Serie 500 Jahre Reformation
Für ihn war Luther einer der ersten Wissenschaftler moderner Prägung: Prof. Dr. Manfred Schneider © RUB, Kramer

Interview Das erste Menschenrecht

Wer war Martin Luther und was hat er hinterlassen? Manfred Schneider schildert die Sicht eines Literatur- und Medienwissenschaftlers.

Was verbinden Sie mit Martin Luther?
Martin Luther war für mich einer der ersten Intellektuellen und Wissenschaftler moderner Prägung. Er machte sich unabhängig von der institutionellen Autorität der Universitäten, der Konzile, des Staates und folgte dem eigenen Urteil und Gewissen. Er entwickelte seine eigene Sprache in den Medien seiner Zeit. An diese Öffentlichkeit richtete er sich in der Gewissheit, dass die (irdische) Vernunft nur aus dem Diskurs hervorgeht. Dabei blieb er ein Skeptiker, der alle Überzeugungen auch wieder in Zweifel zog.

Zur Person

Prof. Dr. Manfred Schneider leitete von 1999 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2012 den Bochumer Lehrstuhl für „Neugermanistik, Ästhetik und literarische Medien“. 2014 veröffentlichte er den Großessay „Medienrevolutionen. Die Reformation im 16. Jahrhundert und die Aufstände in den arabischen Ländern 2010/2011“. Darin analysiert er den Zusammenhang von Massenkommunikation und Rebellion. Er beschreibt Analogien zwischen der Bedeutung des Buchdrucks für die Reformation und der Bedeutung der digitalen Medien für den arabischen Frühling.

Was war Ihrer Meinung nach die bedeutendste Folge der Reformation, die unsere Gesellschaft heute noch prägt?
Die moderne Welt ist in ihren Grundlagen protestantisch. Dass jede Person gleichen Zugang zu Gottes Wort haben soll, war das erste Menschenrecht. Wer das leugnet, schrieb Luther, „… der lästert Christus und sein Wort – gleich ob er Papst, Kaiser, Fürst oder gar der Teufel selbst ist.“ Die Menschenrechte prägen unsere Gesellschaft, nicht nur weil wir sie haben, sondern weil überall Fürsten und Teufel in neuer Gestalt auftreten und wir gegen sie auftreten müssen.

Was glauben Sie, wie sich die christliche Kirche in Zukunft verändern wird?
Die christlichen Kirchen stehen in dem Zwiespalt, zeitlose Verheißungen, Pflichten und Werte zu vertreten, ihre Sprachen und Liturgien aber auch der Zeit anzupassen. Unter den Versprechungen und Bequemlichkeiten der technischen Moderne werden die religiösen Bedürfnisse vieler Menschen weiter narkotisiert; das Leid auf dem Globus aber wird zunehmen. Die Kirchen werden kleiner, umso überzeugender können sie für die unerlöste Welt sprechen.

500 Jahre Reformation

Im Jahr 2017 wird in Deutschland und anderen Ländern das 500. Reformationsjubiläum gefeiert. Auch wenn die Erneuerungsbewegung ein jahrzehntelanger Prozess war, gilt der 31. Oktober 1517 als ihr Auftakt. An diesem Tag soll Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel der Kirche und die Käuflichkeit kirchlicher Ämter veröffentlicht haben. Die Bewegung führte nicht nur, wie anfangs beabsichtigt, zu einer Reformation der römisch-katholischen Kirche, sondern zur Spaltung des westlichen Christentums. Sie wirkte aber auch weit über den religiösen Bereich hinaus und beeinflusste Wirtschaft, Politik, Recht, Kunst, Sprache und Soziales.

Veröffentlicht

Mittwoch
04. Oktober 2017
09:41 Uhr

Von

Julia Weiler

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