Seismologie Wie die Alpen von unten aussehen

Berge erstrecken sich nicht nur nach oben, sondern auch nach unten in die Erde hinein. Um sich davon ein Bild zu machen, nutzen Forscher Erdbeben.

Die Berge der Alpen sind gewaltig: Bis zu 4.800 Meter hoch ragen sie auf. Doch was wir von ihnen sehen können, ist noch lange nicht alles: Ähnlich wie Eisberge, deren größerer Teil unter Wasser liegt, haben die Alpen eine Wurzel, die weit in die Tiefe bis hinein in den Erdmantel reicht. „Die kontinentale Erdkruste und damit auch die Wurzel der Berge besteht vorrangig aus Gestein geringerer Dichte, wie zum Beispiel Kalkstein, Granit, Gneis oder Sedimenten. Der darunterliegende Erdmantel besteht eher aus dichterem Gestein“, beschreibt Dr. Kasper Fischer, Leiter des Seismologischen Observatoriums der RUB, das Prinzip.

Wellen breiten sich unterschiedlich schnell aus

Um herauszufinden, wie die Alpen von unten aussehen, machen er und Kollegen aus ganz Europa sich Erdbeben zunutze. Hintergrund ist, dass sich Erdbebenwellen in verschiedenen Gesteinsarten unterschiedlich schnell ausbreiten. Aus ihrer Geschwindigkeit lassen sich also Rückschlüsse darauf ziehen, durch welche Art von Untergrund sie gelaufen sein müssen.

Um diese Geschwindigkeit messen zu können, haben die Forscherinnen und Forscher im europäischen Projekt Alp Array eine weitverzweigte Landschaft aus Messstationen aufgebaut, die sich über die gesamte Alpenregion erstreckt. Etwa 280 vorhandene Seismometer wurden um rund 320 zusätzliche mobile Messgeräte ergänzt, sodass an 600 Stellen die Erdbewegungen überwacht werden.

Verpackt in eine Tonne

„Wir hatten einen Plan mit günstigen Messpunkten von der Projektleitung erhalten und haben dann Orte gesucht, die in einem Ein- bis Zwei-Kilometer-Umkreis dieser Punkte Messmöglichkeiten eröffneten“, erklärt Kasper Fischer. Wichtig dabei waren vor allem eine ausreichende Stromversorgung und Schutz vor dem Wetter.

Die Seismometer, verpackt in eine schützende Tonne und flankiert von einem Computer und gegebenenfalls einer Batterie, brachten die Forscher zum Beispiel in Gebäuden von Wasserwerken, in Burgen, in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden unter. Manche wurden mangels Infrastruktur im Hochgebirge auch vergraben.

Die Kisten enthalten je ein Breitbandseismometer, das über einen breiten Frequenzbereich von 8 Millihertz bis 40 Hertz Bodenbewegungen registriert. Die goldene Verpackung schützt die Geräte vor Temperaturschwankungen.
© Roberto Schirdewahn

„Ungefähr zweimal im Jahr fährt ein Techniker die Messpunkte an und schaut, dass alles in Ordnung ist“, erzählt Fischer, dessen Bochumer Team zehn der Messpunkte in der Alpenregion aufgebaut hat und betreut. Nach dem Projektstart im Jahr 2015 war das dichte Netz aus Messpunkten zwei Jahre später fertig aufgebaut. Per Mobilfunk werden die Daten der Bochumer Stationen in Echtzeit an die RUB übertragen – im Flur des Instituts für Geologie, Mineralogie und Geophysik hängen Monitore an der Wand, auf denen jeder Besucher live verfolgen kann, ob und wo in den Alpen die Erde bebt. Alle Daten sämtlicher Messpunkte werden an zentralen Stellen in Europa gesammelt und können jedem, der ihre Nutzung beantragt, zur Verfügung gestellt werden.

Kleinere auswertbare Erdbeben finden fast täglich statt.


Kasper Fischer

Dann begann das Warten – auf Erdbeben. „Kleinere auswertbare Erdbeben finden fast täglich statt, größere Ereignisse natürlich wesentlich seltener“, sagt Kasper Fischer. Je nachdem, wo ein Erdbeben seinen Ursprung hat, kommen seine Wellen früher oder später in der Alpenregion an und verlaufen aus verschiedenen Richtungen durch das Messnetz. Ein Erdbeben mit Ursprung in Japan verursacht ein Wellenmuster, das aus Nord-Osten kommt, eines in Griechenland kommt aus Südwesten. Bei weit entfernten Beben melden alle Messstandorte fast zeitgleich Bodenbewegungen. Lokale Erdbeben wandern mit größerer zeitlicher Verzögerung durch das Netz der Messpunkte.

