Biologie „Das war eine etwas verrückte Idee“
Eigentlich wirken Plasmen zerstörerisch auf Enzyme. Hier liefern sie ihnen auf Knopfdruck einen Baustein für die Biokatalyse zu.
Bei der Herstellung vieler Chemikalien entsteht neben dem gewünschten Produkt auch sein Spiegelbild: Die beiden sogenannten Enantiomere sind einander physikochemisch sehr ähnlich und daher schwierig voneinander zu trennen, haben aber unterschiedliche biologische Eigenschaften. Gerade bei Medikamenten ist das augenfällig: So wirkt zum Beispiel das (S)-Ibuprofen-Molekül gegen Schmerzen, sein Zwilling (R)-Ibuprofen aber nicht. „Es kommt auch vor, dass eine der beiden Formen giftig ist“, verdeutlicht Prof. Dr. Julia Bandow, Inhaberin des Lehrstuhls Angewandte Mikrobiologie an der Fakultät für Biologie und Biotechnologie der RUB und beteiligt am Sonderforschungsbereich 1316 "Transiente Atmosphärendruckplasmen".
Ihre Arbeitsgruppe setzt daher für die Herstellung solcher Chemikalien auf Enzyme, biologische Katalysatoren, die zum Beispiel aus Bakterien oder Pilzen stammen. Manche Enzyme stellen nur eins der beiden Enantiomere her.
Enzyme sind sensibel
Allerdings sind Enzyme generell eher sensible Katalysatoren. Manche sind sogar anfällig für eine Inaktivierung durch das Substrat, das sie umsetzen. „Unser Beispielenzym ist so ein Fall. Die unspezifische Peroxigenase, kurz UPO, aus dem Speisepilz Agrocybe aegerita oder Südlichen Ackerling, die die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Frank Hollmann aus Delft hergestellt hat, kann den Duftstoff (R)-1-Phenylethanol herstellen. Als Substrat braucht sie dafür Wasserstoffperoxid. Wenn man ihn dem Enzym in Lösung einfach in Form eines Konzentrats zufügt, deaktiviert der Ausgangsstoff der gewünschten Reaktion das Enzym innerhalb kurzer Zeit“, erklärt Julia Bandow.
Ein Dilemma, aus dem das Team mit mehreren Tricks herauskam. Einer davon war, ein Plasma zur Herstellung von Wasserstoffperoxid zu nutzen. „Das war eine etwas verrückte Idee“, schmunzelt Bandow im Rückblick. „Denn eigentlich nutzt man Plasmen vorzugsweise, um etwas zu zerstören.“ In Plasmen, die entstehen, indem man einem Gas Energie zuführt, bilden sich zahlreiche reaktive Substanzen, zum Beispiel atomarer Sauerstoff, Hydroxylradikale, freie Elektronen und verschiedene angeregte Spezies. Krebszellen, Biofilme, Viren oder Prionen lassen sich daher mittels Plasmen inaktivieren. Hier jedoch sollte das Plasma zum Schutz der Biokatalysatoren beitragen, indem es die reaktiven Substanzen, die für die Katalyse des Duftstoffs notwendig sind, dem Enzym auf Knopfdruck genau in der richtigen Dosis zur Verfügung stellt.
„Die Erzeugung von Wasserstoffperoxid durch Plasma ist gegenüber alternativen Herstellungsmethoden mittels Enzymen oder Elektroden von Vorteil. Entsprechende Enzyme sind teuer in der Herstellung, auch sie werden durch Wasserstoffperoxid angegriffen und die Wasserstoffperoxiderzeugung ist schwer dosierbar. An den Elektroden können die Biokatalysatoren wie die UPO ausfallen und diese zusetzen“, erklärt Julia Bandow.
Trick Nummer zwei
Die Gruppe experimentierte also mit Plasmen auf Basis von Luft oder Edelgasen, die direkt über den in Lösung befindlichen Enzymen zur Herstellung des Duftstoffs (R)-1-Phenylethanol gezündet wurden. Die an der Oberfläche befindlichen Enzyme wurden durch die reaktiven Spezies aber schnell zerstört. So kam es zu Trick Nummer zwei: Die Forscherinnen und Forscher befestigten die Enzyme an Beads, kleinen Kugeln mit poröser Oberfläche, die am Boden der Lösung liegen und die Enzyme dort festhalten. Die optimale Beschaffenheit der Kugeln testeten sie vorher aus, denn nicht jedes Enzym kann auf jeder Oberfläche gut andocken und trotzdem seine Arbeit verrichten, für die manchmal auch Bewegungen der Enzyme notwendig sind.
