Andreas Pflitsch versenkt Sensoren für die Messung der Wassertemperatur in einer Eishöhle auf dem Gipfel des Mount Rainier. © Francois Xavier De Ruydts

Gletscherhöhlen Expedition auf einen eisigen Vulkan

Der eisbedeckte Mount Rainier empfängt seine wenigen Besucher mit einer unwirtlichen Welt. Die meisten, die hierher kommen, bleiben nur eine Stunde. Andreas Pflitsch blieb eine Woche. Und betrat wissenschaftliches Neuland.

Von der anstrengendsten Expedition seines Lebens spricht Prof. Dr. Andreas Pflitsch, als er von seinem Trip auf den Mount Rainier zurückkommt, und gleichzeitig schwärmt er von einem Highlight seiner Forscherkarriere. „Als ich auf dem Gipfel war, habe ich zuletzt die Tage gezählt, bis es wieder hinunterging“, erzählt er, „und trotzdem werde ich es wieder tun.“

Zweifel, die er auf einer Konferenz an den Theorien anderer Forscher geäußert hatte, verhalfen dem begeisterten Bochumer Höhlenforscher zu dem Platz im Expeditionsteam. So brach er im August 2015 mit elf weiteren Wissenschaftlern auf, um den Mount Rainier im US-Bundesstaat Washington zu besteigen, finanziert von National Geographic und einigen weiteren Sponsoren.

Die Gletscherhöhlen auf dem Gipfel des Berges waren das Ziel. Außer der Tatsache, dass sie existieren, wusste man kaum etwas über diese Naturgebilde. Wie groß sind sie? Wie sind sie entstanden? Verändern sie sich? Gibt es dort Leben?

Andreas Pflitsch, Leiter der RUB-Arbeitsgruppe Höhlen- und U-Bahn-Klimatologie, erforscht Eis- und Lavahöhlen auf der ganzen Welt. Als er die Möglichkeit hatte, sich dem Expeditionsteam um Ranger Eddy Cartaya vom National Forest Oregon anzuschließen, zögerte er nicht.

Harsche Bedingungen auf dem Gipfel

Mit einem Jahr Vorlauf bereitete das Team die Expedition vor. „Ein Riesenaufwand“, erinnert sich Pflitsch. Trotzdem lief nicht alles nach Plan. Ein Helikopter wurde nicht genehmigt, und als es losgehen sollte, standen weniger Träger  als vereinbart parat, somit musste ein Teil der Messgeräte am Fuß des Berges zurückbleiben. Zu allem Überfluss geriet die Gruppe in einen Sturm, und ein Zelt flog davon.

Überhaupt kam auf dem windigen Gipfel in 4.400 Metern Höhe bei Minusgraden keine Gemütlichkeit auf. Andreas Pflitsch berichtet zum Beispiel von der eisigen Toilette, die er als eine mehr oder weniger windgeschützte, aber ansonsten offene Ecke über Eis beschreibt, die sich alle teilten. „Immerhin hatte man eine fantastische Aussicht von dort“, erzählt er lachend. „Die Sonnenuntergänge mit dem Schatten des Vulkans waren grandios und das Frieren wert.“

Wir durften an Orten arbeiten, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.


Andreas Pflitsch

Knapp 5.000 Bergsteiger bezwingen den Mount Rainier jedes Jahr; aber sie verweilen nur eine Stunde auf dem Gipfel und gehen dann wieder. Die Forscher harrten unter den harschen Bedingungen eine Woche aus. „Wir durften an Orten arbeiten, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat, und wissenschaftliches Neuland betreten“, weiß Pflitsch.

Erste Einblicke ins Höhlenklima

Der Krater des Mount Rainier ist mit Eis gefüllt. Darunter treten heiße Dämpfe aus, schmelzen das Eis auf und lassen so Höhlen entstehen, welche ein ganz eigenes Klima mit charakteristischen Luftzirkulationen besitzen. Sie verändern sich ständig.

Die Bochumer Klimatologen möchten ein detailliertes Modell der Luftströmungen in der Höhle erstellen und herausfinden, ob diese periodisch variieren. Außerdem interessiert sie unter anderem, welchen Einfluss das Außenwetter und sogenannte Fumarole auf das Höhlenklima haben. Bei Letzteren handelt es sich um Bereiche, aus denen Wasserdampf und vulkanische Gase austreten.

Solche Fragen lassen sich nur mit Langzeitmessungen beantworten, und mit speziellen Messgeräten. Leider kam aber nicht Pflitschs gesamtes Equipment auf dem Gipfel an, da zu wenig Träger die Expedition begleiteten. Umfangreiche Strömungsmessungen waren somit nicht möglich. Trotzdem hatten die Höhlenforscher alle Hände voll zu tun.

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Bei Sonnenaufgang begann der Arbeitstag mit einem Abstieg vom Kraterrand in die Eishöhle. Gemeinsam mit seinen Kollegen zeichnete Andreas Pflitsch erste Daten über die Ausdehnung, Temperatur, Luftfeuchte und Luftströmungen auf. Die Wissenschaftler platzierten auch die vorhandenen Sensoren für die Langzeitmessungen.

Nach acht oder neun Stunden in der Höhle ging es zurück zum Lager, wo die Energie gerade noch ausreichte, um zu Abend zu essen. „Die Luft ist dünn, man kommt schnell außer Atem und hat keine Kraft mehr“, berichtet Pflitsch. Trotz der Erschöpfung habe er nie durchschlafen können. „Im Zelt war es immer kalt und nass, und ständig dieser starke Wind“, beschreibt der Forscher seine Nächte auf dem Mount Rainier. „Es war sehr anstrengend.“

Übernachten im Krater eines aktiven Vulkans

Hinzu kam das stets präsente Wissen, dass er sich im Krater eines aktiven Vulkans befand. Die seismische Aktivität des Mount Rainier wird zwar überwacht. Aber die Eisdecke, die den Krater verschließt, erschwert die Detektion von drohenden Ausbrüchen und kann für eine besonders explosive Mischung aus Magma und schmelzendem Eis sorgen.

Mit 57 Jahren war Andreas Pflitsch der Älteste auf der Expedition. Er gibt zu: „Ich bin zum ersten Mal an meine Grenzen gekommen.“ Aber noch ist seine unbändige Neugier größer als der Wunsch, gemütlich im Büro zu arbeiten. Das nimmt er sich zwar hin und wieder vor. Trotzdem ist er stets mehr auf Reisen als am Schreibtisch.

Crowdfunding

2016 möchte das Team die Forschungsarbeiten auf dem Mount Rainier fortsetzen. Ein Teil des Equipments soll mit einem Helikopter auf den Berg gelangen, da es nicht zu Fuß getragen werden kann. Wer helfen möchte, dass die notwendigen Gelder für die Expedition zusammenkommen, kann sich am Crowdfunding beteiligen.

Der Trip auf den Mount Rainier war für ihn nicht der erste dieser Art. Zwei Monate zuvor hatte er für ähnliche Forschungsarbeiten den Mount Hood im US-amerikanischen Oregon bestiegen. Nun plant er bereits die nächsten Expeditionen in die Eiswelt. Im Sommer 2016 wird er sich erneut auf den Mount Rainier quälen. 2017 steht mit dem Mount Saint Helens ein neuer Vulkan auf dem Programm. „Wenn ich 60 bin, lasse ich es vielleicht ein bisschen ruhiger angehen“, überlegt er. Aber wer weiß, ob er sich daran halten wird.

Unveröffentlicht

Von

Julia Weiler

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