Förderprogramm „Wir glauben nicht, dass Frauen anders gründen“
Frauen brauchen nicht mehr Mut, um ein eigenes Start-up zu gründen. Sie brauchen die richtigen Formate. Ein Inkubator der Ruhr-Universität Bochum räumt mit Vorurteilen auf.
Mit rund 25 Prozent Frauenanteil bei Gründungsvorhaben liegt die Ruhr-Universität Bochum schon jetzt über dem Bundesdurchschnitt. Diese Zahl noch weiter zu verbessern und Frauen für das Gründen zu begeistern, ist das Ziel des Inkubators Female Academic Entrepreneurs (FACE@RUB).
Nadine Egelhof und Janwillem Huda sind Projektkoordinatoren bei FACE. Während Nadine Egelhof für die Öffentlichkeitsarbeit sowie die Organisation der Lehrveranstaltungen zuständig ist, verantwortet Janwillem Huda die außercurricularen Veranstaltungen und betreut die Start-up-Teams der Förderprogramme. Im Interview verraten beide, warum die Ruhr-Universität Bochum der ideale Ort ist, um sich als Gründerin auszuprobieren.
Viele Vorurteile, etwa, dass Frauen nur sozial gründen, halten hier nicht stand.
Janwillem Huda
Was zeichnet Ihre Arbeit in der Gründerinnenförderung aus?
Janwillem Huda: Der Inkubator FACE ist, anders als die anderen fünf Inkubatoren der Ruhr-Universität Bochum, nicht fachspezifisch, sondern themenspezifisch. Hier findet sich unter anderem Deutschlands erstes und bis lang einziges universitäres Acceleratorenprogramm speziell für Gründerinnen. Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie vielfältig die Gründungsideen und -teams sind. Viele Vorurteile, wie dass Frauen nur sozial gründen, halten hier nicht stand, stattdessen decken unsere Gründerinnen die ganze Bandbreite unserer Universität mit all ihren Fakultäten ab. Dadurch kriegt man selbst ständig neue Impulse, aber begegnet auch immer wieder neuen Herausforderungen. Indem wir die Teams auf ihrem Weg begleiten, sehen wir den direkten und greifbaren Mehrwert unserer Arbeit.
Nadine Egelhof: Bevor ich zu FACE gekommen bin, habe ich mich am Lehrstuhl für soziale Ungleichheit und Geschlecht mit feministischen Fragestellungen beschäftigt und war Teil eines Projektes für die Gender Studies. Als Sozialwissenschaftlerin hatte ich bis dato nur entfernt über das Gründungsthema nachgedacht, aber genau darum ging es: Eine feministische und sozialwissenschaftliche Perspektive in die Start-up-Welt zu bringen und Räume für Frauen zu schaffen. Das ist, was mir nach wie vor Spaß macht: Mit engagierten und inspirierenden Menschen zusammenzuarbeiten und mehr Diversität zu schaffen. Das Wissen zur Start-up-Szene habe ich mir dann natürlich angeeignet und auch im Rahmen meiner Masterarbeit zum Thema Gender in der Gründungsberatung geforscht.
Braucht es denn wirklich eine besondere Unterstützungsstruktur für Gründerinnen?
Huda: Als Mann bekomme ich diese Frage sehr häufig gestellt, dabei muss man sich nur einmal die Zahlen anschauen. Trotz großer Bemühungen haben wir im Bundesdurchschnitt nur knapp 20 Prozent Gründerinnenanteil. Das heißt für mich im Umkehrschluss, dass die bestehenden Formate nicht genug Frauen ansprechen. Das Argument, dass Frauen nur mehr wollen müssten oder mehr Mut bräuchten, halte ich für falsch. Frauen haben genau das gleiche Potenzial wie Männer, das durch die bestehenden Programme aber nicht ausgeschöpft wird. Denken wir in Richtung Parität, brauchen wir also Formate, die gezielt mehr Frauen auf das Gründen aufmerksam machen.
Wir bei FACE glauben beispielsweise weniger, dass Frauen grundsätzlich anders gründen als Männer.
