1870/71 Der deutsch-französische Krieg auf Twitter
Ein Team aus Bochum und Ludwigsburg erzählt die Ereignisse aus vielen Perspektiven zum Teil minutiös nach.
Was haben das Pferd des Husaren Leder, der freiwillige Kriegsfuhrmann Mampel und Napoleon III. gemeinsam? Sie alle sind Akteure im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 – und damit zugleich in einem besonderen historischen Projekt. „Kriegsgezwitscher“ erzählt die Geschichte des Krieges auf dem Twitter-Account @Krieg7071 in Echtzeit aus verschiedenen Perspektiven nach: auf den Tag, die Stunde, zum Teil auf die Minute genau – nur eben 150 Jahre zeitversetzt. Insgesamt 32 Studierende der RUB und der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg twittern seit Ende Juli 2020, zugleich dem Beginn des Konflikts anno 1870, auf ihrem Kanal. Betreut werden sie von Prof. Dr. Christian Bunnenberg (RUB) und Prof. Dr. Tobias Arand (Ludwigsburg).
Die kleinen Leute kommen zu Wort
Mal handelt es sich um Tweets aus der Sicht von berühmten Persönlichkeiten wie dem französischen Kaiser Napoleon III. oder dem preußischen General Moltke. Doch meist kommen die sogenannten kleinen Leute zu Wort: einfache Soldaten, deren Angehörige oder Bürgerinnen und Bürger, die in der Nähe der Kriegsschauplätze leben und ungewollt in den Krieg hineingezogen werden.
Dadurch erhalten die Leserinnen und Leser des Twitterkanals höchst interessante und häufig dramatische Einblicke in das Geschehen. Hier muss ein verwundetes Pferd getötet werden, dort sucht ein Vater seine Söhne oder ein Soldat verzweifelt nach einem trockenen Platz zum Schlafen. Mit jedem Tweet ändert sich die Lage, automatisch steigt auch die Spannung, denn oft geht es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod.
Doch das Projektteam behält auch stets die Gesamtlage im Auge, berichtet über den Verlauf von Schlachten und deren Folgen für den Krieg. Manchmal lassen sich die großen Ereignisse und die Einzelschicksale auch geschickt verknüpfen, so wie in diesem Tweet vom 10. August 2020/1870: „#DrDähne erreicht das Schlachtfeld von #Spichern. Zwar erfreut ihn der deutsche Sieg, doch wird ihm auch der Preis des Erfolges bewusst. Als Arzt hat er viel zu tun.“
„Mithilfe von Twitter wird die Geschichte des Krieges von 1870/71 für ein nichtfachliches Publikum erzählt“, erklärt Christian Bunnenberg. Grundlage für die Tweets sind zeitgenössische Quellen und Darstellungen von beteiligten Personen, vom Tagebuch des preußischen Kronprinzen bis zur Heimatpost von Soldaten, die die Studierenden akribisch gesichtet haben. Die nächste Herausforderung bestand darin, die einzelnen kleinen Geschichten auf maximal 280 Zeilen zu verdichten; mehr erlaubt Twitter bekanntlich nicht.
Geschichte wird tatsächlich greifbar
Geschichte wird in diesem Projekt tatsächlich greifbar. Unterhaltsam und spannend ist es allemal – und ausführlich. Bis Kriegsende im Frühjahr 1871 beziehungsweise 2021 werden die Studierenden weit über 3.000 Tweets veröffentlich haben, schätzen sie. Bis Mitte August 2020 waren es bereits 800 – und viele entscheidende Ereignisse wie die Schlacht von Sedan Anfang September 1870/2020 und die Kaiserkrönung im Versailler Spiegelsaal im Januar 1871/2021 folgen erst noch.