Beim sogenannten sozial evaluierten Kaltwassertest müssen die Versuchspersonen ihre Hand für drei Minuten in ein Becken mit eiskaltem Wasser halten.
© Roberto Schirdewahn

Neurowissenschaften Drei eiskalte Minuten

Wie regulieren Männer und Frauen ihre Emotionen, wenn sie gestresst sind? Das zeigt eine neue Studie aus der Kognitionspsychologie, die den sozial evaluierten Kaltwassertest einsetzt.

Das Wasser misst null bis zwei Grad. „Legen Sie Ihre nicht dominante Hand in das Kaltwasserbecken. Und schauen Sie nun in die Kamera vor Ihnen“, so lautet die Anweisung. Ein Motor bringt das kalte Wasser zum Zirkulieren. Nach einer Weile färbt sich die Hand des Probanden leicht rot. Er lenkt sich ab, lässt den Blick schweifen, ballt eine Faust. Die Versuchsleiterin verzieht keine Miene und korrigiert: „Bitte sitzen Sie aufrecht, Hand ausstrecken, und in die Kamera schauen.“ Nach einiger Zeit wird der Proband angewiesen, die Hand wieder aus dem Wasser zu nehmen – wie alle der 80 Teilnehmenden.

„Unsere Versuchspersonen sollen das drei Minuten lang machen. Ich habe es nicht geschafft, minutenlang die Kälte auszuhalten. Das ist ziemlich schmerzhaft,“ weiß Dr. Katja Langer, Postdoktorandin am Lehrstuhl für Kognitionspsychologie, aus eigener Erfahrung. Die Wissenschaftlerin verwendet den sogenannten „sozial evaluierten Kaltwassertest“ zur Stressinduktion. „Die Situation im Labor löst bei den meisten Probandinnen und Probanden eine physiologische und psychische Stressreaktion aus, deren Auswirkungen wir dann auf verschiedene kognitive und emotionale Prozesse untersuchen“, so Langer. In ihrer neusten Studie, veröffentlicht in „Psychoneuroendocrinology“, zeigt sie, dass sich der Einfluss von Stress auf die kognitive Emotionsregulation bei Männern und Frauen unterschiedlich stark auswirkt.

Wenn unser Herz rast

Menschen reagieren unterschiedlich auf Stress. Einige sind leichter dafür anfällig, chronisch gestresst zu sein, gar depressiv zu werden, andere erholen sich recht schnell von stressigen Situationen. „Wir wollen herausfinden, welche Faktoren diese unterschiedlichen Anfälligkeiten erklären“, so Langer. Forschungen haben gezeigt, dass es zwei Hauptstresssysteme gibt. „Wenn wir unter Stress stehen, schüttet unser Körper zum einen das Stresshormon Kortisol aus. Zum anderen wird unser sympathisches Nervensystem aktiviert, und damit sind die Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin gemeint. Wir spüren unser Herz rasen, merken, wie der Blutdruck steigt“, führt Langer aus.

Katja Langer ist Postdoktorandin am Lehrstuhl für Kognitionspsychologie und untersucht den Einfluss von Stress auf unsere kognitive Emotionsregulation.
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Funktionieren unter Stress

Die Bochumer Forscherin interessiert sich vor allem für die unmittelbaren Reaktionen auf Stress. Sie untersucht, wie sich Stress kurzfristig auf unsere kognitive Emotionsregulierung auswirkt, also die Fähigkeit, unsere Empfindungen durch eigene Gedanken zu steuern. „Wir interessieren uns für zwei kognitive Strategien, nämlich das Umbewerten und das Ablenken“, erklärt Langer. Wie schwer fällt uns das, wenn wir gestresst sind?

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Der sozial evaluierte Kaltwassertest soll Erkenntnisse bringen. Die eingangs beschriebene Situation aktiviert bei den Probandinnen und Probanden beide Stresssysteme. Nach dem Handbad im kalten Wasser werden ihnen Bilder von negativen Ereignissen gezeigt. „Ihre Aufgabe ist es, die abgebildeten Situationen neu zu bewerten, neu zu interpretieren, sich ein positives Ende auszumalen oder sich abzulenken, etwa in dem sie an eine andere Situation denken, die nichts mit dem Bild zu tun hat“, so Langer.

Negative Situationen positiv denken

Vor und im direkten Anschluss an den Kaltwassertest erhebt das Bochumer Forschungsteam per Fragebögen, was die Probandinnen und Probanden empfinden. „Wir fragen nach Emotionen, die der differenziellen Affektskala entsprechen. Haben die Personen zum Beispiel Trauer, Wut, Ekel, Schuld, Angst, oder eben auch Freude oder Interesse gespürt?“, so Langer. Außerdem wollen die Forschenden wissen, wie schwierig die Versuchspersonen es fanden, die Hand in kaltes Wasser zu halten, und wie gestresst sie sich dabei gefühlt haben. „Unsere Probandinnen und Probanden sollen ihre Erfahrungen hier auf einer Skala von 0 bis 100 einschätzen“, erklärt Langer. Auch die Reaktionen auf den Bildertest werden abgefragt: Wie erregt waren Sie? Wie negativ oder positiv haben Sie die jeweiligen Situationen eingeschätzt? Wie gut ist Ihnen die Regulation der Emotionen gelungen?