Nadine Egelhof
Egelhof: Die Antwort hängt auch von der jeweiligen feministischen Perspektive ab, die man vertritt. Wir bei FACE glauben beispielsweise weniger, dass Frauen grundsätzlich anders gründen als Männer. Gründungspersönlichkeiten und -ideen sind ganz unterschiedlich ebenso wie die Wege zum eigenen Start-up. Das Geschlecht, und wie wir dadurch geprägt wurden, ist nur ein Faktor von vielen, die unsere Art zu gründen beeinflussen. Gleichzeitig haben es Frauen durch Sexismus und andere Diskriminierungsdimensionen schwerer. Oftmals müssen sie größere strukturelle Hürden überwinden, etwa bei der finanziellen Förderung ihrer Gründungsidee. Formate werden häufig nicht ansprechend beworben und schon in der Gründungsberatung wird die Motivation der Frauen häufig nicht genug gefördert.
Und wie genau unterstützt FACE gründungsinteressierte Frauen?
Egelhof: FACE schafft einen Raum, in dem gründungsinteressierte Frauen ihre Ideen ausprobieren und sich gegenseitig bestärken können. Wir bereiten gründungsinteressierte Frauen auf mögliche Hürden im Gründungsprozess vor und zeigen Wege auf, mit diesen gut umzugehen. Laut Studien suchen Frauen beispielsweise sozialisationsbedingt bei Misserfolgen den Fehler häufiger ausschließlich bei sich. Wir sensibilisieren dafür, dass viele Faktoren in die Entscheidungen von beispielsweise möglichen Investor*innen einfließen – auch Vorurteile.
Ingenieurin, Chemikerin … Geisteswissenschaftlerin? Wer kann eigentlich eine Gründungsidee verfolgen?
Egelhof: Alle. Innovative und erfolgsversprechende Geschäftsideen finden sich in allen Bereichen. Das zeigt sich auch in der fachlichen Vielfalt unserer zehn EXIST-Women-Stipendiatinnen. Bei FACE bringen wir Frauen aus den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften mit anderen Fachbereichen in Berührung, beispielsweise mit den Materialwissenschaften. Im RUB-Makerspace und unserem Ideenlabor lernen Frauen außerdem, dass man auch als Geisteswissenschaftlerin weitere Kompetenzen in den Bereichen IT, Technologie oder Material erwerben und ein eigenes Produkt herstellen kann.
Die wenigsten Studierenden unserer 21 Fakultäten werden schon einmal daran gedacht haben, ein eigenes Start-up zu gründen
Nadine Egelhof
Was sind Ihrer Erfahrung nach die wichtigsten Hebel, um mehr Frauen für das Gründen zu begeistern?
Egelhof: Die wenigsten Studierenden unserer 21 Fakultäten werden schon einmal daran gedacht haben, ein eigenes Start-up zu gründen; Frauen vielleicht noch weniger aufgrund fehlender medialer und gesellschaftlicher Vorbilder. Ein Alleinstellungsmerkmal von FACE ist, dass wir von Anfang an curriculare Veranstaltungen genutzt haben, um für das Thema zu sensibilisieren. Bachelorstudent*innen sind die frühste Zielgruppe, bei der FACE mit der Gründungsförderung ansetzen kann. Durch Lehrangebote im Optionalbereich im Bachelor und Ergänzungsmodule beziehungsweise freie Wahl-Module im Master erreichen wir nicht nur diejenigen, die schon Interesse an einer Selbstständigkeit haben und entsprechend ihrer Motivation ohnehin Zeit dafür investieren; wir erreichen auch Studierende, die sich bis dahin noch gar nicht mit der Option einer eigenen Gründung beschäftigt haben.
Eine Gründerpersönlichkeit kann man entwickeln; man muss nicht als solche geboren worden sein.
Janwillem Huda
Huda: Neben den Gründungs-Know-Hows setzen wir auch beim Thema Persönlichkeitsentwicklung an. Studentinnen lernen nicht nur, wie man einen Businessplan schreibt oder ein Geschäftsmodell entwickelt, sondern auch, wie man ein Gründerinnen-Mindset aufbaut. Eine Gründerpersönlichkeit kann man entwickeln; man muss nicht als solche geboren worden sein.
Was macht ein Gründerinnen-Mindset aus?
