Hans-Peter Schertl (links) und Bernd Marler sind Experten für die Analyse von Mineralen. © RUB, Kramer

Geowissenschaften Das ganze Periodensystem in einem Mineral

2019 ist internationales Jahr des Periodensystems der Elemente. Ein Anlass für die RUB-Geowissenschaftler, die Zusammensetzung des Minerals Turmalin unter die Lupe zu nehmen. Ihrer Meinung nach ist es rekordverdächtig.

Vor 150 Jahren hat der Russe Dmitri Mendelejew eine besondere Ordnung in den chemischen Elementen erkannt, aus denen unsere Welt besteht. Das Periodensystem der Elemente war geboren. Jede und jeder kennt es aus dem Chemieunterricht, und auch heute noch ist es von immenser Bedeutung für alle naturwissenschaftlichen Forschungszweige. Auch am Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik gehört das Periodensystem zum täglichen Handwerkszeug. Dr. Bernd Marler und Dr. Hans-Peter Schertl sind Experten darin, die chemische Zusammensetzung von Mineralen zu analysieren und Zusammenhänge zwischen deren Struktur und Eigenschaften aufzudecken.

Anlässlich des Internationalen Jahres des Periodensystems haben sie sich mit einem rekordverdächtigen Mineral beschäftigt, dem Turmalin. „Ich kenne kein anderes Mineral, das so viele verschiedene Elemente in seine Kristallstruktur einbauen kann wie Turmalin“, sagt Bernd Marler. „Es ist so eine Art Mülleimer unter den Gesteinen; in die Turmaline gehen auch solche Elemente hinein, die man in den üblichen gesteinsbildenden Mineralen nicht findet.“

Mineralogische Sammlung mit vielen Turmalinen

Etwa 40 verschiedene Elemente können – zum Teil nur in Spuren – in den zahlreichen Varietäten des Minerals vorkommen, wobei Vertreter aus jeder Haupt- und Nebengruppe des Periodensystems dabei sind. Sogar Argon oder das seltene Wismut können in kleinen Mengen in den Turmalin eingebaut werden. Das erzeugt eine große Farb- und Formenvielfalt, in die die mineralogische Sammlung der RUB einen Einblick gibt.

Die Ursache für diese Varianz liegt in der Kristallstruktur des Turmalins. Darin finden sich fünf geometrische Formen: Dreieck, Tetraeder, zwei verschieden große Oktaeder und ein größeres unregelmäßiges Polyeder. Das winzige Bor sitzt im Zentrum des Dreiecks, im Inneren der Tetraeder ist Platz für kleine Silizium-Ionen; die Oktaeder hingegen können mittelgroße Vertreter wie Aluminium, Magnesium oder Mangan einschließen. Große Ionen wie Natrium oder Calcium werden schließlich von den unregelmäßigen Polyedern aufgenommen.

Turmalin gehört zu den Ringsilikaten: Jeweils sechs Tetraeder lagern sich zu Ringstrukturen zusammen, die hier als blaue Einheiten zu erkennen sind. © RUB, Bernd Marler

„Man muss sich das vorstellen wie einen Stapel Kürbisse, in deren Zwischenräume man verschiedene Bälle legen kann“, veranschaulicht Schertl. „In einfach aufgebaute Minerale wie Quarz passen nur Tennisbälle hinein, in Turmalin aber auch noch Handbälle, Fußbälle und Tischtennisbälle.“ Die komplexe räumliche Struktur erklärt also, warum das Mineral so vielfältig zusammengesetzt sein kann. Aber nicht nur deshalb finden die Bochumer Geowissenschaftler es so spannend.

Die Chemie des Turmalins

Die allgemeine chemische Formel zur Beschreibung aller Minerale der Turmalinfamilie ist komplex: Sie lautet: XY3Z6(T6O18)(BO3)3V3W wobei die Buchstaben X, Y, Z und T in der Formel Platzhalter für verschiedenste Elemente sind. Je nach chemischer Zusammensetzung erhält der Turmalin einen eigenen Mineralnamen. Der Großvater der Familie ist der sogenannte Schörl (chemische Formel: NaFe2+3Al6(Si6O18)(BO3)3(OH)4), den Johannes Mathesius erstmalig im 16. Jahrhundert beschrieb. Ein sehr junges Mitglied der Familie ist der Vanadium-Oxy-Chrom-Dravit (chemische Formel: NaV3(Cr4Mg2)(Si6O18)(BO3)3(OH)3O), der erst 2012 als eigenständiges Mineral anerkannt wurde.

