Projekt Bessere Hilfe für Männer mit Essstörungen
Essstörungen werden gemeinhin als Frauenkrankheiten wahrgenommen. Dieses Stigma ist ein Grund dafür, dass betroffene Männer selten Hilfe in der Klinik suchen. Forschende der Ruhr-Universität Bochum wollen das ändern.
„In der Klinik kommt auf zehn Frauen mit einer Essstörung nur ein Mann. Wahrscheinlich sind aber viel mehr Männer betroffen“, sagt Prof. Dr. Georgios Paslakis, Mediziner der Ruhr-Universität Bochum. Er forscht an der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Campus Ostwestfalen-Lippe (OWL) zu Essstörungen und weiß, dass diese oft als Frauenkrankheiten wahrgenommen werden. Dem möchte er gemeinsam mit Partnerinnen und Partnern aus der medizinischen Praxis und einem Beirat aus Betroffenen entgegenwirken.
Das Team des Projekts „Intervention gegen die Stigmatisierung von Männern mit Essstörung in der hausärztlichen Versorgung“ hat unter anderem eine Webseite mit Informationen rund um das Thema Essstörungen bei Männern entwickelt, die im Juni 2024 online gegangen ist. Sie bietet umfangreiches Material für Betroffene, Angehörige und medizinisches Personal.
Zum Projekt
Muskelsucht bei Männern besonders verbreitet
Essstörungen können unterschiedliche Formen annehmen. Im Vergleich zu Frauen leiden Männer besonders häufig unter sogenannter Muskelsucht, vor allem junge Männer. Betroffene sind fixiert darauf, so muskulös-athletisch wie möglich auszusehen. Oft treiben sie exzessiv Sport und kontrollieren zwanghaft ihre Ernährung und die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln.
Auf der neuen Webseite äußern sich Betroffene: „Ich hatte schwere Magen-Darm-Beschwerden und Herzrasen, aber ich war äußerlich verdammt gut in Form. Da sagte mein Arzt nur: ‚Ach, das wird schon wieder‘“, schildert ein Patient. „Wenn man jemanden kennt, der viel Sport treibt, sollte man mal dran denken, dass es eine Essstörung sein könnte, und vielleicht nicht einfach sagen: ‚Super, du treibst so viel Sport, du lebst ja so gesund‘“, sagt ein anderer.
Männer suchen seltener Hilfe bei Essstörungen als Frauen.
Georgios Paslakis
„Männer suchen seltener Hilfe bei Essstörungen als Frauen“, weiß Georgios Paslakis. „Ein Grund ist das Stigma der Essstörung als Frauenkrankheit“, sagt er. Dieses Stigma hat sowohl Auswirkungen auf Betroffene als auch auf medizinisches Personal. So berichtet ein männlicher Betroffener beispielsweise: „Ich hatte davon gar keine Vorstellung, dass mein Problem eine Essstörung sein könnte und dass ich als Mann so etwas haben kann“. Ein weiterer sagt: „Ich kam mir immer so wie die Mogelpackung eines Mannes vor“.
Auch Ärztinnen und Ärzte übersehen häufig, dass eine Essstörung vorliegt, oder bagatellisieren diese gar. „Als ich die Überweisung für die Fachklinik von meinem Hausarzt haben wollte, hat man mir auch in der Hausarztpraxis noch einmal gesagt, Bulimie sei keine echte Diagnose“, schildert ein Patient. „Erst nach der Klinik wurde meine Diagnose ernst genommen.“
Schulungsangebot für Hausärztinnen und -ärzte
Betroffene wünschen sich ein offenes Ohr, mehr und spezialisiertere Hilfsangebote und eine bessere Unterstützung durch das medizinische Personal, diese noch recht spärlich vertretenen Angebote aufzufinden. „Wir möchten Betroffene und medizinisches Personal daher über dieses Problem aufklären und Informationen für alle zugänglich machen“, sagt Projektmitarbeiter Martin Lehe von der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Campus OWL. „Dazu haben wir die umfangreiche Webseite und das kostenlose Schulungsangebot aufgebaut. Wir ermutigen Betroffene, sich zu informieren und Hilfe zu suchen, und Hausärztinnen und Hausärzte, an unserer Schulung teilzunehmen.“
Dabei wissen die Forschenden auch erste Positivbeispiele zu berichten. Ein Betroffener aus dem Projektbeirat betonte beispielsweise: „Bei mir hat es mit meinem Hausarzt angefangen, da wurde ich ernst genommen und er hat mir geholfen, eine gute Behandlung zu finden“. Derartige Erfahrungen häufiger Realität werden zu lassen und die Versorgung von Jungen und Männern mit Essstörungen in Deutschland zu verbessern, ist der Antrieb der Forschenden.