Huda: Eine klassische Checkliste gibt es nicht. Gründung und das ganze Thema Selbstständigkeit sind fortlaufende Prozesse. Hilfreich sind aber Kompetenzen wie nutzerzentriertes und problemorientiertes Denken. Nur wenn eine Gründungsidee eine Lösung für ein Problem darstellt, kann ich ein Geschäftsmodell mit echtem Mehrwert entwickeln. Auch Resilienz ist wichtig. Beim Gründen wird man immer wieder auf Probleme stoßen, neue Wege finden müssen und auch mal Fehler machen. Das ist ein klassisches Thema in der Start-up-Szene und ein wichtiges Learning: Man hat einen Plan mit Start und Ziel, den man linear voranschreiten will. In der Realität läuft man dann im Zickzack. Und das ist normal und okay.
Egelhof: Der Slogan der WORLDFACTORY lautet: „Love the problem, not your solution.“ Wenn man eine Gründungsidee verfolgt und damit ein Problem lösen will, muss man trotzdem agil genug bleiben, immer mal wieder von den eigenen Überzeugungen loszulassen und die eigene Lösung anzupassen. Unserer Erfahrung nach werden am häufigsten das Team und ihr Durchhaltevermögen als Erfolgsfaktoren genannt.
Aus Studien wissen wir, dass diverse Teams besonders erfolgreich sind.
Nadine Egelhof
Ein gutes Team ist also mindestens genauso wichtig wie einzelne Kompetenzen?
Egelhof: Ja. Wir ermutigen dazu, im Team zu gründen und können bei der Teamfindung auch helfen. Aus Studien wissen wir, dass diverse Teams besonders erfolgreich sind. Ein Team braucht verschiedene Persönlichkeiten und Rollen, das heißt, es ist völlig in Ordnung, wenn sich Eigenschaften und Stärken ergänzen.
Huda: Darüber hinaus ist ein gutes, resilientes Netzwerk wichtig. Wenn ich beispielsweise introvertiert, aber kreativ in der Produktentwicklung bin, kann die richtige Person die fehlende Kompetenz in meinem Team ergänzen und mir beim Netzwerkaufbau helfen.
Welche Rolle spielt Mut?
Egelhof: Motivation, Neugier und Mut sind alles wichtige Punkte, wobei Mut nicht heißt, dass man super risikobereit sein muss. Mut, den eigenen Weg zu finden. Mut, einfach mal etwas Neues auszuprobieren.
Huda: An der Universität bietet sich die Möglichkeit, viele Schritte das erste Mal zu wagen und sich auszuprobieren. Der erste Pitch vor einer gemischten Jury, die erste Bewerbung um eine finanzielle Förderung im Proof-It-Programm. Wenn die Gründerinnen dann rausgehen, haben sie das meiste schon einmal erlebt und sind gut vorbereitet für den weiteren Weg, auf dem wir sie übrigens gerne weiterhin begleiten.
Warum ist FACE auch spannend für Frauen, die nicht gründen möchten?
Egelhof: Unsere Veranstaltungen empowern die Teilnehmer*innen, selbst wenn sie nicht gründen möchten. Hier geht es viel um Persönlichkeits- und Karriereentwicklung, auch in Richtung Führungspositionen.
Und was ist der erste Schritt für Frauen, die gründen möchten?
Huda: Findet euer Problem. Und dann komm mit eurem Problem zu uns.
Zu guter Letzt: Wie würde eine Welt mit mehr Gründerinnen aussehen?
Huda: Wir hätten eine Welt, in der in vielen Bereichen und Produkten die Bedürfnisse von Frauen stärker mitgedacht werden würden, beispielsweise in der Medizin und bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz.
Egelhof: Die Wahrscheinlichkeit, dass mit mehr Gründerinnen auch inklusiver und diverser gedacht wird, steigt. Mein Ideal wäre – gleicher Zugang und gleiches Gehör für alle. Schon jetzt finde ich es immer wieder spannend zu sehen, wie wenig Angst die Start-up-Szene vor Konkurrenz oder Ideenklau hat, stattdessen ist man wohlwollend und unterstützend. Es ist total schön zu sehen, wie bereits etablierte Gründer*innen die Hand ausstrecken und anderen weiterhelfen.