Der Bochumer Forscher Alexander Ferrauti ist derzeit Präsident des European College of Sport Science. © European College of Sport Science

Interview Ein Präsident in Kilt und Laufschuhen

Alexander Ferrauti ist derzeit Präsident des European College of Sport Science. Im Juli 2024 fand dessen Jahreskongress statt. Im Interview blickt der Sportwissenschaftler auf das erste Jahr seiner Amtszeit zurück.

Im Juli 2024 fand in Glasgow der weltweit größte Kongress der Sportwissenschaft statt, erstmals in der Verantwortung von Prof. Dr. Alexander Ferrauti. Der Leiter des Bochumer Lehr- und Forschungsbereichs Trainingswissenschaft ist derzeit ehrenamtlicher Präsident des European College of Sport Science, kurz ECSS. Dabei handelt es sich um eine weltweit vernetzte Organisation mit rund 3.000 Mitgliedern, die sich mit dem gesamten Spektrum der Sportwissenschaft befasst. Was die Ziele für seine Präsidentschaft sind, warum das Bochumer Team immer Studierende mit zum jährlichen Kongress nimmt und wieso er auch während des Kongresses die Laufschuhe schnüren musste, erzählt Alexander Ferrauti im Interview.

Herr Professor Ferrauti, was ist die Mission des ECSS, also des European College of Sport Science?
Unser Ziel ist es, die noch junge Disziplin der Sportwissenschaft international zu etablieren und weiterzuentwickeln. Dabei steht der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn im Fokus, da die Sportwissenschaft eine hohe Relevanz für die gesellschaftliche Gesunderhaltung und Leistungssteigerung besitzt. Hierzu erfolgt die jährliche Organisation von großen Kongressen in geografisch wechselnden europäischen Destinationen. Darüber hinaus fördern wir unseren sportwissenschaftlichen Nachwuchs und streben damit an, die Berufschancen für die Absolventinnen und Absolventen zu steigern.

Ich setze mich beispielsweise für einen besseren Wissenstransfer zur Bevölkerung ein.

Welches Themengebiet ist Ihnen in Ihrer Präsidentschaft besonders wichtig?
Ich setze mich beispielsweise für einen besseren Wissenstransfer zur Bevölkerung ein. Dieses Jahr haben wir begleitend zu unserem Kongress in Glasgow erstmals eine Veranstaltung für die Bürgerinnen und Bürgern aus Glasgow angeboten. Dafür haben wir gesundheitsrelevante Themen allgemein verständlich aufbereitet und praktische Empfehlungen zur körperlichen Aktivität angeboten. Bei einem Kongress besteht sonst immer die Gefahr, dass sich Forschende hinter verschlossenen Türen des Kongresszentrums über wissenschaftliche Details austauschen, ohne dass die regionale Bevölkerung und die dortigen politischen Entscheidungsträger erreicht werden. Darüber hinaus verfolge ich viele weitere Ziele wie die Erweiterung unserer Serviceleistungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs und die Reduktion des ökologischen Fußabdrucks unserer Kongresse.

Wie genau unterstützt das ECSS junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler?
Traditionell verleihen wir im Rahmen eines hochkarätigen Wettbewerbs einen international anerkannten Nachwuchsforscherpreis, und wir unterstützen junge Forschende mit Reisestipendien. Der ECSS Young Investigators Award wurde dieses Jahr zum 29. Mal verliehen. Parallel zum eigentlichen wissenschaftlichen Programm organisieren wir Fortbildungsveranstaltungen für Nachwuchsforscherinnen und -forscher, sogenannte Master Classes, zu Themen wie „How to write and publish“, „Mixed Methods Studies“ oder „Personal Knowledge Management”.

Auf diesen Reisen entsteht immer ein besonderer Teamgeist.

Auf dem Kongress sind rund 3.000 Forschende zusammengekommen. Aus Bochum waren auch Studierende dabei.
Das hat Tradition in Bochum und ist Teil der Internationalisierungsstrategie unserer Fakultät. Meine Kollegin aus der Sportmedizin, Professor Petra Platen, und ich sind spätestens seit dem 2017 in Bochum und Essen gemeinsam ausgerichteten ECSS Congress „Metropolis Ruhr“ große ECSS-Fans. Wir motivieren Studierende mitzufahren, damit sie auf internationaler Ebene Erfahrungen sammeln können. Diese Kongressbesuche sind auch Bestandteil unseres internationalen Masterstudiengangs und werden von der Fakultät finanziell unterstützt. Auf diesen Reisen entsteht immer auch ein besonderer Teamgeist. Alle unterstützen sich gegenseitig, wenn die Kolleginnen und Kollegen vor großem Plenum komplizierte Sachverhalte präsentieren. Da hilft es, wenn ein paar bekannte Gesichter in der Menge sitzen.

