Start-ups „Das wird kein Spaziergang, aber ich bin entschlossen, es zu schaffen“
Zwei einschneidende Erlebnisse brachten Reagan Rowland auf den Weg, das nigerianische Gesundheitssystem zu revolutionieren. Über das Programm WIN NRW.Afrika kam seine Idee nun nach Bochum.
Gesundheitsdaten sind wichtig für eine schnelle und effiziente medizinische Behandlung von Patienten. Gleichzeitig ist die Verarbeitung dieser sensiblen Daten mit vielen Risiken und technischen Hürden verbunden – sowohl in Nigeria als auch in Deutschland. Mit OneClick-Med hat Reagan Rowland ein Healthcare-Start-up gegründet, das das nigerianische Gesundheitssystem revolutionieren will. Die Gesundheitsplattform hat das Potenzial, Diagnose- und Medikationsfehler zu vermeiden, die Wiederholung von Tests und Verfahren zu reduzieren und die Interoperabilität innerhalb des Gesundheitsökosystems zu fördern.
Im Rahmen des Programms „Innovation Made in Nigeria meets WORLDFACTORY”, einer Kooperation von Worldfactory International mit dem GIZ-Regionalbüro Deutschland-West im Rahmen des Programms WIN NRW.Afrika, besuchten er und neun weitere Start-ups aus Nigeria vom 9. bis 11. April 2024 das WORLDFACTORY Start-up Center. Beim finalen Wettbewerb im RUB Makerspace sicherte sich OneClick-Med den ersten Platz. „Ihre Idee hat auch für Deutschland großes Potenzial“, so die Jury. Im Interview spricht Reagan Rowland über die entscheidenden Wendepunkte in seinem Leben, wie ihm der Besuch in Bochum auf seinem Weg weiterhilft und warum er nicht zum letzten Mal in Deutschland gewesen sein wird.
Ich bin mit dem Wissen aufgewachsen, was es heißt, für andere verantwortlich zu sein.
Herr Rowland, können Sie uns beschreiben, wo Sie aufgewachsen sind?
Ich stamme aus einer kleinen nigerianischen Gemeinde namens Dagbala, die im Herzen des Bundesstaates Edo liegt. Als ältester von vier Brüdern bin ich mit dem Wissen aufgewachsen, was es heißt, für andere verantwortlich zu sein. Meine Brüder haben immer zu mir aufgeschaut, und ich musste dafür sorgen, dass alle die Regeln meiner Eltern befolgt haben.
Und wie hat Ihre Karriere begonnen?
Meinen ersten Abschluss habe ich an der Universität von Abuja in Informatik gemacht. Da ich in die Politik gehen wollte, habe ich anschließend einen Master in internationalen Beziehungen und Diplomatie gemacht. Obwohl ich Programmieren kann, habe ich schnell erkannt, dass das nicht mein Ding ist. Ich habe mich eher als Manager im IT-Bereich gesehen, weshalb ich in die Unternehmensressourcenplanung gegangen bin. Seit 2020 bin ich für das Nationale Aktionskomitee für die Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (NAC AfCFTA) als Koordinator für die Informationstechnologie tätig. Das AfCFTA-Abkommen ist ein Zusammenschluss von 54 der 55 afrikanischen Staaten, die ähnlich wie die Europäische Union (EU) frei miteinander handeln.
Die Idee kam mir zum ersten Mal 2016, nachdem ich fast einen Freund verloren hätte, den wir nach einem Zusammenbruch ins Krankenhaus gebracht hatten.
Wann hatten Sie zum ersten Mal die Idee für eine medizinische Gesundheitsplattform?
Die Idee kam mir zum ersten Mal 2016, nachdem ich fast einen Freund verloren hätte, den wir nach einem Zusammenbruch ins Krankenhaus gebracht hatten. Obwohl es sich um eine lebensbedrohliche Situation handelte, dauerte es mehr als dreißig Minuten, bis er einen Arzt sehen konnte, weil es viel Papierkram und Tests zu erledigen gab. Ich weiß noch, wie wütend ich auf die Krankenschwestern war, weil ich nicht verstand, warum sie ihn nicht zuerst stabilisieren konnten. Später wurde mir aber klar, dass es nicht die Schuld der Krankenschwestern war, sondern ein Problem der Infrastruktur. Es hätte Zeit gespart, wenn die Ärzte direkt Zugang zur Krankengeschichte meines Freundes gehabt hätten. Zum Glück überlebte mein Freund, aber ich beschloss, eine Plattform zu schaffen, die den Zugang zu Patientendaten vereinfachen, Fehler reduzieren und Wartezeiten für die Patienten verringern sollte. Und das durch eine einzige Anmeldung.
