkeit in dem betrachteten Patientenkollektiv. Dabei ist vor allem das hohe Alter der Patientinnen und Patienten auffällig sowie die Tatsache, dass bei verstorbenen Menschen ein längerer Zeitraum vom Beginn der Krankheitssymptome bis zur Krankenhauseinweisung zu beobachten ist. Die ausführlichen Ergebnisse der Studie wurden am 20. April 2023 in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlicht.
ECMO als letztes Mittel der Intensivtherapie
Die ECMO-Therapie galt in der Corona-Pandemie bei Menschen mit schwerer Covid-19-Erkrankung und Ateminsuffizienz oft als letztes Mittel der intensivmedizinischen Behandlung. Dabei übernimmt eine Maschine mit einer künstlichen Lunge (Oxygenator) die Funktion des erkrankten Organs, indem sie das einströmende venöse Blut mit Sauerstoff anreichert, Kohlendioxid entfernt und das Blut in den Kreislauf des Betroffenen zurückführt. Um den Nutzen dieses Verfahrens für die Versorgung von Covid-19-Erkrankten besser beurteilen und qualifizieren zu können, hat die Forschungsgruppe retrospektiv Falldaten aus dem mittleren Ruhrgebiet zusammengetragen. Diese bezogen sich auf den Zeitraum vom 1. März 2020 bis zum 31. August 2021, in dem sich die ersten drei Pandemiewellen manifestierten. Alle 149 Personen (63,8 Prozent männlich, mittleres Alter 67 Jahre) benötigten während ihrer stationären Versorgung eine invasive maschinelle Beatmung, 50 davon erhielten außerdem eine sogenannte veno-venöse ECMO-Therapie, die also die Lungenfunktion unterstützt.
Vergleich Deutschland zu Europa: Mehr Maximaltherapie trotz hohen Alters
Im Ergebnis zeigte sich eine hohe Sterblichkeitsrate in dem betrachteten Patientenkollektiv (Gesamt: 72,5 Prozent, ECMO: 80 Prozent). „Unsere Erkenntnisse stehen im Einklang mit anderen Registerdaten, die in Deutschland erhoben wurden“, erklärt Studienleiter Dr. Assem Aweimer, Oberarzt der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Bergmannsheil. „Zudem belegen sie den bekannten Befund, dass in Deutschland bei beatmeten Covid-19-Patientinnen und -Patienten mit und ohne ECMO eine höhere Sterblichkeitsrate beobachtet wird als in verschiedenen anderen europäischen Ländern.“ Als eine wesentliche Ursache dafür sei anzunehmen, dass hierzulande auch vergleichsweise viele Patientinnen und Patienten im hohen Lebensalter mit invasiver Beatmung und ECMO-Therapie behandelt werden.
Fast die Hälfte (49 Prozent) aller betrachteten Patientinnen und Patienten der Studie waren 70 Jahre und älter, die Sterblichkeit in dieser Altersgruppe lag bei 89 Prozent. Auch der Einsatz der ECMO-Therapie sei in Deutschland aufgrund der flächendeckenden Verfügbarkeit nicht durch ein höheres Alter eingeschränkt – anders als in anderen europäischen Ländern, sagt Assem Aweimer: „In unserer Studie lag das Durchschnittsalter bei der Anwendung der ECMO bei 58 Jahren, was signifikant höher ist als in anderen europäischen Ländern, wo es zwischen 49 und 52 Jahren liegt.“
Schnelle Klinikeinweisung nach Symptombeginn offenbar wichtiger Faktor
Weiterer bemerkenswerter Befund: Bei verstorbenen Patientinnen und Patienten war der Zeitraum von Symptombeginn bis zur Einweisung in die Klinik im Durchschnitt zwei Tage länger als bei den Überlebenden. Dies galt unabhängig davon, ob die Patientinnen und Patienten zusätzlich mit einer ECMO behandelt wurden oder nicht. Eine rasche stationäre Behandlung könnte also die Heilungschancen positiv beeinflusst haben, so das Forschungsteam. Es weist außerdem auf den sehr hohen Ressourcenverbrauch etwa an Thrombozytenkonzentraten hin, der bei der Studienpopulation mit der Durchführung der ECMO-Therapie verbunden war.
Erste Studie dieser Art für das mittlere Ruhrgebiet
„Unsere Studie fokussiert gezielt den Ballungsraum Ruhrgebiet und ist damit die erste ihrer Art für diese Region. Im Ergebnis liefert sie wichtige Impulse, um Behandlungsstandards zu entwickeln und die Parameter zu schärfen, die den Einsatz einer hochaufwändigen ECMO-Therapie nahelegen“, sagt Prof. Dr Andreas Mügge, Direktor der Medizinischen Klinik II am Bergmannsheil und am St. Josef-Hospital. „Die wissenschaftliche Diskussion gilt es fortzuführen, damit wir diese wichtige Behandlungsoption für lebensgefährlich erkrankte Menschen in bestmöglicher Weise nutzen und einsetzen können.“