So gelang es, dass oberhalb der Kugeln am Boden des Behältnisses etwas Lösung die Enzyme von der Gasphase trennt und abpuffert. Das mithilfe des Plasmas erzeugte Wasserstoffperoxid diffundiert zu den Enzymen und wird von diesen umgesetzt. Die Enzyme kommen dabei aber nie mit einer Überdosis des Substrats oder anderer reaktiver Spezies in Kontakt. So bleiben sie intakt und funktionsfähig.
Winzige Reaktoren
„Die Schutzschicht, die über den Enzymen liegt, ist nur ungefähr einen Millimeter dick“, so Julia Bandow, „denn die Reaktoren, die wir dafür bisher nutzen, sind winzig.“ Sie fassen nur bis zu fünf Milliliter Flüssigkeit. Trotzdem genügt der Abstand zwischen Erzeugung und Nutzung dafür, dass instabile und kurzlebige reaktive Substanzen, die im Plasma entstehen, abreagieren – manche praktischerweise zu Wasserstoffperoxid, das als Substrat gebraucht wird. Wasserstoffperoxid selbst ist vergleichsweise langlebig. Seine Dosis lässt sich zum Beispiel dadurch einstellen, dass man das Plasma pulst, also ein- und ausschaltet.
Die Enzyme hielten im Experiment achtmal zehn Minuten unbeschadet durch. Zwischendurch musste immer der zweite Ausgangsstoff Ethylbenzol nachgeliefert werden. Die Extraktion des dann in der Lösung befindlichen Produkts (R)-1-Phenylethanol erfolgte mit Ethylacetat in nur einem Schritt. „Darin liegt der große Vorteil gegenüber Katalyseverfahren, die beide Enantiomere hervorbringen“, unterstreicht Julia Bandow.
Bis hierher war das Ganze ein Proof-of-Concept-Projekt, das belegt hat: Der Ansatz funktioniert. Jetzt hat die Arbeitsgruppe begonnen, das Verfahren zu optimieren, vor allem mit dem Ziel, es für größere Mengen einsatzfähig zu machen und die Reaktoren zu optimieren. Ein Reaktor, in dem die auf Kugeln befestigten Enzyme in der Lösung rotieren, sodass die Enzyme gleichmäßiger mit den Substraten in Kontakt kommen, brachte bereits Erfolge.
Unser größter Erfolg ist es, dass wir in verhältnismäßig kurzer Zeit so weit gekommen sind.
Julia Bandow
Weitere Experimente haben gezeigt, dass der Prozess noch besser funktioniert, wenn man statt Luft als Basis für das Plasma das Edelgas Helium nutzt und Wasserdampf hinzugibt. „Dann findet man in der Lösung sehr viel Wasserstoffperoxid vor, vielleicht über die Zwischenstufe von OH-Radikalen“, vermutet Julia Bandow. Der Ertrag stieg dadurch von etwa zehn Nanomol Wasserstoffperoxid pro Minute auf 200 Nanomol pro Minute an. Eine weitere Steigerung der Wasserstoffperoxidbildung um 50 Prozent ließ sich durch eine Spannungsänderung erreichen.
„Unser größter Erfolg ist es, dass wir in verhältnismäßig kurzer Zeit so weit gekommen sind“, unterstreicht Julia Bandow. „Der Plasmareaktor könnte eine neue Klasse von Enzymen für die kommerzielle Nutzung erschließen.“
Auf der Suche nach weiteren Enzymen, die wertvolle Chemikalien herstellen können, verfolgen die Forscherinnen und Forscher mehrere Strategien. Streptomyceten, eine Gruppe im Boden lebender Bakterien, verfügen ebenfalls über Wasserstoffperoxid-umsetzende Enzyme. Eine Charakterisierung von drei Kandidaten brachte allerdings bisher keine aussichtsreichen Hersteller attraktiver Produkte hervor.
Ein weiterer Weg zu neuen Enzymen könnte über Kompost führen. Untersuchungen mit Modellsubstraten, deren Umsatz zum Beispiel durch einen Farbumschlag angezeigt wird, förderten vielversprechende Ergebnisse zutage. „Wir wissen schon, bei welchem pH-Wert und welcher Temperatur solche Reaktionen erfolgen“, so Bandow, „aber wir kennen die verantwortlichen Enzyme noch nicht. Das ist die große Unbekannte.“