Interview Aus Liebe zur Wissenschaft
Ombudsman Ulf Eysel setzt sich für gute wissenschaftliche Praxis ein.
Rund 25 Jahre lang war er Forscher an der RUB. 2013 wurde Prof. Dr. Ulf Eysel emeritiert. Im Ruhestand ist er deswegen noch lange nicht. Eine halbe DIN-A4-Seite mit Ämtern und Aufgaben kann der renommierte Neurophysiologe vorweisen, die er weiterhin für die Ruhr-Uni wahrnimmt. Unter anderem ist er Ombudsman für gute wissenschaftliche Praxis. Über seine Arbeit als Hüter der Moral im Wissenschaftsbetrieb sprach er mit Julia Weiler.
Herr Eysel, Sie sind Ombudsman für gute wissenschaftliche Praxis an der RUB. Wissenschaftliches Fehlverhalten, was ist das eigentlich?
Das Plagiieren ist eine häufige Form des wissenschaftlichen Fehlverhaltens, und zwar eine schwere. Was wir aber auch oft beobachten, ist die Behinderung oder Verhinderung von Wissenschaft. Zum Beispiel wenn jemand versucht, Daten aus einer Teamarbeit zurückzuhalten, und damit eine Publikation verhindert. Zur guten Praxis gehört auch eine gute Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Verstöße gegen eine professionelle Betreuung sind ein Beginn wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Die schwerste Form des Fehlverhaltens ist natürlich, Daten zu fälschen oder zu erfinden.
In manchen Disziplinen ist es üblich, bestimmte Datenpunkte auszuklammern, weil sie weit von den anderen abweichen, sogenannte Outlier. Ist das in Ordnung?
Das ist in Ordnung, wenn man es deklariert und begründet. Wenn man zum Beispiel sagt „Wir haben diese Punkte nicht in die Statistik einbezogen, weil ein bekanntes Messartefakt aufgetreten ist“. Es ist aber nicht in Ordnung, Dinge, die einem nicht in den Kram passen, abzuändern – vielleicht bestimmte Banden in der Darstellung eines Proteins abzuschwächen oder auszuschneiden. Ich habe auch Fälle erlebt, in denen Leute ein Bild mit zwei komplett unterschiedlichen Bildunterschriften verwendet haben. Man bekommt also anhand derselben Darstellung völlig verschiedene Dinge verkauft. Da muss man schon eine betrügerische Absicht vermuten.
Das ist eine Frage der wissenschaftlichen Hygiene.
Mal in eine ganz andere Richtung gedacht: Oft ist es üblich, eine Person als Autor auf eine wissenschaftliche Publikation zu schreiben, obwohl sie die Kriterien für eine Autorenschaft nicht erfüllt. Fehlverhalten?
Sogenannte Ehrenautorenschaften zählen mit zur Liste des wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Nur Geräte oder Räume zur Verfügung zu stellen rechtfertigt keine Ko-Autorenschaft. Es gibt allerdings Grauzonen mit Ermessensspielraum. Zum Beispiel, wenn eine Arbeit nur möglich geworden ist, weil jemand einen Projektantrag geschrieben hat, in dem die Ideen vorgezeichnet sind und ohne den das Geld für die Forschung nicht da gewesen wäre. Das Geld allein reicht aber nicht für eine Ko-Autorenschaft. Wenn originelle Ideen oder tatsächliche Mitarbeit hinzukommen, ist das etwas anderes. Man kann sich durchaus auch selbst von einer Autorenliste streichen lassen. Das ist eine Frage der wissenschaftlichen Hygiene, wenn der eigene Beitrag sehr gering ist. Nichtsdestotrotz kann man die betreffende Arbeit kritisch lesen und Korrekturen oder Verbesserungen vorschlagen; dafür genügt dann in der Regel eine Danksagung am Ende des Textes.
Wie bekommt man die Regeln für gutes wissenschaftliches Arbeiten in die Köpfe der Nachwuchswissenschaftler?
