Im Gespräch In eisiger Kälte fühlt er sich pudelwohl
Wollsocken und Handwärmer gehören zu seiner Standardausrüstung: Andreas Pflitsch erforscht seit Jahrzehnten Eis- und Gletscherhöhlen.
Er forscht an den eisigsten Orten der Welt und dringt auf seinen Expeditionen in die Tiefen von Gletscher- und Eishöhlen vor. Der Bochumer Klimatologe Prof. Dr. Andreas Pflitsch leitet die Arbeitsgruppe Klimatologie extremer Standorte und scheut die Kälte nicht. Im Interview erzählt er uns, wie er unwirtlichen Temperaturen von bis zu minus 36 Grad Celsius trotzt und welche Vorbereitungen notwendig sind, um Exkursionen ins Eis sicher über die Bühne zu bringen.
Lieber Herr Pflitsch, lassen Sie uns doch – passend zum Thema – mit drei Fragen zum Warmwerden starten.
Lieber bei minus 10 Grad zittern oder bei plus 30 Grad schwitzen?
Es kommt auf die Umstände an. Wenn ich richtig kalte Füße habe, ist das grauenhaft. Wenn ich schwitze, weiß ich, es geht vorbei. Aber wenn Sie mich fragen: lieber eine Exkursion bei minus 30 Grad Celsius oder bei plus 10 Grad Celsius, dann nehme ich die bei minus 30 Grad! Ich liebe meine Alaska-Winterexpeditionen.
Lieber ein Eiskaffee oder ein heißer Tee?
Kommt natürlich auf das Wetter an, aber ich sage mal, Eiskaffee!
Lieber nordische Distanziertheit oder südländisches Temperament?
Nordische Distanziertheit (lacht).
Sie erforschen seit vielen Jahren Eishöhlen. Wie kam es dazu?
Eigentlich komme ich aus der Stadtklimatologie. Als ich gerade promoviert war, habe ich eine Einladung nach Polen an unsere damalige Partneruniversität bekommen. In Polen kam das Gespräch auf die dortigen Höhlen, und die Kollegen erzählten mir, dass sie vor dem Problem stehen, dass sie gerne feine Luftströme in den Höhlen messen würden, aber nicht wissen, wie sie es anstellen können. Da sagte ich, wir nutzen in der Stadtklimatologie ein Ultraschallanemometer, das müsste auch in Höhlen funktionieren. Und so haben wir dort Messungen mit diesem Gerät gemacht, und das waren meine ersten Höhlenmessungen. Daraus entstand mein bis heute meistzitierter Artikel. Dadurch wurde ich in die Slowakei eingeladen, um in Eishöhlen Messungen zu machen. Und so hat sich das über die Zeit in diese Richtung entwickelt. Heute messe ich überall auf der Welt in Eis- und Gletscherhöhlen, zum Beispiel auf Hawaii, in Alaska oder auch in Idaho und Wyoming.
Es gibt Eis auf Hawaii?
Ja! Sie können auf Hawaii Blizzards haben. Auf den beiden hohen Bergen Mauna Loa und Mauna Kea lag dieses Jahr wochenlang Schnee. Sobald Sie auf eine Höhe von etwa 3.400 Metern kommen, können Sie Schneefall haben. Im Winter ist das Gang und Gäbe. Es gibt da auch Snowboardpisten.
Sie sprechen von Eis- und Gletscherhöhlen. Was genau ist der Unterschied?
Eine Eishöhle ist eine Höhle im Gestein, die das ganze Jahr über eine gewisse Menge an Eis aufweist, sie muss nicht komplett aus Eis bestehen. Eine Höhle, die sich dagegen vollständig innerhalb eines Gletschers bildet, nennt man Gletscher-Eishöhle oder Gletscherhöhle.
Gibt es das schon? Hat das schon mal jemand gemacht? Das sind die Fragen, die mich antreiben.
Nächstes Jahr gehen Sie in Rente, und trotzdem haben Sie schon die nächste Exkursion geplant. Was ist ihr Antrieb, immer wieder auf Expedition zu gehen?
In erster Linie mein Interesse. Gibt es das schon? Hat das schon mal jemand gemacht? Das sind die Fragen, die mich antreiben. Ich erforsche gerne etwas Neues. Und dann tragen meine Messungen natürlich auch etwas dazu bei, den Klimawandel zu erforschen.
Erleben Sie den Klimawandel hautnah, wenn Sie auf den Gletschern sind?
Auf jeden Fall. Ich fahre seit zwölf Jahren regelmäßig nach Alaska, und ich dokumentiere die Gletscher dort immer mit Fotos. Wir können darauf ganz klar den Rückzug sehen. Der Matanuska-Gletscher im südlichen Alaska jedoch bleibt, er stagniert im Moment, aber er verliert auch an Höhe, an Mächtigkeit. Aber seine Gletscherlinie, die Front, bleibt ungefähr gleich. Die anderen Gletscher ziehen sich deutlich zurück.
Ist Alaska der kälteste Ort, an dem Sie je waren?
Ja. Die niedrigste Temperatur die ich dort je erlebt habe, war minus 36 Grad Celsius.