Blutdruck, Speichel und Pupillenausweitung

Als zusätzliches, objektives Maß erfasst Langer die verschiedenen physiologischen Reaktionen. Vor dem Test, währenddessen und danach werden nicht nur Blutdruck und Pulsfrequenz gemessen, um die eindeutige Stressreaktion zu bestätigen. Es werden auch Speichelproben entnommen, um Kortisol und das Enzym Alpha-Amylase nachzuweisen. Letzteres steht in Zusammenhang mit der Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin. Außerdem wird die jeweilige Pupillenweitung erfasst. Langer erläutert: „Die Pupillenweitung ist ein bekanntes Maß für Erregung und kognitive Anstrengung. Je emotional erregter ich bin oder je stärker ich mich darauf konzentriere, etwas umzubewerten, desto größer meine Pupillen. Das hängt mit der Aktivierung des präfrontalen Cortex zusammen.“

Verbesserte Emotionsregulierung bei Männern

Insgesamt 80 Versuchspersonen, 40 Männer und 40 Frauen, haben an der Studie von Langer teilgenommen. Die Hypothese, dass allen, Männern und Frauen, die Emotionsregulierung im Stresszustand schwerer fällt, konnte nicht bestätigt werden. Die Ergebnisse deuten auf deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern hin.

Das hat uns total sprachlos gemacht.


Katja Langer

Tatsächlich zeigten die Untersuchungen, dass sich Männer unter Stress deutlich besser ablenken konnten. „Bei Männern scheint der Stress zu einer verbesserten Emotionsregulierung geführt zu haben. Das hat uns total sprachlos gemacht“, resümiert Langer. Bei Frauen hingegen deuteten die Ergebnisse eher in die andere Richtung: Die Stressreaktion stand hier mit einer schlechteren Emotionsregulierung in Zusammenhang.

Gegenläufige Stresseffekte

Die Forscherin führt die Unterschiede zum einen auf den zeitlichen Ablauf der Studie und zum anderen auf hormonelle Unterschiede zurück. „Vorgängerstudien konnten bereits zeigen, dass Kortisol erst nach etwa 20 Minuten vermehrt ausgeschüttet wird. Die Aktivierung des sympathischen Nervensystems hingegen passiert innerhalb von Sekunden nach der Stressinduktion, als unmittelbare Reaktion auf das kalte Wasser. Kortisol wird als Reaktion auf die unangenehme Überwachungssituation zeitverzögert ausgeschüttet“, erläutert Langer. Die Bilder-Aufgabe fand etwa zehn bis dreißig Minuten nach dem Kaltwassertest statt. Je nachdem, wann sich die Versuchsperson der Aufgabe widmete, war Kortisol bereits aktiv oder nicht.

Langer teilte daraufhin das Studiendesign in zwei Phasen auf, um ihre Vermutung, dass Stress, je nach Zeitverzögerung, einen gegenläufigen Effekt erzeugt, zu bestätigen. Und tatsächlich: Die Männer waren erst besser in der Regulierung ihrer Emotionen, wenn nach dem Kaltwassertest 20 Minuten vergangen waren, also genau dann, wenn Kortisol besonders aktiv war. Bei Frauen war dies jedoch nicht der Fall.

Geschlechtshormone und Stress

Die Effekte von Kortisol auf die Emotionsregulierung scheinen also, je nach Geschlecht, unterschiedlich zu sein. Bei Männern führt Kortisol zu einer verbesserten Emotionsregulierung. Bei Frauen fällt die Beeinträchtigung in der Emotionsregulierung über das sympathische Nervensystem vermutlich stärker aus. Kortisol scheint bei Frauen keine oder zumindest geringere förderliche Effekte auf ihre Regulationsfähigkeit zu haben. Das Ergebnis könnte damit erklärt werden, dass Frauen vermindert Kortisol ausschütten und die sympathische Aktivierung von Adrenalin und Noradrenalin im Gehirn stärker ist. In Folgestudien möchte Langer diese Vermutungen bestätigen.

Dass Geschlechtshormone und Stresshormone stark miteinander interagieren, ist wissenschaftlich erwiesen. „Von Frauen, die hormonell verhüten, weiß man bereits, dass sie vermindert Kortisol ausschütten. Unsere Forschung legt nahe, dass sie damit auch in ihrer Fähigkeit eingeschränkt sind, auf Stress zu reagieren. Das müsste man gesondert erheben“, so Langer. In ihrer Studie haben die Forschenden nur Frauen als Probandinnen zugelassen, die nicht hormonell verhüten und in der Lutealphase ihres Zyklus und damit exakt drei bis neun Tage vor der Menstruation waren.

Das Bochumer Forschungsteam will im nächsten Schritt den Fokus auf das sympathische Nervensystem legen: „Wir wollen Probandinnen und Probanden die Emotionsregulierungsaufgabe durchführen lassen, noch während der Körper Adrenalin und Noradrenalin ausschüttet, also während der Stressor aktiv ist, um zu schauen, ob es ihnen dann besonders schwerfällt, die Emotionen zu regulieren.“

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Veröffentlicht

Freitag
10. November 2023
09:17 Uhr

Dieser Artikel ist am 1. Dezember 2023 in Rubin 2/2023 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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