Medizin Kaltes Plasma lässt Wunden schneller heilen
Der Goldstandard zur Behandlung chronischer Wunden ist damit überholt.
Wenn das Bein einmal offen ist, beginnt für Patientinnen und Patienten oft ein langer Leidensweg. Trotz Säuberung der chronischen Wunde, spezieller Verbände und regelmäßiger Verbandswechsel nach den aktuellen Leitlinien dauert es oft viele Wochen und Monate, bis die Haut verheilt ist. In der multizentrischen Studie „Plasma On Chronic Wounds for Epidermal Regeneration”, kurz POWER, hat ein Studienteam der Ruhr-Universität Bochum gemeinsam mit anderen Zentren (unter anderen Berlin, Hamburg, München) die Behandlung nach dem Goldstandard mit einer zusätzlichen Behandlung mit einem Kaltplasma verglichen. Eine Zwischenauswertung zeigt, dass das Plasma die Wundheilung deutlich beschleunigt und Schmerz und Infektionen verringert. Die Zwischenergebnisse wurden am 4. August 2023 im Journal of Clinical Medicine veröffentlicht und am 12. September 2023 in einer Pressekonferenz im Berliner Reichstagsgebäude präsentiert.
Nach acht Wochen noch nicht verheilt
Wunden, die nach acht Wochen noch nicht vollständig verheilt sind, gelten als chronisch. Besonders häufig davon betroffen sind ältere Menschen, Diabetiker*innen und Menschen mit Durchblutungsstörungen oder Mobilitätseinschränkungen. „Die aktuellen Leitlinien umfassen zur Behandlung solcher Wunden ein chirurgisches Debridement zur Entfernung nekrotischen Gewebes, eine antiseptische Wundreinigung, das Anlegen spezieller Verbände und einen regelmäßigen Verbandwechsel“, erklärt Dr. Nessr Abu Rached, Spezialist an der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr-Universität Bochum im St. Josef Hospital, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum.
In der POWER-Studie, die seit 2021 läuft und Ende 2024 endet, vergleichen die Forschenden die Wirkung dieser Goldstandard-Therapie mit der Anwendung eines Kaltplasmas. Dabei wird zwischen der Wunde und der Plasmafolie die Umgebungsluft teilweise ionisiert, also mit zusätzlicher Energie aufgeladen. Das so entstehende Plasma wirkt antibakteriell und antiviral sowie entzündungshemmend. Verschiedene vorangegangene Studien haben auch gezeigt, dass das Plasma in der Lage ist, die Bildung neuer Blutgefäße zu begünstigen. „Auch das sollte die Wundheilung verbessern“, so Nessr Abu Rached.
Dreimal pro Woche zwei Minuten Plasma
Das Studienteam gewann im bisherigen Studienzeitraum 48 Patientinnen und Patienten, deren Daten bereits ausgewertet werden konnten. Sie wurden zufällig einer von zwei Gruppen zugeordnet. Die eine Gruppe wurde nach Goldstandard versorgt, die andere Gruppe wurde zusätzlich über vier Wochen dreimal wöchentlich zwei Minuten lang mit dem Kaltplasma behandelt. Der in der Studie verwendete Plasma-Applikator war mit einer Fläche von elf mal elf Zentimetern vergleichsweise groß. Nach vier Wochen, drei und sechs Monaten bewerteten die Forschenden die Wunden der Teilnehmenden, indem sie beispielsweise deren Größe und die mögliche Besiedlung mit Bakterien ermittelten und die Patientinnen und Patienten befragten, wie schmerzhaft die Wunde war.
Ergebnis: 16 Prozent der Wunden der Plasmagruppe hatten sich komplett oder fast vollständig (90 Prozent) nach vier Wochen geschlossen. In der Kontrollgruppe mit Standardwundtherapie galt das für keine einzige Wunde. Weitere 28 Prozent der Wunden in der Plasmagruppe hatten sich um mindestens 60 Prozent verkleinert, auch das galt für keine Wunde in der Kontrollgruppe. Eine Verringerung der Wundfläche um mindestens 40 Prozent wurde bei 40 Prozent der Plasmagruppe und bei 18 Prozent der Kontrollgruppe beobachtet.
Darüber hinaus benötigte die Plasmagruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich weniger Antibiotika (4 Prozent versus 23 Prozent). „Die mit Plasma behandelten Patientinnen und Patienten berichteten darüber hinaus von einer signifikanten Verringerung der Wundschmerzen und einer Verbesserung der Lebensqualität“, berichtet Nessr Abu Rached. „Die Kombination von Plasma mit der bewährten Wundbehandlung übertrifft die Wirkung der bisher als Goldstandard geltenden Behandlung um ein Vielfaches“, so sein Fazit.