Bildungsforschung Zwei Doktorhüte für Didaktikerinnen
Warum Schulklassen ins geisteswissenschaftliche Schülerlabor gehen sollten, auch wenn es dort keine beeindruckenden Apparate gibt.
Zwei fachdidaktische Promotionen gleichzeitig feiert die Fakultät für Philologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB): Dr. Anica Betz hat untersucht, inwiefern es sich lohnt, mit Schulklassen ein geisteswissenschaftliches Schülerlabor zu besuchen. Hanna Kröger-Bidlo hat das auditive Textverstehen modelliert und Unterrichtsmodule für das Verstehen vorgelesener Texte entwickelt. „Für uns ist diese Doppelpromotion sehr bedeutend, weil sie ein Zeichen dafür ist, dass die fachdidaktische Forschung aufholt“, sagt der emeritierte Fachdidaktiker Prof. Dr. Gerhard Rupp.
Anica Betz widmete sich dem geisteswissenschaftlichen Schülerlabor am Beispiel eines linguistischen Schülerlaborprojekts. Dessen naturwissenschaftliches Pendant wurde schon vielfach untersucht, die Authentizität des Lernorts als Trumpf beschrieben, der anregenden und lernerorientierten Unterricht ermöglicht. Anica Betz wollte wissen, was Authentizität in Lehr-Lern-Settings ausmacht und welche Effekte die authentische Wissenschaftsvermittlung hat, vor allem bei solchen, für die sich Schülerinnen und Schüler traditionell wenig interessieren: grammatisch-sprachreflexive Fragen.
Dem Ruhrdeutschen auf der Spur
Die Forscherin, die inzwischen an der Universität zu Köln arbeitet, konzipierte daher das Schülerlaborprojekt „Dem Ruhrdeutschen auf der Spur“, das sich an Schülerinnen und Schüler der achten und neunten Klassen an Gymnasien richtete. 153 Kinder nahmen daran teil, rund die Hälfte in der Schule, die andere Hälfte im geisteswissenschaftlichen Schülerlabor der RUB. Vor und nach dem Projekt sowie einige Zeit später fragte sie die Teilnehmer per Fragebogen unter anderem danach, als wie authentisch sie das Projekt empfanden und nach ihrem Interesse.
Es zeigte sich, dass die Schüler die Authentizität im Schülerlabor als stärker empfanden als in der Schule. „Es lohnt sich also, ein geisteswissenschaftlich-linguistisches Schülerlabor zu besuchen, auch wenn es nicht wie im naturwissenschaftlichen Bereich mit technischen Geräten punkten kann“, fasst Anica Betz zusammen. Vor Ort ist auch das Interesse am Gegenstand größer. Das ist allerdings nicht von Dauer: Längerfristige positive Effekte konnte Anica Betz nicht feststellen. „Das untermauert das mehrfach nachgewiesene Desinteresse an grammatischen Unterrichtsthemen in sprachdidaktischen Studien erneut“, meint sie. „Daran ändert auch ein authentisches linguistisches Lernsetting in Schülerlabor und Schule nichts.“
Vorgelesenes verstehen
Hanna Kröger-Bidlos Thema war das Verstehen vorgelesener Texte. Dieses sogenannte auditive Textverstehen gehört seit 2003 zum nationalen Bildungsstandard im Fach Deutsch, wurde aber in der Deutschdidaktik bisher noch kaum bearbeitet. Hanna Kröger-Bidlo hat es daher mit Blick auf die Anforderungen an den Hörenden theoretisch modelliert. „Ich fasse das Zuhören als Hörverstehenshandlung auf, in der sich rezeptives und produktives Handeln verschränken“, erklärt sie. Dabei ging sie von Prozessen und Phasen der Informationsverarbeitung von Hörreizen im Gehirn aus und bezog in ihr Modell viele verschiedene Faktoren ein, zum Beispiel kommunikationswissenschaftliche und sprachentwicklungsbezogene.
Auf der Grundlage ihres Modells entwickelte sie vier exemplarische Unterrichtsmodule, die sich an den Inhalten orientieren, die im Lehrplan für das Fach Deutsch in NRW festgelegt sind. Die Module zeigen, wie die verschiedenen Dimensionen des auditiven Textverstehens in den Deutschunterricht integriert werden können. „Die Bundesländer treiben die Erarbeitung dieser Art von Unterrichtsmodulen zurzeit stark voran – auch vor dem Hintergrund der Anforderungen durch Inklusion und Integration“, so Hanna Kröger-Bidlo.
Erfolg der Nachwuchsförderung
Die doppelte Promotion spiegelt eine Verbesserung der fachdidaktischen Nachwuchsförderung in den vergangenen Jahren. „Dabei spielen mehrere Faktoren zusammen“, so Gerhard Rupp. „Es gibt mehr und besser ausgestattete fachdidaktische Lehrstühle in den gestuften Studiengängen und mehr Erfolge bei der Drittmitteleinwerbung. Dissertationsprojekte sind in die Research School der RUB oder Graduate Schools eingebunden. Auch die Professional School of Education wirkt unterstützend.“