Huu Phuc Nguyen, Pauline Ulmke und Tran Tuoc (von links) haben mageblich an der Arbeit mitgearbeitet. 

© RUB, Marquard

Genetik

Neue genetische Ursache für Mikrozephalie entdeckt

Forschende entschlüsseln, wie ein RNA-abbauendes Enzym die Größe und Struktur des Gehirns steuert.

Die Mikrozephalie ist eine angeborene Fehlbildung, die zu einer deutlich verringerten Gehirngröße führt und häufig mit motorischen und geistigen Einschränkungen einhergeht. Ein internationales Forschungsteam um Dr. Tran Tuoc aus der Abteilung für Humangenetik der Ruhr-Universität Bochum hat eine bislang unbekannte genetische Ursache dafür herausgefunden. Mutationen im Gen EXOSC10 – einem zentralen Bestandteil des RNA-Abbaukomplexes („Exosom“) – verursachen die primäre Mikrozephalie. Die Arbeit ist in der Fachzeitschrift BRAIN vom 24. Oktober 2025 veröffentlicht. 

Präzises Gleichgewicht der Stammzellen

Während der Entwicklung der Großhirnrinde müssen neuronale Stammzellen in einem präzisen Gleichgewicht zwischen Selbsterneuerung und Differenzierung stehen, um die große Vielfalt an Nervenzellen zu erzeugen, die für Wahrnehmung und Kognition notwendig sind. Ist dieses Gleichgewicht gestört, kommt es zu Fehlbildungen. „Dank moderner Sequenzierverfahren und genetischer Analysemethoden wächst unser Verständnis der genetischen Ursachen von Entwicklungsstörungen des Gehirns rasant“, berichtet Tran Tuoc. 

Genom-Screening von Patient*innen

Er und sein Team identifizierten durch Genom-Screenings von Patientinnen und Patienten mit kortikalen Fehlbildungen Mutationen im Gen EXOSC10, die nicht durch die Eltern vererbt, sondern im Individuum neu entstanden waren. Um die zugrunde liegenden Mechanismen zu verstehen, erzeugten die Forschenden Mausmodelle mit vergleichbaren Mutationen. Bei diesen Mäusen führte der teilweise Verlust von EXOSC10 zu einer vorzeitigen Umwandlung von Stammzellen in Nervenzellen. „Dadurch verkleinerte sich die Stammzellpopulation, und die Großhirnrinde blieb kleiner – ganz ähnlich wie beim menschlichen Krankheitsbild“, so Erstautorin Dr. Pauline Ulmke.

Molekulare Analysen – RNA-Sequenzierung und -Immunpräzipitation – zeigten, dass EXOSC10 normalerweise bestimmte Boten-RNAs des sogenannten Sonic-Hedgehog-(Shh)-Signalwegs, darunter Scube1 und Scube3, abbaut. Fehlt EXOSC10, werden diese Transkripte nicht ausreichend abgebaut, was zu einer übermäßigen Aktivierung des Shh-Signals führt. „Wird diese Signalaktivität im Mausmodell gehemmt, kann die reduzierte Hirngröße weitgehend wiederhergestellt werden – ein klarer Beweis für die ursächliche Rolle dieser Fehlregulation“, folgert Ulmke.

Bislang unbekannte Verbindung

„Unsere Studie zeigt eine bislang unbekannte Verbindung zwischen RNA-Abbau und Sonic-Hedgehog-Signalgebung während der Hirnentwicklung“, erklärt Tran Tuoc. „Sie verdeutlicht, wie empfindlich das Gleichgewicht zwischen RNA-Stabilität und Signalaktivität bei der Steuerung des Wachstums des Kortex ist.“ Neben der Identifizierung von EXOSC10 als neuem Mikrozephalie-Gen liefert die Studie grundlegende Erkenntnisse darüber, wie post-transkriptionelle RNA-Regulation das Gleichgewicht neuronaler Stammzellen kontrolliert und damit die Gehirngröße bestimmt.

Diese Arbeit erweitert das Spektrum bekannter genetischer Ursachen von Mikrozephalie und eröffnet neue Perspektiven für die Erforschung von RNA-Stoffwechsel und Signalwegen bei menschlichen Hirnfehlbildungen. Die Ergebnisse unterstreichen überdies die Bedeutung moderner Genom-Sequenzierung und Tiermodelle, um die molekularen Grundlagen komplexer neuroentwicklungsbedingter Erkrankungen zu entschlüsseln. 

Förderung

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (TU432/3, TU432/6, GRK2862/1) und die Forschungsförderung in der Medizin (F1008N-20, IF-027N-22) unterstützten die Arbeiten.
 

Originalveröffentlichung

Pauline Ulmke et al.: EXOSC10 Haploinsufficiency Causes Primary Microcephaly by Derepression of Sonic Hedgehog Signalling, in: Brain, 2025, DOI: 10.1093/brain/awaf405

Pressekontakt

Dr. Tran Tuoc
Abteilung für Humangenetik
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel.:  +49 234 32 29262
E-Mail.: tran.tuoc@ruhr-uni-bochum.de

Download hochauflösender Bilder
Der Download der gewählten Bilder erfolgt als ZIP-Datei. Bildzeilen und Bildnachweise finden Sie nach dem Entpacken in der enthaltenen HTML-Datei.
Nutzungsbedingungen
Die Verwendung der Bilder ist unter Angabe des entsprechenden Copyrights für die Presse honorarfrei. Die Bilder dürfen ausschließlich für eine Berichterstattung mit Bezug zur Ruhr-Universität Bochum verwendet werden, die sich ausschließlich auf die Inhalte des Artikels bezieht, der den Link zum Bilderdownload enthält. Mit dem Download erhalten Sie ein einfaches Nutzungsrecht zur einmaligen Berichterstattung. Eine weitergehende Bearbeitung, die über das Anpassen an das jeweilige Layout hinausgeht, oder eine Speicherung der Bilder für weitere Zwecke, erfordert eine Erweiterung des Nutzungsrechts. Sollten Sie die Fotos daher auf andere Weise verwenden wollen, kontaktieren Sie bitte redaktion@ruhr-uni-bochum.de

Veröffentlicht

Dienstag
28. Oktober 2025
12:38 Uhr

Teilen