Im selben Jahr nahm ich an einem nigerianischen Start-up-Programm teil, aber erhielt leider nicht die nötigen Mittel, um mein eigenes Unternehmen zu gründen. Im Jahr 2017 gründete ich dann eine Familie und widmete ihr die nächsten fünf Jahre meines Lebens.
Fünf Jahre vergehen. Was bringt Sie dazu, erneut über Ihre Gründungsidee nachzudenken?
Auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie, im Jahr 2020, brachte meine Frau unseren zweiten Sohn durch einen Kaiserschnitt zur Welt. Leider gab es Komplikationen, und die Ärzte mussten mehr über ihre medizinische Vorgeschichte in Erfahrung bringen, um die richtigen Entscheidungen trefffen zu können. Ich konnte ihnen aber keine genauen Informationen geben und war gezwungen, ihre Familie anzurufen, was alle sehr beunruhigt hat. Auch sie überlebte, aber ich musste sofort wieder an meine Idee von 2016 denken, wohl wissend, da es sich um die gleiche infrastrukturelle Lücke handelte. Damals sagte ich mir: Dieses Problem muss gelöst werden. Ich begann zu recherchieren, stellte ein Team zusammen, besuchte Start-up-Workshops und im Jahr 2023 konnten es dann richtig losgehen.
Unser Ziel ist es, das Gesundheitswesen in Afrika in ein effizienteres, leichter zugängliches und patientenzentriertes System zu verwandeln.
Welche Idee steckt genau hinter OneClick-Med?
OneClick-Med ist eine Software-as-a-Service-Gesundheitsplattform (SaaS), die Patientenregistrierungen und -daten für eine einfache, sichere und effiziente Gesundheitsversorgung zentralisiert. Wir lösen das Problem von Diagnose- und Medikationsfehlern, der Wiederholung von Tests und Verfahren, der herkömmlichen Erfassung und Speicherung von Gesundheitsdaten und vor allem der Interoperabilität innerhalb des Gesundheitssystems. Unser Ziel ist es, das Gesundheitswesen in Afrika in ein effizienteres, leichter zugängliches und patientenzentriertes System zu verwandeln.
OneClick-Med zentralisiert also Gesundheitsdaten. Bieten Sie noch weitere Funktionen an?
Ja. Zu den weiteren Funktionen gehört ein „KI-basierter Symptom-Checker“, der die wahrscheinlichsten Ursachen für Symptome auflistet, denn nicht jeder Kopfschmerz ist ein Fieber oder Malaria. Er empfiehlt auch weitere Handlungsmöglichkeiten und reduziert so die Selbstmedikation. Außerdem gibt es eine „KI-gesteuerte Medikamentenerinnerung“, die daran erinnert, Medikamente einzunehmen oder nachzufüllen, einen Notdienst, über den man von jedem beliebigen Ort aus einen Krankenwagen anfordern kann, sowie zwei Blogs, rund um die Themen Gesundheitsvorsorge und Erste Hilfe.
Wir wissen, dass Datenschutz und -sicherheit oberste Priorität haben müssen.
Wie planen Sie, Patienten vor dem Missbrauch ihrer persönlichen Daten zu schützen?
Unsere Sicherheitsmaßnahmen sind von Anfang an eingebaut, denn wir wissen, dass Datenschutz und -sicherheit oberste Priorität haben müssen. Die Daten können nur mit der Erlaubnis des Patienten an die Gesundheitseinrichtung beziehungsweise den behandelnden Arzt weitergegeben werden. Die Plattform ist so konzipiert, dass niemand ohne vorherige Zustimmung auf persönliche Daten zugreifen kann. Im Falle eines Notfalls, wenn der Patient nicht in der Lage ist, Zugang zu seiner Krankenakte zu gewähren, kann ein Arzt die Genehmigung umgehen und die Akte des Patienten einsehen. Dies wird jedoch auf der Plattform des Patienten und des Arztes als Umgehung vermerkt. Wir sind HIPAA-konform und setzen weltweit anerkannte Standards für die Datenerfassung und Datenverwaltung ein. Außerdem verwenden wir eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.
Warum haben Sie sich dazu entschieden, am WIN NRW.Afrika teilzunehmen und nach Nordrhein-Westfalen zu kommen?
