Interdisziplinarität Wie neue Wissenschaftsfelder entstehen
Vor einigen Jahrzehnten sprachen nur wenige von Bioinformatik oder Synthetischer Biologie. Immer wieder brechen die Grenzen zwischen den klassischen Disziplinen auf, und neue Felder tun sich hervor.
Welche Mechanismen die Entstehung neuer Wissenschaftsfelder vorantreiben, haben Forschende der Ruhr-Universität Bochum und vom Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen, kurz Fraunhofer INT, analysiert. Sie integrierten zwei Theorien, die bislang unabhängig voneinander weiterentwickelt worden waren: die klassische Evolutionstheorie wissenschaftlicher Felder und das Prinzip der wissenschaftlichen Konvergenz. „In der klassischen Evolutionstheorie kam die Interdisziplinarität zu kurz“, erläutert Philipp Baaden vom Bochumer Centrum für Entrepreneurship, Innovation und Transformation (CEIT). „Indem wir Ideen aus der Theorie der wissenschaftlichen Konvergenz integriert haben, haben wir sozusagen das Beste aus zwei Welten zusammengebracht und eine vollständigere Theorie entwickelt.“
Gemeinsam mit Dr. Michael Rennings und Prof. Dr. Stefanie Bröring vom CEIT sowie Dr. Marcus John vom Fraunhofer INT beschreibt Philipp Baaden die Ergebnisse im Journal „Research Policy“ vom Juli 2024 anhand der Beispiele Bioinformatik, Synthetische Biologie und Human Brain Sciences. Das Team leitet sieben Mechanismen für die Entstehung von Wissenschaftsfeldern ab, die sich im Grad der Interdisziplinarität unterscheiden.
Wissen und Leute aus verschiedenen Disziplinen zusammenbringen
Ein Beispiel für einen solchen Mechanismus ist die Integration, die das Entstehen der Human Brain Sciences vorangetrieben hat. „Medizinerinnen und Mediziner haben sich Wissen aus der Informatik angeeignet, weil sie es zur Bearbeitung mancher Forschungsfragen brauchten“, veranschaulicht Philipp Baaden. Die Integration ist ein unidirektionaler Mechanismus, bei dem eine Disziplin Wissen aus einer anderen übernimmt, ohne dass es zwingend zu einem wechselseitigen Austausch kommt.
In anderen Fällen findet von Beginn an interdisziplinäre Zusammenarbeit statt, was die Autor*innen als Rekombination bezeichnen. Anders als bei der Integration handelt es sich um einen multidirektionalen Mechanismus, da Wissen und Akteure aus verschiedenen Bereichen zusammenkommen – wie beim Humanen-Genom-Projekt, das die Entstehung der Synthetischen Biologie vorantrieb. „Den Initiatoren war von Anfang an klar, dass sie zum Entschlüsseln der menschlichen DNA Expertise aus vielen verschiedenen Bereichen wie Biologie, Chemie, Ingenieurwissenschaften und Informatik benötigen“, so Baaden. „Daher wurde von Beginn an viel Wert auf interdisziplinäre Zusammenarbeit gelegt.“
Anhand solcher Beispiele leitet das Team weitere fünf Mechanismen ab, mit denen sich wiederum Entwicklungspfade interdisziplinärer Forschungsfelder beschreiben lassen. In Zukunft möchten die Autoren und die Autorin analysieren, was die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auszeichnet, die die Entstehung neuer Wissenschaftsfelder vorantreiben, und welchen Beitrag Forschungsfördereinrichtungen leisten.