„Besonders interessant sind für uns in der Regel nicht die Oberflächenwellen von Erdbeben, die die meiste Zerstörung anrichten“, sagt Kasper Fischer. „Wir konzentrieren uns normalerweise auf die Raumwellen.“ Diese Wellen gehen kugelförmig vom Ursprung eines Bebens aus, der meist in großer Tiefe liegt, und verbreiten sich durch den Erdkörper. Im Gestein des Erdmantels breiten sie sich schneller aus als in der Erdkruste. Durch die Wurzel der Alpen laufen sie also auch langsamer als durch das umgebende Gestein. Das enge Netz des Alp Array erlaubt es, die Informationen, die in den Oberflächenwellen enthalten sind, ebenfalls detailliert auszuwerten.

Langsame Werte deuten auf die Alpenwurzel hin

Um der Struktur des Untergrunds der Alpen auf die Spur zu kommen, werten die Forscher im Projekt die Messdaten mehrerer Erdbeben unterschiedlicher Herkunft aus, indem sie sie nachträglich im Computer übereinanderlegen. Durch die Kreuzungspunkte der Wellen entsteht eine virtuelle Gitterstruktur der Erde unterhalb der Alpen, die bis in eine Tiefe von mehreren hundert Kilometern reicht.

Kasper Fischer leitet das seismologische Observatorium der Ruhr-Universität Bochum.
© Roberto Schirdewahn

„Wir vergleichen dann die gemessenen Geschwindigkeiten der Erdbebenwellen mit vorher auf der Basis vereinfachter Modelle berechneten Erwartungen“, erklärt Kasper Fischer. Abweichungen von diesen errechneten Durchschnittswerten lassen Schlüsse auf den tatsächlichen Untergrund zu. „Langsamere Werte in einem Kästchen unseres Gitters können wir so der Alpenwurzel zuordnen, schnellere Werte in einem Kästchen deuten auf den umgebenden Erdmantel hin“, so Fischer. Mit dieser sogenannten seismischen Tomografie entsteht so nach und nach ein Abbild der inneren Struktur der Alpen und ihrer Wurzel, ganz ähnlich wie bei einer Computertomografie des Körpers im Krankenhaus.

Nach der gängigen Auffassung taucht Europa unter die adriatische Platte ab, aber ganz so einfach ist das nicht.


Kasper Fischer

Darüber hinaus erhoffen sich die am Projekt beteiligten Forscherinnen und Forscher Schlüsse auf die Dynamik der Kontinentalplatten Afrikas und Europas, deren Kollision zur Bildung der Alpen geführt hat. „Nach der gängigen Auffassung taucht Europa unter die adriatische Platte ab“, erläutert Kasper Fischer, „aber ganz so einfach ist das nicht. Vielleicht ist es auch umgekehrt, oder an verschiedenen Stellen unterschiedlich.“ Mehr Wissen über den Untergrund in dieser Region erlaubt dann möglicherweise auch Rückschlüsse auf Strömungen im Erdmantel und die genauen Folgen der Bewegungen der Kontinente.

Initiative Alp Array

Die europäische Initiative Alp Array ist eingebunden in das Schwerpunktprogramm 2017 „4D-MB – Gebirgsbildungsprozesse in vier Dimensionen“, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert. Mehr als 50 Einrichtungen aus 18 Ländern sind zurzeit daran beteiligt.

Das seismologische Observatorium der RUB

Das seismologische Observatorium der RUB beobachtet seismische Ereignisse im Ruhrgebiet und in Ibbenbüren, die mit dem Steinkohlenbergbau im Zusammenhang stehen. Seit den 1980er-Jahren registrierte es über 14.000 solche Ereignisse im Ruhrgebiet, die durch aktiven Bergbau ausgelöst wurden.

Wie es nach dem Ende des Bergbaus weitergeht, ist Gegenstand der Forschung der nächsten Jahre. Insbesondere durch den geplanten Grubenwasseranstieg ist mit Erschütterungsereignissen zu rechnen. Die meisten werden aber nicht spürbar sein und können daher nur durch empfindliche Instrumente registriert werden.

Aktuelle Ereignisse sind online zu sehen.

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Veröffentlicht

Mittwoch
31. Oktober 2018
09:29 Uhr

Von

Meike Drießen

Dieser Artikel ist am 5. November 2018 in Rubin 2/2018 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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