In vielen Teilen Afrikas werden Existenzgründer nicht so gut unterstützt wie in Europa. Die deutsche Regierung unterstützt Unternehmer auf eine Weise, die den Aufbau eines Start-ups schnell und einfach macht. In Afrika müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln, und erst wenn die Menschen tatsächliche Ergebnisse sehen können, beginnt das Interesse zu wachsen. Die Teilnahme an dem Programm bedeutete mögliche Partnerschaften, Kooperationen und vielleicht auch Finanzierungsmöglichkeiten. Und tatsächlich habe ich ein Start-up kennengelernt, mit dem ich zusammenarbeiten möchte, das Periodenunterwäsche verkauft. Es ist eine großartige Gelegenheit, hier zu sein, mit einer Gruppe von Gleichgesinnten in Kontakt zu treten und mit Menschen zusammenzuarbeiten, die fortschrittlich sind.
Alles, was ich hier gelernt habe, möchte ich auch nach Nigeria zurückbringen, und mein Wissen mit jüngeren Start-ups teilen.
Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Ihrem Start-up-Ökosystem und dem in Bochum?
Es gibt viele Gemeinsamkeiten, zum Beispiel die Inkubatoren. Auch die Veranstaltungen sind ähnlich, obwohl ich sagen würde, dass die Veranstaltungen in Nigeria sogar besser funktionieren. Uns fällt es leichter, große Unternehmen einzuladen. Auf unseren Start-up-Events kann man Manager und sogar Geschäftsführer, die sich für Start-ups begeistern, treffen. So können sich erfahrene Leute und junge Gründer gemeinsam austauschen.
Eine Sache, die im nigerianischen Ökosystem fehlt, ist die Unterstützung durch die Regierung. Mit der neuen Regierung unter Präsident Bola Ahmed Tinubu wächst jedoch das Interesse, in Start-ups zu investieren und sie zu unterstützen. Neue Initiativen zielen darauf ab, Nigerias Tech-Talente zu fördern, um unsere digitale Wirtschaft voranzutreiben. Alles, was ich hier gelernt habe, möchte ich auch nach Nigeria zurückbringen, und mein Wissen mit jüngeren Start-ups teilen.
Das Worldfactory Start-up Center hatte einen großen Einfluss auf mich. Ich habe an vielen Workshops zu verschiedenen Aspekten des Unternehmertums teilgenommen.
Was hat Sie während Ihrer Zeit hier am meisten beeindruckt?
Da gibt es definitiv nicht nur eine Sache, aber das Worldfactory Start-up Center hatte einen großen Einfluss auf mich. Ich habe an vielen Workshops zu verschiedenen Aspekten des Unternehmertums teilgenommen und dabei neue Perspektiven gewonnen. Zwei weitere unvergessliche Erlebnisse waren der Besuch der Produktionslinien von Mercedes Benz und Wilo. Als ich Wilo sah, habe ich zu mir selbst gesagt: „Reagan, OneClick-Med muss so genau so groß werden.“ Das Programm hat mir gezeigt, dass ich meine Zeit nicht vergeude, dass ich meinen Weg fortsetzen muss und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ich die Auswirkungen auf die Gesellschaft, auf das Land und auf Afrika insgesamt sehen werde.
Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Das ist einfach: Ich möchte die Produktentwicklung abschließen. OneClick-Med muss auf den Markt gebracht werden. Ich möchte, dass die Probleme der Menschen gelöst werden. Ich möchte, dass die Leute in Zukunft sagen können: „Gott sei Dank, ich hatte die OneClick-Med-App.“ Ich habe auch ein Auge auf Deutschland geworfen. Nur weil die General Data Protection Regulation (GDPR) im Moment sehr streng ist, heißt das nicht, dass wir unsere App in Zukunft nicht anpassen können. Wir bieten auch andere Funktionionen an, die in Deutschland umgesetzt werden können, zum Beispiel den Symptom-Checker oder die Medikamentenerinnerung. Ich weiß, das wird kein Spaziergang, aber ich bin fest entschlossen, es zu schaffen.
Und am Ende, falls alles gelingt -
Wenn! Am Ende, „wenn“ alles gelingt, nicht „falls“. Ich bin sehr vorsichtig mit meiner Wortwahl, denn Worte sind mächtig. Sie gehen hinaus in die Welt und verbinden sich mit dem Universum. Sie ziehen die Dinge an, die man sagt. Deshalb sage ich nicht „falls“, sondern „wenn“, denn ich bin sicher, dass es nur eine Frage der Zeit ist.
Innovation Made in Nigeria meets WORLDFACTORY