Jeder, der eine Lehrerfunktion in der Wissenschaft einnimmt, muss eigentlich die Kenntnisse über die gute wissenschaftliche Praxis weitergeben. Nun sind die Lehrer leider in derselben Lage wie die Schüler; sie stehen auch unter Publikationsdruck und wollen ihre Karriere fördern. Schwarze Schafe gibt es überall. Dann sind Veranstaltungen zur guten wissenschaftlichen Praxis wie in der Research School und in den fachspezifischen Graduiertenschulen sehr wichtig.
Sollten solche Veranstaltungen für jeden Doktoranden Pflicht sein?
Es würde vielleicht manchen Leuten später im Leben einiges ersparen. Deshalb sollten Wissenschaftler diese Angebote auch bereits im eigenen Interesse wahrnehmen.
Sie engagieren sich ehrenamtlich für die gute wissenschaftliche Praxis. Worin besteht Ihre Aufgabe?
Der Ombudsman berät, prüft und beurteilt mögliches Fehlverhalten. Ombudsman ist keine Person, sondern eine Einrichtung. Gegebenenfalls wird auch mit externen Gutachtern oder einer Kommission gearbeitet. Es ist aber keine Einrichtung, die Strafen verhängt. Am Ende einer Prüfung lege ich dem Rektorat einen Bericht vor; dann entscheidet das Rektorat. Die wichtigste Funktion der Ombudsperson ist nicht, Plagiate oder Fälschungsdelikte zu entlarven. Das Wichtigste ist Mediation. Viele Fälle beginnen oft ganz harmlos mit fehlender oder unzureichender Kommunikation zwischen den Beteiligten. Wenn die Betroffenen rechtzeitig zu mir kommen, kann ich vermitteln.
Wie viel Zeit fordert Ihre Arbeit als Ombudsperson für gute wissenschaftliche Praxis?
Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Zeiten, in denen mich die Aufgabe als Ombudsperson volltags beschäftigt. Im vergangenen Jahr war das zweieinhalb Monate lang der Fall. Normalerweise sind es ein bis eineinhalb Tage pro Woche. Es kommt noch viel Schreibarbeit dazu, zum Beispiel durch das Einholen von Informationen von den verschiedenen Parteien. Was man noch einmal mit dem Faktor zwei einrechnen kann, ist, dass man fast die ganze Zeit über die Fälle nachdenkt. Denn sie sind in der Regel komplex, nicht erfreulich, und es hängt an einem selbst, sie gerecht zu beurteilen.
Unterhaltet Euch.
Welchen Rat haben Sie für Nachwuchswissenschaftler, um nicht in Versuchung zu geraten?
Ein guter Rat, den man eigentlich jedem geben kann, ist: Wenn du beginnst, eine Arbeit oder eine Publikation zu schreiben, schalte den Computer ab oder schiebe zumindest mal Tastatur und Maus zur Seite. Dann schreibe nur aus dem Kopf auf, was und wie du es darstellen willst. Dazu sollte man nicht einmal vorübergehend kopieren, was andere schon geschrieben haben; zu leicht bleibt etwas stehen und ein Zitat wird vergessen.
Für die alltägliche Arbeit im Team ist mein Rat: Unterhaltet euch rechtzeitig über die Dinge und geht positiv aufeinander zu. Es gibt Menschen, die sehen Probleme, die noch gar nicht da sind. Das kann richtig nach hinten losgehen. Man kann Probleme, dadurch, dass man sie vermutet, auch erst erzeugen.
Ihre Aufgabe als Ombudsperson scheint mit vielen unangenehmen Tätigkeiten zu tun zu haben. Was bewegt Sie dazu, sich in Ihrem Ruhestand trotzdem dieser Sache zu widmen?
Das kann man wahrscheinlich nur mit lebenslanger Hingabe für die Wissenschaft erklären. Ich möchte das System Wissenschaft, von dem ich gelebt habe und das ich liebe, einfach in einem bestmöglichen Zustand sehen. Es ist sicherlich keine Sache, die man sich als Hobby zulegen würde. Aber es ist eine wichtige Aufgabe. Es macht nicht immer Spaß, aber es macht Sinn. Und wenn ein Fall erfolgreich vermittelt werden konnte, ist das auch etwas Schönes.