Ein Teil der Bochumer Reisegruppe beim 2024er Kongress in Glasgow © European College of Sport Science

Welche Themen treiben die Sportwissenschaft derzeit besonders um?
Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen haben auch in der Sportwissenschaft Fuß gefasst. Dazu gab es viele Beiträge und auch dazu, wie man große Datenmengen intelligent auswerten kann. Welche Parameter sind automatisiert durch welche Algorithmen zu verrechnen, um daraus individualisierte Trainingspläne zu gestalten? Erfreulicherweise nimmt auch die sportwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Behindertensport eine immer größere Rolle ein. Außerdem wurde das Thema Frau und Sport lange Zeit vernachlässigt, und zahlreiche Befunde beziehen sich nur auf rein männliche Stichproben. Auch hier deutet sich eine Veränderung an.

Der Leistungssport spielt eine wichtige Rolle bei den ECSS-Kongressen.

Sind bei einem solchen Kongress kurz vor Olympia auch die Sommerspiele ein Thema?
Der 2024er Kongress fand zwei Wochen vor der Eröffnung der Sommerspiele statt, zu knapp also, als dass Erkenntnisse noch hätten in die Veranstaltung münden können. Daher hatten wir uns entschlossen, das Thema schon 2023 zu behandeln. Vergangenes Jahr beim ECSS-Kongress in Paris gab es eine eigene Veranstaltung vom Internationalen Olympischen Komitee rund um die medizinische Betreuung bei den Spielen. Der Leistungssport mit all seinen Facetten wie Sporternährung und Wettkampf unter Hitze und anderen besonderen Umgebungsbedingungen spielt selbstverständlich immer eine wichtige Rolle bei den ECSS-Kongressen.

Treiben Sie bei einem solchen Kongress eigentlich auch selbst Sport?
In Ehrerbietung an Bengt Saltin, einem renommierten schwedischen Physiologen, der das ECSS wesentlich geprägt hat, findet jedes Jahr der Bengt Saltin Lauf über fünf Kilometer statt. Dieses Mal sind wir morgens um 7 Uhr im strömenden Regen gestartet. Ich war selbstverständlich dabei und habe mir ein Duell mit dem Kongresspräsidenten aus Rimini geliefert, wo die Tagung 2025 stattfinden wird. Auf der begleitenden Industrieausstellung laden neue Trainingsgeräte und Diagnosetools zum praktischen Ausprobieren ein. Da alle Teilnehmenden stets sehr sportbegeistert sind, wird dies gerne genutzt.

Was hat Ihnen an der Veranstaltung in diesem Jahr besonders gut gefallen?
Die Menschen in Schottland und ganz besonders Glasgow werden mir in besonders guter Erinnerung bleiben. Ich hatte durch mein Amt mit vielen Personen regelmäßig Kontakt. Mit der ausrichtenden University of the West of Scotland, dem Team vom Glasgow Veranstaltungsbüro, den Mitarbeitenden im Kongresszentrum, dem Caterer, dem IT-Zentrum und vielen, vielen mehr. Alle waren überaus hilfsbereit und freundlich.

Überhaupt transportieren Veranstaltungen des ECSS immer auch den local spirit. Bei der Abschlussfeier gab es eine Einführung in einen schottischen Volkstanz, den Ceilidh Dance. Man tanzt in Formationen durch den Raum zu schottischer Musik. Das ist extrem schweißtreibend, aber macht auch viel Spaß. Natürlich bin ich passend dazu im Kilt gekommen.

Was wünschen Sie sich für das verbleibende Jahr Ihrer Präsidentschaft?
Das ECSS ist eine komplexe Non-Profit-Organisation mit zahlreichen Personen aus der ganzen Welt, die in Präsidium, wissenschaftlichem Komitee, Gutachterpanel, Geschäftsstelle und einem eigens herausgegebenen wissenschaftlichen Journal tätig sind. Zufrieden bin ich, wenn ich eine funktionierende und wirtschaftlich gesunde Organisation an meine Nachfolgerin Professorin Janice Thompson aus Birmingham übergeben kann. Denn stabile Rahmenbedingungen sind die zwingende Voraussetzung, um unser College und unsere Visionen und Ziele weiterzuentwickeln.

Veröffentlicht

Montag
05. August 2024
08:31 Uhr

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