Wie hält man das denn aus? Sie schlafen dann ja sogar draußen im Zelt. Wie schützen Sie sich vor der Kälte?
Gute Kleidung ist das A und O. Ich schwöre auf Woll- und Alpaka-Socken. Und Fußwärmer sind auch hilfreich, gerade, wenn wir lange stehen. Am unangenehmsten sind bei mir die kalten Finger. Aber da nehme ich Handwärmer. Beim Wandern wird einem schon durch die Bewegung an sich relativ warm. Und obenrum schützen mich Daunenjacken und Unterwäsche aus Merinowolle. Im Gesicht trage ich bei extremen Minusgraden Skibrille, Mütze und eine Sturmhaube. Das Unangenehmste ist eigentlich, so um 0 Grad Celsius zu arbeiten. Dann zieht die Feuchtigkeit rein. Wenn es kälter ist, dann schmilzt ja nichts, dann bleibt alles trocken.
Macht die Kälte das Arbeiten mit den Händen nicht schwierig, wenn Sie Ihre Messgeräte bedienen?
Oh ja, das ist ein Problem. Wenn ich an den Geräten arbeite, gehe ich kurz aus meinen Handschuhen raus und habe nur ganz dünne an. Und dann sofort wieder zurück in die dicken Handschuhe. Wenn man einmal kalte Finger hat, bekommt man sie nicht mehr warm.
Neben der Kälte bieten Ihre Expeditionen auch noch andere Gefahrenquellen. Rutschiges Eis, Lawinen, vielleicht wilde Tiere. Waren Sie schon einmal richtig in Gefahr?
Einmal, da war ich auf dem Mount Washington und der Wind blies mit 140 Kilometern pro Stunde über die spiegelglatte Fläche. Da hat es mich trotz Steigeisen einfach umgeweht und dabei ist ein Brustwirbel gebrochen. Das war so ziemlich der größte gesundheitliche Zwischenfall.
Haben Sie eine umfangreiche Notfallapotheke bei Ihren Expeditionen dabei, um für alle Unwägbarkeiten gerüstet zu sein?
Wir haben die Notfallapotheke der Uni dabei, und ich habe noch ein paar zusätzliche Medikamente. Etwas gegen Kopfschmerzen, etwas gegen Rückenschmerzen und Erkältungsmedikamente. Das war es aber auch schon.
Über Gletscher zu fliegen, ist traumhaft schön.
Was ist das faszinierendste Erlebnis, das Sie im Eis hatten?
Über Gletscher zu fliegen, ist traumhaft schön. Und in Gletscherhöhlen reinzugehen, ist auf jeden Fall ein unglaubliches Erlebnis. In diese unterirdischen Welten einzutauchen, in dieses spiegelglatte, unberührte Eis, das teilweise tiefschwarz oder blau ist von dem eingeschlossenen Gestein, das ist faszinierend. Das sind ganz außergewöhnliche Formen und Farben. So etwas sieht man nicht alle Tage.
Und natürlich ist es etwas Besonderes, an entlegenen Orten zu sein, die sonst kaum ein anderer Mensch sieht. Auf dem Mount St. Helens im US-Bundesstaat Washington beispielsweise waren bisher nur etwa 40 bis 50 Menschen überhaupt.
Was war die spannendste Entdeckung, die Sie bei Ihren Expeditionen gemacht haben?
Unsere aktuellen Beobachtungen bei den Eishöhlen auf Hawaii sind sehr bemerkenswert. Dass diese Eishöhle seit zehn Jahren wieder Eis aufbaut. Wir haben einen halben Meter Eiszuwachs. Das ist entgegen jeder anderen Messung und entgegen jeder Erwartung. Noch können wir uns das nicht erklären und es wird auf jeden Fall weitere Beobachtungen und Forschungsarbeit dazu geben.
Ist es nicht immens schwierig, in so entlegenen und unwirtlichen Gegenden Forschung zu betreiben? Das Equipment dorthin zu bekommen? Dort zu schlafen? Essen zuzubereiten?
Wenn ich in Alaska arbeite, habe ich einen Großteil meiner Ausrüstung bei Freunden in deren riesiger Garage eingelagert. Ich packe einfach alles, was ich brauche, und werde dann mit dem Gepäck zusammen in einer kleinen Propellermaschine rausgeflogen. Was die Nahrung angeht, da nehme ich viel Trockennahrung in Tüten mit. Das muss man nur mit heißem Wasser aufgießen. Das Essen muss wenig Gewicht haben, aber sehr nahrhaft sein. Und es sollte nicht zu viel Müll machen, denn den nehmen wir nach den Expeditionen wieder mit. Und wenn wir mit 25 Leuten unterwegs sind, kommt einiges zusammen.
Bereiten Sie sich in besonderer Weise körperlich auf Ihre anstrengenden Expeditionen vor?
Ich laufe regelmäßig und mache Yoga.
Wohin geht Ihre nächste Expedition?
In ein paar Tagen breche ich mit Studierenden wieder nach Alaska auf. Darauf freue ich mich schon.