„Turmalin besitzt auch einige sehr interessante physikalische Eigenschaften“, weiß Marler. Man kann den Kristall zum Beispiel elektrostatisch aufladen wie einen Ballon, den man am Pulli reibt. „Holländische Seefahrer sollen sich diesen Effekt zunutze gemacht haben, um Aschereste aus ihren Pfeifen zu holen“, erzählt der Forscher. Hinzu kommt, dass Turmaline piezoelektrisch und pyroelektrisch sind – Eigenschaften, die man von Feuerzeugen kennt oder die in Bewegungsmeldern genutzt werden. Drückt man den Kristall oder erwärmt ihn, entstehen elektrische Ladungen an gegenüberliegenden Enden. Die Größe der Effekte hängt von der Zusammensetzung des Turmalins ab.

Mit dem Polfilter gegen Betrüger

Turmaline ändern außerdem ihr Erscheinungsbild, wenn man sie unter polarisiertem Licht betrachtet, also Licht, das nur in einer bestimmten Ebene schwingt. Dies kann man zum Beispiel mit dem Polfilter einer Fotokamera erzeugen. Betrachtet man das Mineral durch einen solchen Filter und dreht ihn in unterschiedliche Richtungen, ändert der Turmalin seine Farbe. Ein Effekt namens Pleochroismus, der für Hans-Peter Schertl auf Reisen bereits nützlich war. „Auf einem Markt wollte mir jemand mal einen Turmalin verkaufen“, erinnert er sich. Kurzerhand schraubte er den Polfilter von seiner Kamera, um die Behauptung zu überprüfen. „Als ich das gemacht habe, wurde der Händler ganz nervös. Es stellte sich heraus, dass der angebliche Turmalin nur Glas war.“ Glas, durch einen Polfilter betrachtet, zeigt in allen Richtungen stets die gleiche Farbe.

Diese Zange besitzt an beiden Enden je einen speziell geschnittenen Turmalinkristall (dunkles Rechteck). Der eine Kristall erzeugt polarisiertes Licht, der andere dient als Analysator. Die Turmalinzange ist ein einfaches Instrument, um die optischen Eigenschaften von Mineralen zu untersuchen, die man zu Betrachtung zwischen die beiden Kristalle bringt. © RUB, Kramer

Turmalin als Barometer

In den Geowissenschaften kann der Turmalin in gewissen Fällen auch als sogenanntes Geothermobarometer dienen. Seine Zusammensetzung hängt auch von den Bedingungen wie Temperatur und Druck ab, bei denen er kristallisierte. So lassen sich etwa Aussagen über die Erdtiefe machen, in der Turmalin-haltige Gesteine gebildet wurden. Erst vor wenigen Jahren fand man in Kasachstan einen kaliumreichen Turmalin in einem einzigartigen Gesteinstyp, der auch Diamanten beinhaltet – also unter großem Druck entstanden sein muss.

Neben all den chemischen und physikalischen Besonderheiten sind Turmaline aber auch einfach schön. Deswegen werden sie als Schmucksteine verkauft. Sie lassen sich sogar synthetisch herstellen, woran Bernd Marler vor einigen Jahren mit Kollegen in einem Forschungsprojekt arbeitete. „Das klappt allerdings nur in einer Größenordnung von wenigen Mikrometern, und die Synthese ist viel zu teuer, als dass sie sich für die Schmuckindustrie lohnen würde“, sagt Marler.

Für die geowissenschaftliche Forschung war es trotzdem eine interessante Erkenntnis. Vor allem weil in einigen Experimenten auch Turmaline entstanden, die das Element Bor im Tetraeder enthielten. „Das hatte man vorher kategorisch ausgeschlossen“, so Marler. „Es zeigt aber noch einmal, wie flexibel die Struktur des Turmalins ist.“

Veröffentlicht

Mittwoch
14. August 2019
08:48 Uhr

Von

Julia Weiler

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